„Mir geht es hervorragend, vielen Dank.“, antwortete er nun aufrichtig. „Allerdings mache ich mir nun Sorgen, da du mich aufsuchst.“, räumte er verlegener ein.
Orlando lächelte still und nahm diesen Einwand nicht persönlich. „Ich war zufällig in der Gegend.“, sagte er.
„Natürlich.“, erwiderte Baran voller Ironie. „Von Spanien aus ist es nach London ein Katzensprung, nicht wahr?“
Orlando musste lachen. Seine Ausrede war zu offensichtlich gelogen gewesen, aber dies war ihnen beiden ohnehin bewusst, sodass er sich keine Mühe machte, glaubhaft zu lügen. „Ich bin hier, weil ich bald in den Irak reise.“, antwortete er nun ehrlich. „Vielleicht willst du mich begleiten?“
Das Lächeln wich aus Barans Gesicht und er sog nervös an seiner Zigarette. Der Stress, den sein altes Leben mit sich gebracht hatte, hatte maßgeblich zu seiner damaligen schlechten gesundheitlichen Verfassung beigetragen. Und er wollte dieses stressige, gefährliche Leben nicht erneut gegen sein nun so bequemes Leben in England tauschen. Nervös machte ihn die Aufgabe, die nun vor ihm stand: Aden Hall einen Wunsch abzuschlagen. Er mochte diesen undurchschaubaren Europäer, aber er wollte sich nicht seinen Zorn zu ziehen. Nicht unbedingt wegen der ungewöhnlichen Freundschaft, die sie verband, sondern weil ihm viel an seiner Gesundheit gelegen war. „Nein, wirklich nicht, mein Freund.“, überwandt er sich. Er fürchtete ihn nicht, er hatte Respekt vor ihm. „Als ich das letzte Mal mit dir gegangen bin, hat es mich beinahe den Kopf gekostet.“
Orlando erinnerte sich, es war keine Metapher. „Aber du warst mir auch eine große Hilfe.“, sagte er dennoch. „Wir müssen uns überlegen, wie wir unauffällig an Waffen kommen und ich dachte dabei an dich, weil du gute Kontakte zum Zoll und zu den iranischen Behörden hast.“ Orlando wusste, dass Baran, auch wenn er nun zurück gezogen lebte, noch immer seine Kontakte pflegte. Und er erfuhr alles, was es zu erfahren gab. Die Bindung an sein Heimatland war nicht abgerissen und somit auch nicht das Interesse am Nachbarland.
Baran nickte zustimmend. Es war sinnlos vor diesem Mann zu leugnen, denn er besaß ein übernatürliches Gespür dafür, Lügen aufzudecken. Und doch machte es ihn zunehmend nervös, dass er ausgerechnet auf den Irak zu sprechen kam. „Im Iran, aber wir sprechen hier von dem Irak, nehme ich an.“, sagte er und hoffte, auch für die Gesundheit seines Freundes, dass es ihm den Wind aus den Segeln nehmen würde. Die Wolken über dem Irak verdüsterten bereits das Land, ein Krieg war für einen Kenner unvermeidlich. Und nachdem Aden bereits vom Waffenschmuggel sprach, war es offensichtlich, dass auch er Bescheid wusste.
„Der Iran liegt neben dem Irak.“, sagte Orlando unbeirrt. Es wäre nicht das erste Mal, dass er auf diesem Weg Waffen ins Land schmuggeln würde. „Wir könnten über Ahvaz fliegen und von dort in den Irak übersetzen. Wenn du mit mir reist, werden weniger Unschuldige sterben.“
Baran blickte auf und versuchte Unentschlossenheit in den Augen seines Gegenübers zu finden, stattdessen wurde ihm nur noch deutlicher bewusst, wie ernst es seinem Besucher war. Er seufzte. „Ich werde nicht mehr aus England abreisen, um mich dem Tod an den Hals zu werfen, Aden.“, sagte er aufrichtig und versuchte damit seiner Entschlossenheit in dieser Sache Ausdruck zu verleihen. „Aber ich werde dir einige Namen nennen. Von diesen Leuten wirst du vor Ort Hilfe bekommen, falls du die überhaupt brauchen solltest. Wenn sie deinen Namen nicht kennen sollten, nenne ihnen meinen.“
Orlando nickte. Eine solche Entwicklung hatte er erwartet. Baran war mit seinem friedlichen Leben in London zufrieden. Er war nicht der Typ Mensch, der sich gerne in Gefahr begab oder auch nur bereit war, Wagnisse einzugehen. Damals hatte er es getan, weil er im falschen Land aufgewachsen war und er überleben musste. Dies hatte sich nun geändert und so hatte Orlando nicht aufrichtig angenommen, dass er sein neues Leben erneut aufs Spiel setzen würde. Es ging Baran, anders als ihm selbst, nicht um Werte wie Freiheit oder Loyalität. Er hatte niemanden, den er beschützen oder helfen wollte, niemanden außer sich selbst. Vor etwa viereinhalb Jahren waren sie zusammen über den Iran in den Irak gereist. Damals hatten sie die Grenze mit ein paar Pfund Sprengstoff in den Taschen überschreiten wollen und waren dabei von den Zollbeamten erwischt worden. Zu der Zeit hatte Orlando sich nicht lange bitten lassen und sich einen erbitterten Kampf mit den Beamten geliefert. Er war 24 gewesen und hatte nichts gehabt, dessen Verlust er bedauert hätte. Er war selbstzerstörerisch, weniger beherrscht und hatte sich kaum einen Plan zurecht gelegt um ein Ziel zu erreichen. Auch Baran hatte sich mit den Schusswaffen verteidigt, die sein Freund immer bei sich zu haben schien –damals wie heute-, obwohl er sehr religiös war und ihm eigentlich nichts ferner gelegen hatte, als Menschen das Leben zu nehmen. In diesem Gefecht damals war Baran eine Pistolenkugel am Kopf vorbei geschossen und hatte noch seine Wange eingerissen. Die Narbe, die er seither trug, gemahnte ihn daran, ein gottesfürchtiges, friedliches Leben zu führen, so zu sagen, um Buße zu tun. Orlando hatte damals im Iran eine Schussverletzung im Bauchbereich erlitten, war jedoch durch ärztliche Hilfe bald genesen. Während Orlando sich nicht mehr mit den Erinnerungen an diesen Zwischenfall beschäftigte und diese Narbe nur eine unter vielen an seinem Körper war, schien Baran es nicht nur nicht vergessen zu können, sondern er erinnerte sich auch absichtlich, reumütig daran. Aus diesem Grund gelang es Orlando Verständnis für seinen Bekannten aufzubringen. Baran war nicht für den Krieg geschaffen, ganz gleich wessen Krieg es war. Damals hatte sich ihm der Iraner nur angeschlossen, weil Orlando ihm die Flucht nach Europa ermöglichte. Er wusste, dass er Aden Hall sein neues Leben verdankte, aber ebenso gut erinnerte er sich an den Leichtsinn dieses Mannes, durch den er beinahe sein Leben verloren hätte. Er sah sich nicht verpflichtet, mit ihm auf gefährliche Reisen zu gehen.
Baran reichte ihm einen Zettel, auf den er einige wichtige Namen und deren Positionen aufgeschrieben hatte. „Ich muss mich entschuldigen, mein Freund, aber ich sehe mich wirklich nicht Imstande wieder den gleichen Weg einzuschlagen, den wir bereits vor fünf Jahren beschritten haben.“, sagte Baran schuldbewusst. „Ich kann nur für dich beten und hoffen, mein Freund. Hoffentlich wirst du dieses Mal weniger Probleme bekommen.“
„Ich danke dir, Baran.“, sagte Orlando förmlich. Er war weder enttäuscht, noch wütend über die Entscheidung des Iraners. Da Orlando noch nicht wusste, wie er an die Waffen gelangen sollte, wollte er noch ein paar Tage in London verbringen um weitere Bekannte aufzusuchen. Seinen Vater konnte er nicht fragen, denn dieser wusste nicht, dass sein Sohn mit den Irakern sympathisierte und somit schieden auch alle Kriminellen aus, die mit seinem Vater zu tun hatten. All jene zu umgehen, war nun die eigentliche Schwierigkeit.
Ursprünglich hatte Orlando Baran um eine Übernachtungsmöglichkeit bitten wollen, aber nun, wo er gesehen und vor allem gerochen hatte, wie dieser Mann hauste, entschied er sich anders. Er würde sich doch ein Hotelzimmer nehmen müssen, auch wenn die Russen vermutlich eben dort zuerst suchen würden. Niemand hatte ihn erkannt und er würde sich nicht unter seinem richtigen Namen ein Zimmer nehmen, sodass auch zu seinem Vater keinerlei Rückschlüsse angestellt werden könnten.
Orlando erhob sich.
Baran tat es ihm augenblicklich nach. „Unterrichte mich bitte, wie es dir ergangen ist und grüße meine Freunde recht herzlich.“
Orlando nickte. „Das werde ich.“, sagte er, obgleich er sich dessen nicht sicher war. Die beiden Männer reichten einander die Hände. Schließlich konnte Orlando sich einen Kommentar zur Behausung seines Freundes nicht verkneifen. „Vielleicht bist du bis zu unserem nächsten Wiedersehen in eine Wohnung gezogen, die weniger an eine öffentliche Toilette erinnert.“
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