1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 Keine halbe Stunde später lag er wieder auf dem Sofa und lächelte selbstzufrieden in sich hinein, als seine Schwester zu ihm trat.
»Na, du hast ja gute Laune«, bemerkte sie neugierig. »Willst du mir vielleicht verraten, wieso? Und wieso musste dein blitzblank funkelnder Mercedes überhaupt in die Waschanlage?« Mit vor der Brust verschränkten Armen zog sie eine Braue in die Höhe.
»Och, ich hatte halt Langeweile, Schwesterlein. Außerdem war das Auto nicht blitzblank, sondern es hatte die Wäsche dringend nötig.«
»Pah, das ich nicht lache. Pass auf, dass du dein vierrädriges Schätzchen nicht aus Versehen mit ins Bett nimmst. Anna könnte es dir übel nehmen. – Mal im Ernst. Was hast du vor?«
Viktor erzählte seiner Schwester zuerst von Annas Problemen und grinste dann spitzbübisch, als er ihr sein Vorhaben offerierte.
***
Hätte sie gekonnt, sie hätte Herrn Bionda mit Blicken getötet, so wütend war sie. Aber er war nun einmal ihr Lehrer und besaß somit den längeren Arm, durchfuhr es Anna unwillig. So saß sie frustriert, mit zornrotem Kopf auf ihrem Klassenstuhl und versuchte, sich mit üblen Mordgedanken von der Erinnerung an die Demütigung durch den Erdkundelehrer abzulenken. Doch das misslang ihr gründlich. Missmutig ließ sie alles noch einmal Revue passieren:
… Wie so häufig hatte Herr Bionda sie vor der ganzen Klasse drangenommen und sich dabei süffisant über ihre Geografie-Hausarbeiten hergemacht.
Mit einem genüsslichen Grinsen im Gesicht studierte er Annas Heft, um dann ganze Passagen ihrer Statistikanalyse laut vorzulesen:
»Ja, hören Sie nur, wie Fräulein Nell in ihrer nett naiven Weise dieses Problem angegangen ist. Das hätte ich gar nicht von Ihnen erwartet, Fräulein Nell. Tja, Sie sind der Problemstellung mit Ihren artigen Ausführungen doch recht nahegekommen. Durchaus sieben Punkte wert. Das ist doch schon mal was, nicht wahr? Besonders, wenn man die Note Ihrer letzten Klausur bedenkt.«
»Nur nicht heulen, Anna! Das will der doch bloß!«
Anna hob den Kopf und starrte dem Lehrer direkt in die wässrigen Augen. Dabei versuchte sie, ihre Stimme zu beherrschen, fand allerdings, dass sie ein klein wenig zu hoch klang.
»Oh, vielen Dank, Herr Bionda«, bemerkte sie knapp.
»Bionda du bist ein blödes, arrogantes Schweinearschloch!«
Sie hörte ihre Mitschüler leise kichern, nur Janine beließ es natürlich nicht bei einem einfachen Kichern, sondern brüllte vor Lachen. …
»Warum müssen eigentlich ausgerechnet die allerschlimmsten meiner sogenannten Mitschüler dieselben Hauptfächer belegen wie ich? Himmelherrschaftszeiten! Und will diese Scheißstunde denn nie zu Ende gehen?«
Nach einer gefühlten Ewigkeit ertönte der erlösende Gong.
»Puh, Feierabend! Nichts wie weg!«
Augenblicklich griff Anna nach ihrer Tasche und wandte sich zum Gehen, ohne weiter auf Mitklässler oder Lehrer zu achten. Sie wusste, dass sie wieder oder eher noch ein gerötetes Gesicht hatte, denn sie war ja immer noch fuchsteufelswild. Gerade, als sie die Tür erreichte, hielt sie eine Hand sanft am Arm fest.
»Hey, mach dir nix draus, Anna. Die sind doch alle total daneben.«
Paul Kiener, ein großer, dünner Junge mit ein paar kleinen Pickeln im freundlichen Gesicht, mausgrauen Augen, kurzen sandfarbenen Haaren und einem immerwährenden Lächeln stand neben ihr. Im Gegensatz zu den meisten anderen war Paul stets nett zu ihr, aber so gar nicht ihr Typ. Besonders unangenehm fand Anna seine Freundlichkeit, seitdem sie ihre »spezielle Gabe« entdeckt hatte und seine Gefühle ihr gegenüber wahrnehmen konnte.
»Oh je, Paul, ich mag dich ja auch, aber nicht so, wie du dir das wünschst.«
»Lass mal, Paul, es geht schon«, erwiderte sie hastig und machte sich von ihm los, um schnell das Weite zu suchen. Hinter ihr ertönte aufs Neue das spöttische Gelächter von Janine und deren Freunden.
Wieder oder immer noch feuerrot verließ Anna fluchtartig das Schulgebäude. Draußen richtete sie den wutgesenkten Kopf auf, schloss die Augen und sog die frische, kühlende Luft ein, so, als könnte sie damit die vergangene Horrorstunde aus ihrem Hirn vertreiben.
»Na, wenigstens habe ich dreizehn Punkte für das Bio-Referat bekommen.«
»Herzlichen Glückwunsch, Anna.«
Völlig perplex wandte sie sich der Stimme zu und blinzelte ungläubig bei dem, was sie hörte und sah:
Da stand er! Lässig an die Tür seines schicken, funkelnd glänzenden Cabrios gelehnt, die langen Beine an den Fußknöcheln überkreuzt, die muskulösen Arme vor der breiten Brust verschränkt, schlicht mit schwarzer Jeans und schwarzem Hemd bekleidet. Viktor sah einfach umwerfend aus.
Er breitete die Arme aus und zeigte seine Grübchen. »Was ist, Kleines, krieg ich keinen Kuss?«
Zunächst zögerte sie, weiterhin ungläubig staunend. »Viktor? Ich … Was machst du denn hier? Das ist aber …« Die letzten Schritte rannte sie, sprang ihm vor Freude ungestüm in die Arme und küsste ihn leidenschaftlich.
»Das ist ja eine Überraschung! Ist das schön, dass du hier bist! Endlich ein einigermaßen gescheiter Mensch – wenn auch nur halb.«
Nach dem Kuss rückte Viktor ein wenig von ihr ab und runzelte die Stirn. »Soso, du hältst mich also für nur einigermaßen gescheit und nur halb?«, meinte er ernst. Doch dann lächelte er wieder, hob mit einem Finger ihr Kinn an, weil sie den Kopf sinken ließ, und erwiderte ihren Kuss, und zwar äußerst besitzergreifend.
Er löste seine Lippen von ihren, behielt jedoch sein Gesicht dicht an Annas, sodass sein Atem sie streifte. Leuchtend dunkelblaue Augen drohten sie zu verschlingen, ehe Viktors Blick an ihr vorbei – geradewegs zum Eingangsportal der Schule wanderte und er breit zu grinsen begann. »Scheint ja echt eine tolle Show zu sein, die wir denen liefern, Anna.«
Sie folgte seinem blitzenden Blick und hielt den Atem an, als sie alle dort herumlungern sah. All ihre »hochgeliebten« Mitschüler, sogar ein paar Lehrer, die staunend herübergafften.
Selbst Herr Bionda, der wohl gerade den Heimweg antreten wollte, blieb wie angewurzelt stehen.
»Ooh!«
»Komm, Süße. Ich dachte, ich hole dich heute mal ab. Ich hab auch schon mit deiner Mama telefoniert. Sie hat nichts dagegen, dass du den Nachmittag mit mir verbringst. Oder hast du keine Lust?«
Anna tauchte aus ihrer Verwirrung auf. »Wie?« Sie brauchte ein Weilchen, um sich zu sortieren. »Oh doch, sehr gerne. Das ist sehr aufmerksam von dir, hhm, richtig nett.«
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