»Was weißt du schon«, fuhr sie ihn an. »Hast du nicht gehört was er gesagt hat? Die Alte verschollene Zivilisation von Arym Var ... Der Ursprung der Sucherwesen ... und ich bin nicht dabei!«
Eine Sekunde später schien sie es bereits zu bereuen, Kargan angeschrien zu haben. »Tut mir leid ... ich wollte dich nicht ... aber es ist einfach ... ach ...« Sie verschränkte die Arme und sah wütend drein.
»Halb so wild.« Kargan grinste. Wenngleich er über Anjiaras unerwarteten Wutausbruch verwundert gewesen war, konnte er ihren Ärger doch nachvollziehen. »Ich weiß, ich rede mich leicht. Aber du kannst es nicht ändern. Also vergeude deine Energie nicht dabei, dich zu Ärgern.« Er zwinkerte ihr freundschaftlich zu.
Anjiara schien mit einem Mal etwas Seltsames an ihrem Gesichtsausdruck zu haben, das Kargan nicht interpretieren konnte. Doch ehe er sich weiter darüber Gedanken machen konnte, setzte Werland seine Besprechung fort.
Dem größten Teil von Werlands weiteren Erläuterungen folgte Kargan nur mit einem Ohr. Das meiste betraf die Ausrüstung, die Vorgehensweisen und die einzelnen Abschnitte des Einsatzes des Außenteams selbst. Kargans Schlafdefizit machte sich nach und nach immer deutlicher bemerkbar.
Anjiara saß die ganze Zeit ausdruckslos neben ihm und starrte Werland an.
» ... und werden den Fuß des Massivs erreichen. Dann werden wir das KBV-Equipment aus dem Crawler laden und den Aufstieg beginnen«, monologisierte der gerade.
Offensichtlich hatte Werland eine spezielle Einrichtung in Petto, die neuerdings im Bestand der SHIRE Ausrüstung vorhanden war. Diese sollte die Besteigung des Gorres-Massivs ermöglichen.
Kargan konzentrierte sich nicht einzuschlafen und sah auf seine Multiversum-Uhr. Es war nun 900 Infidelis-Zeit, also Vormittag, wenn man so wollte.
Um 950 hatte er regelmäßig jeden Tag Kom-Rückmeldung mit dem Karndalf-Kreuzer RS Terranigma. Dieser Kreuzer der ‚Terra‘-Klasse kursierte in einem Zirkulationspfad zwischen Uriel 3, dem Aaron-Schwarm und Infidelis nach Infidelis-Tagen gerechnet.
Wenn Werland sich noch länger Zeit lassen würde, würde er Grazens aus dem Kom-Zentrum der RS Terranigma heute versetzen müssen, dachte Kargan.
Nach einiger Zeit kam Werland schließlich zum Ende seiner Ausführungen über den Einsatz.
Kargan war gerade dabei einzudösen, als ihn sein Name aus Werlands Organ in die Realität zurückriss. Er räusperte sich ablenkend und fürchtete sich zu blamieren, weil er keine Ahnung hatte, was Werland gerade gesagt hatte.
Zu Kargans Erleichterung erklärte ihm dieser jedoch lediglich in seinem monologisierenden Ton, wie und wann genau der Kom-Verkehr abgehalten und wie exakt der Datentransfer durchgeführt werden sollte.
»Wir werden, wie bereits erwähnt, etwa einen halben Infidelis-Tag brauchen, um das Massiv mit dem Crawler zu erreichen. Dann werden wir das Gorres-Massiv besteigen und den Einsatz fortsetzen. Ich halte es für sinnvoll, wenn wir dreimal pro Tag eine Kom-Verbindung aufbauen, also zu 900, 1400 und 1900 Infidelis-Zeit.« Werland warf Kargan einen kurzen Blick zu, worauf er bestätigend nickte.
Die vorgeschlagenen Zeiten entsprachen dem Morgen, Mittag und Abend eines Infidelis-Tages.
Werland sprach weiter. »Wir werden um 1050 aufbrechen. Das bedeutet selbstverständlich, dass der erste Kom-Kontakt des Einsatzes um 1400 stattfinden wird. Sobald wir vor Ort sind, werden wir sie über den Zeitpunkt des Datentransfers in Verbindung setzen. Was den Kontakt mit dem Andragon-Kanton-Zusammenschluss angeht, wird sie die Epos nach Ermessen selbst kontaktieren.«
Klare Sache, dachte Kargan.
Es war 941. Werland kam zum Schluss. »Bei jeglichen weiteren Fragen finden sie mich ab jetzt in meinem Büro. Für das Außenteam gilt: Bereiten sie ihr Equipment und alles was sie sonst noch brauchen vor. Aber bringen sie nicht zu viel mit. Wir fahren nicht in den Urlaub!« Er setze sein schwaches Lächeln auf, aber niemand aus der Runde fand den Witz besonders lustig. »Um 1050 Abfahrt! Also alle zum Haupteingang.«
Wieder entstand ein Raunen im Besprechungsraum und die Leute erhoben sich langsam. Werland nahm seine Unterlagen und machte sich ans Gehen.
Katuzaki, der Asiat, hastete ihm hinterher, weil er offensichtlich eine Frage hatte. Doch Werland war bereits durch die Tür verschwunden.
Es wurde 944 Infidelis-Zeit. Kargan stand langsam auf und machte ebenfalls Anstalten zu gehen.
Anjiara saß immer noch auf ihrem Stuhl und starrte mürrisch ins Leere.
»Take it easy, Anjiara«, sagte Kargan mit einem aufmunternden Grinsen.
»Hmm«, knurrte sie, aber ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Kargan kam noch rechtzeitig in den Kom-Turm.
Nach den üblichen Parameterdurchgaben und Situationsanalyseübertragungen hielt Kargan noch sein übliches Schwätzchen mit Grazens von der RS Terranigma, um schließlich zu seiner normalen Arbeit überzugehen.
Ein Blick aus den großen Flarretglasfenstern des Kom-Turms nach Süden zeigte ihm die endlose Rotsandwüste, unter einem gelbblauen strahlenden Horizont liegend. Das erste Mal hatte Kargan für einen kurzen Moment einen Gedanken der Freude an diesem Ort zu sein. Doch dieser wurde schnell wieder verdrängt, als ihm Raul Densings Visage in Gedanken vor die Augen kam.
Kargan war sich darüber im Klaren, dass er nicht aus dem Schneider war.
Solange er auf dieser Station war, konnte er sich halbwegs in Sicherheit wiegen.
Doch wo immer er auch danach landen würde, würde er sich vor Kopfgeldjägern oder vor Densings Leuten fürchten müssen. Kargan sah keinen Ausweg aus seiner Situation.
Plötzlich fiel ihm ein, dass Werland den Vorfall mit dem Generator überhaupt nicht angesprochen hatte.
Da Kargan gerade einen Datenabgleich mit den anderen Outrange-Stationen auf Infidelis durchführte und dieser Vorgang immer einige Zeit dauerte, entschloss er sich, in Werlands Büro zu gehen.
Das seltsame Signal in den Lautsprecherboxen des Terra-Kom-Receivers war zu vernehmen, als Kargan bereits am Fuß der Flarretstahlleiter stand, welche in sein Büro hinauf führte.
Kchrrrt, kchrrrt, kchrrt. Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr.
Kchrrrt, kchrrrt, kchrrt. Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr.
Kargan hielt abrupt inne.
Der Kom-Turm hatte unterschiedliche Sender und Receiver. Die meisten waren auf Langstreckendistanzen ausgerichtet, wie beispielsweise der Interstellar-Kom-Transceiver zur Kommunikation mit Schiffen im Orbit des Planeten. Kargan hatte ihn zum Kommunizieren mit Grazens von der RS Terranigma benutzt.
Doch ein Receiver war für die Umgebung der Station konstruiert: Der Terra-Kom-Receiver. Der TKR war für Signale in einem riesigen Bereich von Wellenspektren sensibilisiert. Er empfing demnach Signale, die irgendwo in hundert Kilometern Radius um die Station ausgingen.
Kargan hatte in seiner bisherigen Zeit auf Andragon Outrange 15 noch nie einen Mucks aus den Lautsprechern des TKRs gehört. Warum auch, dachte er sich. Es war absolut nichts um die Station herum, das ein Kom-Signal erzeugen konnte, wie auch die Oberflächen- und Geologieabteilung bestätigt hatte. Und Grummhyänen konnten nicht funken ...
Das Geräusch, das er nun aufgrund der Entfernung zu den Lautsprechern nur sehr leise vernahm, machte ihn stutzig. Er wartete am Fuß der Leiter.
Aber es kam nichts mehr.
Hatte er sich nur verhört? Wahrscheinlich war es bloß ein Zyanidskorpion, der mit seinem Stachel gegen die Flarretglasscheibe kratzte und ihn ärgern wollte, dachte Kargan grimmig.
Er wartete noch einige weitere Infidelis-Sekunden und ging dann zur Treppe in Richtung Werlands Büro.
»Machen sie sich keinen Kopf«, murmelte Werland, nachdem Kargan ihn auf den Generator angesprochen hatte. Werland schien mit seinen Gedanken vielmehr bei dem Außeneinsatz zu sein. Er war über seinen Schreibtisch gebeugt und hatte seine Lesebrille aufgesetzt. Vor ihm lagen ein Script-Pad und einige Zettel, die er mit Falten auf der Stirn zu studieren schien.
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