Mit dem Gedanken, dass schon alles seine Richtigkeit haben wird, fallen mir die Augen zu. Das Bewusstsein ergreift die Gelegenheit und stiehlt sich leise davon, die ganze mich umgebende Welt gleich mit sich nehmend.
Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen habe, aber als ich erwache ist das Feuer noch munter am brennen. Es scheint sich sogar vergrößert zu haben, denn ich bin mir ziemlich sicher keine so dicken Äste aufgelegt zu haben. Verwirrt reibe ich mir die Augen und erfahre nach dem Auftauchen von Maya den zweiten Schock an diesem Tag. Mir direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Lagerfeuers, sitzt ein bärtiger Mann, mich freundlich anlächelnd. Der Schalk in seinen durch die Flammen golden leuchtenden Augen nimmt ihn sofort für mich ein und der erste Schreck beginnt sich schnell aufzulösen. Mich wundert nur wie einfach ich überrascht werden kann. Könnte ja sonstwer sein, der sich hier nachts herumtreibt.
Nein, ein „Sonstwer“ bin ich nicht, auch wenn ich mir ehrlich gesagt gar nicht so sicher bin was das ist. Aber wer weiß was sich in deiner Vorstellungswelt für Typen herumtreiben. Deinem staunenden Blick nach scheinst du mich nicht zu erkennen, also will ich mich erst mal vorstellen. Ich glaube einen richtigen Namen hatte ich nie, oder ich habe ihn einfach vergessen, also nenne mich einfach... . Blöd, jetzt fällt mir natürlich nichts ein. So helfe mir doch ein wenig und suche einen Namen für mich aus, lass deiner Fantasie ruhig freien Lauf, einer scheint so gut wie der andere zu sein.
Unter Druck stehend scheint der Verstand Schwierigkeiten zu haben. Mit seiner von ihm selbst so hoch gehaltenen Spontanität ist es dann wohl nicht mehr so weit her. Doch warte, da fällt mir etwas ein, ich werde dich Hägar nennen. Nicht weil du mir so schrecklich erscheinst, sondern weil du mich so schrecklich erschreckt hast. Doch sag mir zuerst, bist du eine wirkliche Person oder nur eine Erscheinung, eine mir erscheinende Traumfigur?
Worin besteht denn der Unterschied? Aber zu deiner Beruhigung, ich bin so wirklich wie du selbst. Seit deinen Erfahrungen im Grenzland bist du wohl etwas sensibel in Bezug auf andere Personen geworden. Suchst du denn immer noch den wahren Menschen? Ich dachte mit diesem Thema wärst du durch.
Diese Umgebung hier provoziert wohl das Hochkommen von Erinnerungen an das Grenzland und den Grenzwächter, den ich dort verkörperte. Schau dich doch um, siehst du nicht diese ganzen wie geschlossene Schranken daliegenden Stämme? Seit ich hier sitze hat der unermüdliche Wind schon wieder zwei weitere geschlossen.
Du meinst wohl die Bidones, diese Agavenstämme die hier überall herumliegen. Das sind keine Schranken, das ist hervorragendes Baumaterial. Wegen denen bin ich übrigens hier, das Dach meiner Hütte ist stellenweise eingebrochen und da Holz hier ziemlich rar ist benutze ich sie als Dachbalken. Du hast witzige Ideen, Schranken... Obwohl mein Nachbar sie mal als solche benutzte um ein Gehege für sein Maultier zu bauen. Das Biest wollte sich laufend davonmachen, woran meine Maultierdame vielleicht nicht ganz unschuldig war. Ihm wurde aber ziemlich schnell klar dass sich ein Maultier nicht von diesen Stämmen aufhalten lässt. Es hat so lange darauf herumgekaut bis ein kleiner Druck zum Durchbrechen genügte.
Aber wie sieht es denn mit deiner Beschränktheit aus? Lässt du dich noch immer von deinen eigenen Schranken beschränken?
Ich kaue schon so lange darauf herum dass sie eigentlich jeden Moment von alleine zerbrechen müssten. Da bin ich wohl ebenso stur wie dein Maultier. Doch mich interessiert viel mehr weshalb du von meiner Vergangenheit als Grenzwächter weißt, woher du mich so gut zu kennen scheinst, obwohl an dich hier gar keine Erinnerung besteht. Wenn du nicht behaupten würdest, ebenso wirklich wie ich selbst zu sein, würde ich dich glatt für ein Fantasieprodukt meiner überreizten Sinne halten, als Vorstellung meiner Gedankenwelt.
Bist du denn nicht selbst auch nur eine Vorstellung deiner selbst? Wenn du dies in Betracht ziehst, und das musst du jetzt zwangsläufig, dann hätte meine Behauptung, so real wie du selbst zu sein, wieder Gültigkeit. Schau mal, wenn ich eine Vorstellung von dir bin und du eine Vorstellung von mir, was ist dann das Gemeinsame und was ist der Unterschied?
Da gibt es nicht viel zu überlegen. Die Vorstellung, also die Tätigkeit an sich ist das Gemeinsame, und der Inhalt der Vorstellung ist das Unterschiedliche. Beide sind wir also Vorstellungen, das haben wir gemeinsam, Und was wir gemeinsam haben, das eint uns auch. Der Punkt, aus dem du als Vorstellung von mir aus gehst und der Punkt, aus dem ich als Vorstellung von dir ausgehe, müsste dann ein und derselbe Punkt sein. Der Punkt, in dem “Ich“ und “Du“ getrennt werden, aber auch wieder zusammenfließen.
Grundlegende Sache, dieser Punkt. Der Ort, an dem “ich“ und “du“ entstehen, der Ort, an dem meine ganze Welt entsteht. Und natürlich ebenso deine Welt. All das Erscheinende erscheint aus diesem Punkt. Ich bin dieser Punkt, man kann auch sagen dieser Punkt ist das “Ich bin“. Dort bin ich der Grenzwächter, und dort bin ich der Stämme sammelnde Hägar. Für den Grenzwächter sind diese Stämme sich öffnende und schließende Schranken, für Hägar sind sie Baumaterial für seine Hütte. Obwohl wir beide in derselben Welt zu sein scheinen, befindet sich doch jeder in seiner eigenen Vorstellungswelt. Doch vor dieser Vorstellungswelt, da sind wir eins. Beide bringen wir sie aus uns hervor. Hier erscheint die Rolle des Hägar, die von dir ausgearbeitet und geformt wird. Dort erscheint die Gestalt des Grenzwächters, die von mir mit einem Erscheinungsbild und Eigenschaften versehen wird. Doch der in den Gestalten steckende ist derselbe, ich stehe mir also selbst gegenüber und du stehst dir gegenüber. Dieses angebliche Gegenüberstehen, seien es nun Personen wie “Hägar und der Grenzwächter“ oder andere objekthafte Dinge wie “der Wanderer und die Welt die er durchwandert“, ist also eine große Täuschung.
Und mit den Erfahrungen verhält es sich ebenso wie mit den Erscheinungen. Jeder von uns scheint seine eigenen Erfahrungen, die sich aus seinen Neigungen, Glaubensvorstellungen und Konzepten heraus entwickeln, zu machen. Unzählige Erfahrungswelten, die doch alle aus einem einzigen Sein entspringen. Unzählige Erfahrungen, die auch alle wieder in ein einziges Sein zurückfließen.
Und dieses einzige Sein, aus dem alles hervorkommt, ist das das übergeordnete Prinzip das wir Gott nennen? Dieser ominöse Punkt, der göttliche Funke der alles belebt und aus dem alles hervorkommt ist also....
...Reines Bewusstsein, Körperlos, das Ich bin.
Der Gottesbegriff im Judaismus, “Yhwh“, oder “Ich bin, was ich bin“. Das allumfassende Bewusstsein das es sich selbst ermöglicht zu wissen dass es existiert.
Dieser Punkt ist das Nichts, also eigentlich ein Nicht-Punkt, aus dem alles hervorkommt, der aber auch alles umschließt, umfasst. Der Ozean des Seins mit all seinen aufsteigenden Wellen die wieder in ihn zurückfallen.
Der Ozean, Ort meiner Sehnsucht. Die Erinnerung daran scheint hier langsam zu verblassen. Wurde ich, um bei dem Vergleich der Welle zu bleiben, zu weit an Land gespült um wieder zurückzufließen? Ein Auslaufmodell, das sich hier in dieser Wüste totläuft. Entschuldige Hägar, aber die Müdigkeit beginnt wieder mit aller Kraft an mir zu zerren. Mir fehlt im Moment die nötige Energie, um diesem Gedankenspiel die nötige Konzentration zu widmen.
Das ist in Ordnung, denn auch meine Augen werden mir schwer und verlangen nach einer Mütze voll Schlaf. Gewähren wir dem Körper das nach dem ihm verlangt und lassen den Mantel des Nicht-Seins über uns fallen.
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