Jessicas Furcht wollte einfach nicht weichen. Noch immer befand sich ein Terrorist in der First Class, auch wenn der brutale Anführer und die schwarzhaarige Frau die Kabine inzwischen verlassen hatten. Wahrscheinlich, um sich wegen irgendetwas mit den anderen abzusprechen. Nagamoto war eingesperrt. Jetzt gab es niemanden mehr, der diesen Verbrechern Widerstand entgegenbrachte.
Der furchtlose, unbezwingbare Nagamoto. Jessica begann, ganz neuen Respekt für ihn zu empfinden. Sie hatte gesehen, wie er dem Blick des Terroristen begegnet war und wie der Lump vor seinem letzten Faustschlag zögerte. Es stimmte: Nagamoto besaß eine Ausstrahlung, die andere kleinlaut werden ließ, sogar Terroristen. Jetzt war er jedoch weggesperrt wie ein gefährliches Tier. Jessica fühlte sich überhaupt nicht mehr beschützt, war vollends der Furcht preisgegeben. Als würde das an Unglück nicht schon genügen, begann die Maschine plötzlich zu zittern. Durch die Fenster konnte sie sehen, dass sie sich einem Unwetter näherten. Überall flammten grelle Blitze auf, ein stetiges Donnern und Grummeln drang von draußen herein.
In diesem Augenblick geschah etwas, mit dem sie niemals in ihrem Leben gerechnet hätte.
John Fizzler schnallte sich los.
Schwankend erhob er sich und trat hinaus auf den Gang. Der Musiker zitterte wie Espenlaub, die Angst stand ihm in sein leichenblasses, glattes Milchgesicht geschrieben. Er schwitzte wegen der unerträglichen Hitze. Dennoch stand er da und rührte sich nicht vom Fleck – was ihm schließlich die Aufmerksamkeit des Terroristen einbrachte.
»Hey«, fauchte der wütend, packte sein Gewehr mit beiden Händen und stampfte auf Fizzler zu.
Jessica sah dem jungen Punk an, dass er am liebsten davonrennen wollte. Eine unbekannte Macht schien ihn jedoch an Ort und Stelle festzuhalten.
»Setz dich sofort wieder hin, du Penner! Setz dich hin! Setz dich hin! Setzt du dich verflucht noch mal endlich hin!«, brüllte der Terrorist. Er stand nun direkt vor Fizzler, ihre Nasen nur Zentimeter voneinander entfernt. Der Kerl war fast einen Kopf größer, dennoch rührte sich der schmächtige Punkrocker nicht. Stattdessen brüllte er zurück. »Du blödes Arschgesicht! Es gibt hier an Bord eine schlimmere Macht als dich oder jeden deiner beschissenen Kumpel!«
Der Terrorist war zwar trainiert, jetzt war er jedoch zu überrascht, um schnell genug zu reagieren. Mit einem abscheulichen Heulen stürzte sich Fizzler auf ihn, sprang ihn wie ein Raubtier an. Er packte das Gewehr mit beiden Händen, versuchte, es an sich zu reißen. Der Kämpfer stolperte zurück, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Ganz seiner neu entdeckten Raubtiermanie entsprechend, biss Fizzler zu, dem Terroristen in den Hals. Blut spritzte zwischen seinen Zähnen hervor, der Kämpfer stieß einen lauten, heulenden Schmerzensschrei aus.
Gerade in diesem Moment kam Johan aus dem Cockpit zurück. Durch die offene Tür sah er Otto stürzen und Blut spritzen – entsicherte sein Gewehr und stürmte vorwärts. Er brüllte, doch der irre Punk ließ sich nicht vertreiben. Johan zielte, bereit, Fizzler das Leben aus dem Leib zu pusten.
Jessica reagierte mehr instinktiv als bewusst. Sie sah den Hünen heranstürzen. Schnell wie der Blitz streckte sie ihr rechtes Bein in den Gang und brachte den Terroristen zu Fall. Im gleichen Augenblick sprangen die anderen Mitglieder von Fiz-Fish-Ass auf und warfen sich brüllend auf Johan und Otto, ihren Leadsänger unterstützend, wo sie nur konnten.
Es kam zu einem wilden Gerangel. Die Punks rissen den Terroristen büschelweise die Haare aus, droschen mit aller Gewalt auf sie ein – wie eine Horde tollwütiger Affen. Jessica wagte nicht, genau hinzusehen, aber sie konnte erkennen, wie Fizzler seine dürren Finger in das Gesicht des hakennasigen Terroristen krallte. Mit einem irren Fauchen quetschte er Hakennase die Augen. Der schrie gellend auf und wand sich zur Seite, ein Blut quoll aus seiner rechten Augenhöhle.
Johan hatte mehr Glück. Er trat mit den Füßen um sich, hielt die Punks auf Distanz. Nur der Drummer hockte direkt auf ihm und versuchte, ihm die Waffe aus den Händen zu ringen. Johan ließ sie los, packte dafür den Kopf des Drummers mit beiden Händen. Mit einer ruckartigen Bewegung hatte er dem Aufständischen das Genick gebrochen. Jetzt schaffte er es, seine Waffe in Anschlag zu bekommen, und gab drei Schüsse ab.
Einer traf in die Stirn des Keyboarders, die anderen beiden erwischten Ira Fisher in der Brust, durchbohrten seinen Körper und schlugen knallend in die Decke ein. Alle Passagiere – und auch Johan – hielten die Luft an. Nichts passierte. Fishers Körper hatte die Geschosse schon so weit abgebremst, dass sie die Hülle des Flugzeugs nicht beschädigen konnten. Der Punk sackte tot zusammen. Die verbliebenen vier Mitglieder der Band ließen sich durch den Tod ihres Leadgitarristen und der anderen beiden indes nicht entmutigen. Wieder stürzten sie sich johlend auf Johan und Otto, und wieder brachte der schwedische Killer sein Gewehr in Anschlag.
Keinen Herzschlag später wurden alle in die Luft gehoben, als die Supersonic von einer unsichtbaren Faust getroffen wurde.
Einer Bombe gleich schlug Otto in die Deckenverschalung ein. Im nächsten Moment prallte er wie ein Gummiball auf den Boden und dann gegen die Kabinenwand. Es knackte schaurig. Leblos wie ein nasser Sack blieb sein Körper liegen. Johan landete irgendwie zwischen zwei First-Class-Sesseln, auch die überlebenden vier Rocker von Fiz-Fish-Ass schleuderten gemeinsam mit den Leichen ihrer Bandmitglieder wild herum. Ottos Gewehr wurde zu einem gefährlichen Geschoss, das Köpfe traf und Platzwunden verursachte, bis es in Richtung Businessclass davonsauste. Im Durchgangsbereich traf es Alec auf die Brust und schickte ihn mit einem Keuchen zu Boden.
Auch im übrigen Flugzeug wurden Gegenstände und Terroristen herumgewirbelt wie Laub im Sturm. Tabletts, Bücher, Becher, lose Gepäckstücke, alles wurde zu Geschossen. Jeder zog den Kopf ein, wenn er es konnte. Das Auf und Ab der Supersonic , als wäre sie das Lieblingsspielzeug im Maul eines Hundes, schleuderte die Menschen in ihren Sicherheitsgurten herum. Überall das panische Geschrei der Passagiere und das wütende Fluchen der Terroristen.
Tom sah eine Videokamera auf sich zukommen. Er duckte sich, schaffte es nicht ganz, und das Geschoss streifte seine Stirn, wo es einen blutigen Striemen hinterließ. Veyrons Reaktion war blitzartig. Mit beiden Händen schnappte er sich die Kamera. Anstatt sie jedoch auf den Boden zu legen oder zwischen den Beinen einzuklemmen, zielte er in die Richtung, wo sich die drei Terroristen an Sesseln festklammerten. Er traf den Riesen am Hinterkopf. Tom sah, wie der Kerl nach vorn kippte und aufschlug.
»Einer weniger. Hoffentlich halten diese Turbulenzen noch ein wenig an. Die sind wirklich hilfreich«, schrie Veyron zu Tom, um das panische Geschrei der Passagiere zu übertönen.
Tom schüttelte nur den Kopf. »Sie haben doch echt einen Schatten«, entgegnete er heulend.
Über Veyrons Gesicht huschte nur ein vergnügtes Lächeln.
Im Cockpit kämpften Hotchkiss und Grant um ihr Flugzeug. Es verlor rasend schnell an Höhe, stieg dann ebenso schnell wieder. Mal kamen gewaltige Winde von der Seite, mal von oben, mal von unten. Überall irrlichterten die seltsamen Blitze um die Supersonic . Die elektrischen Systeme protestierten, der Stall-Alarm heulte und hupte ununterbrochen.
»Wir verlieren sie! Wir schmieren ab!«, brüllte Grant gegen all den Lärm im Cockpit an.
»Mehr Schub«, befahl Hotchkiss, während er mit der Steuerung kämpfte. »Schalte die automatische Steuerhilfe aus! Wir brauchen die volle Kontrolle!«
»Hier folgt ein Luftloch auf das andere! Die Tragflächen werden abbrechen«, schrie Grant, doch zum Glück war es noch nicht so weit.
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