„Wie wäre es, wenn ich dich um 21:45 Uhr abhole?“
„Einverstanden, dann habe ich genug Zeit, um einzukaufen und meine Wohnung vorzubereiten. Früher am Abend ist sowieso nicht so viel los.“
Als Sophie an die Theke des Coffee Shops kommt, ist Lena schon sehr aufgeregt: „Hast du ihn gesehen?“
„Wen soll ich gesehen haben?“
„Na den Typ, den ich dir gestern schon zeigen wollte, der war gerade eben wieder da und hat sich einen Coffee to go geholt. Er muss dir doch begegnet sein. Nachdem er hinausgegangen ist, bist du herein gekommen.“
„Ach so, der Typ an der Eingangstür.“
„Ja, genau der. Sieht der nicht wahnsinnig gut aus? Der würde so gut zu dir passen. Was meinst du? Gefällt er dir? Er muss dir gefallen, die rehbraunen Augen, die dunkelbraunen Haare, stattliche durchtrainierte Figur. Na, sag schon, was meinst du?“
„Nun krieg dich mal wieder ein, du bist ja wie aufgezogen. Ich habe gerade meine High heels ruiniert.“
„Was? Ja, blöd gelaufen mit deinen Schuhen – aber was sagst du zu ihm??“
„Zu wem?“
„Na zu dem Adonis, der dir gerade bei der Eingangstüre begegnet ist, den ich dir gestern schon zeigen wollte und von dem wir schon fünf Minuten lang reden!!“
„Ach so. Na ja, ich weiß nicht recht. Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken.“
„Was muss man denn da nachdenken – du hast ihn gesehen und dann weiß man doch auch schon, ob einem jemand gefällt oder nicht!“
„Lass es gut sein, Lena, ich will nicht verkuppelt werden!“
„Ich will dich nicht verkuppeln, ich will nur wissen, ob er dir gefällt und dann gebe ich auch schon Ruhe!“
„Na gut, damit ich meinen Frieden habe und wir uns über wichtigere Dinge unterhalten können – kann schon sein, dass er gut ausgesehen hat. Ich habe nicht genau hingesehen.“
„Aber das, was du gesehen hast, hat dir gefallen?“
„Ja-a, das bisschen, was ich gesehen habe, war glaub ich, nicht so übel. Bist du nun zufrieden?“
Ja, nun war Lena zufrieden. Kein durchschlagender Erfolg, aber immerhin ein Anfang! Langsam in winzigen Schritten versucht sie schon lange, Sophies Mauer, die sie um sich herum gebaut hat, zum Zerbröckeln zu bringen.
Außerdem hatte heute Lena Zeit, Max genau zu betrachten, während sie ihm den Kaffee zubereitet hat. Eigentlich sieht er aus wie ein Macho, aber hinter der Fassade steckt bestimmt ein anständiger Mensch.
Sie schiebt ihre Gedanken beiseite, als Lukas in den Coffee Shop kommt und übers ganze Gesicht strahlt. Lukas ist 12 Jahre alt und der Sohn von Elke, die zusammen mit ihrem Mann Christian das Blumengeschäft nebenan führt. Fast täglich kommt er herüber und holt Kaffee für seine Eltern oder Kuchen für sich selbst. Heute bestellt er einen Schokomuffin.
„Ich nehme ihn heute nicht mit nach Hause, ich esse ihn bei dir“, sagt er entschlossen und setzt sich an die Theke neben Sophie.
Unterdessen führen Sophie und Lena ihre Unterhaltung fort und verabreden sich für heute Abend, 21 Uhr, in Jimmys Bar. Nachdem Sophie einen Schinken-Bagel gegessen und einen Cappuccino getrunken hat, verabschiedet sie sich schnell von Lena. Sie muss sich beeilen, wenn sie noch einkaufen und duschen will, bevor sie sich am Abend wieder treffen.
Kurze Zeit später füllt sich langsam Sophies Einkaufskorb mit Vollkornbrot, einem Glas Nutella und Früchtemüsli. Im Vorbeigehen greift sie noch nach einem Liter Milch, den sie zu den anderen Waren legt. Duschgel fehlt noch.
Max steht indessen schon in der Schlange an der Kassa im Supermarkt, er hat das übliche Frühstück für „den Morgen danach“ schon in der Hand – Orangensaft, etwas Schinken, Käse und Marmelade, als ihm plötzlich einfällt, dass seine Kondomschublade zu Hause leer ist. So drängelt er die Menschenschlange zum Unmut der anderen Wartenden zurück, um nochmals den ganzen Laden zu durchlaufen. Endlich erreicht er den Gang mit den Hygieneartikeln und geht zielstrebig auf die Kondome zu. Die Marke, die er gewöhnlich benützt, ist heute leider ausverkauft, sodass er sich nicht entscheiden kann, welche er kaufen soll.
Sophie steht mit dem Rücken zu Max, zirka zwei Meter weiter unten im Gang. Sie kann ihr Lieblingsduschgel nicht finden. Alles sieht heute im Regal anders aus, offenbar wurde es neu eingeräumt. Konzentriert blickt sie im Real auf und ab, als plötzlich einen Meter von ihr entfernt eine Flasche Haarshampoo neben ihr aus dem Regal fällt.
Wie konnte das passieren? Niemand hat die Flasche angegriffen? Was soll man denn davon halten?
Max hört zwar das Aufschlagen der Flasche, kümmert sich aber nicht weiter darum.
Paul ist genervt.
„Eine Erziehung haben die jungen Männer heutzutage. Na egal, dann helfe ich ein bisschen nach!“
Er packt Max den Schultern, dreht ihn sanft um und übt einen leichten Druck aus, damit er sich bückt und die Shampoo-Flasche aufhebt. Max kann Pauls Berührung nicht spüren, aber ohne es zu wollen, bückt er sich nun und hebt die Flasche auf. Er gibt sie Sophie, weil er glaubt, sie hätte sie fallen gelassen.
Eigentlich wollte sie sagen, dass sie es gar nicht war, die die Flasche runter geworfen hat, aber die Worte kommen einfach nicht über ihre Lippen, statt dessen purzelt ein unbeholfenes Dankeschön aus ihrem Mund.
Paul ist für den Moment zufrieden. Ein weiteres Treffen in Jimmys Bar hat er für heute sowieso noch geplant.
Immer noch verdutzt, sieht Sophie Max nach und erst als er aus ihrem Blickfeld verschwunden ist, fängt sie sich wieder und findet sogar noch ihr Lieblingsduschgel. Nach dem Bezahlen macht sie sich am Nachhauseweg schon Gedanken darüber, was sie heute Abend anziehen soll. Sie möchte gut aussehen, aber nicht zu sexy, weil sie ja keine Männer anlocken möchte. Es sollte aber auch nicht zu langweilig aussehen, bloß nicht langweilig!
Kapitel 4 – Sophie und Lena in Jimmys Bar
Zu Hause angelangt, stellt sie die Einkaufstasche auf den Küchentisch und geht sogleich ins Bad unter die Dusche. Während das warme Wasser auf Sophies Haut herunterprasselt, malt sie sich schon in Gedanken aus, wie sie nach dem Abtrocknen in aller Ruhe bei guter Musik und einer Tasse Kaffee die Fingernägel lackiert und dabei die ihre Lieblingsmodezeitung durchblättert.
Ein paar schöne Gedanken später steigt sie aus der Dusche heraus, als es unerwartet an der Haustür klingelt.
„Auch das noch!“
Gestern waren die Zeugen Jerosas da, da hat sie die Tür aber nicht aufgemacht. Heute passt es Sophie genauso wenig wie gestern, um mit denen zu sprechen, das Problem ist nur, die kommen so oft, bis sie jemanden antreffen, um ihre Botschaft zu verkünden. Schnell wickelt sie sich ein Handtuch um und geht widerwillig zur Tür. Beim Öffnen holt sie tief Luft, um ihrer Stimme genug Lautstärke zu verleihen. Sie hat absolut kein Bedürfnis, ihren Glauben zu wechseln. Statt den Zeugen Jerosas steht Alfred vor ihrer Tür.
Bevor sie etwas sagen kann, fängt Alfred zu erzählen an.
„Du kannst dir nicht vorstellen, was heute in der Werbeagentur noch los war, nachdem du gegangen bist!“
Ohne ihn hereinzubitten, geht Alfred einfach in Sophies Wohnung, so als wäre es seine eigene und obwohl er noch nie bei Sophie zu Hause war.
„Woher weißt du, wo ich wohne?“
Alfred ist wirklich der letzte, mit dem sie gerechnet hätte. Nachdem er sich in ihrem großen, breiten, weich gepolsterten Ohrensessel zurückgelehnt und die Füße hochgelegt hat, antwortet er ganz gelassen.
„Deine Adresse hab ich natürlich vom Chef. Er hat den Würstchen-Auftrag – du weißt schon, den Millionen-Deal mit Willis-Würstchen an Land gezogen, wenn wir bis Montagabend erste Entwürfe liefern können. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen. Stell dir nur mal vor, wie hoch da unsere Prämie wäre! Also worauf warten wir? Fangen wir an zu arbeiten!“
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