„Ja und nein. Es ist abhängig von dem Vergehen und meiner Gnade.“
„Ihr wollt mir und meinen Freunden also nicht die Güte erweisen, uns zu begnadigen? Warum?“, konnte Nela ihre Verzweiflung nicht länger zurückhalten.
„Ich finde es äußerst kurzweilig, dass Freya ihre letzte Vanadis an mich verloren hat. Ein Gnadengesuch für Euch von Freya könnte mich durchaus erweichen. Allerdings bezweifle ich, dass Ihr für Freya den Wert besitzt, dass sie Euren Platz hier bei mir einnimmt. Eher wird sie ein neues Vanadis-Geschlecht begründen.“
„Neu?“
„Ja, eine Nacht zur rechten Zeit mit einem Menschen genügt, um eine Walküre oder einen Walkür zu zeugen. Damit unterstünden die Vanadis mit einem direkten Nachkommen auch wieder mehr ihrem Einfluss.“
„Sie hat immer noch ...“
„Lunela“, unterbrach Hel sie erneut, „Freya hat sehr viel Einfluss auf ihre Vanadis-Abkömmlinge verloren. Es begann, als die gesamte Walkürenfamilie Vanadis ohne Freyas Zustimmung nach Midgard ging, um sich ihrer Macht und denen ihrer Töchter zu entziehen. Allerdings vermute ich, dass die Ränkespiele Germinis den Ausschlag gegeben haben. Gersimi Vanadis, eine Meisterin des Ränkespielens. Zwar ist das für Euch unerheblich geworden, da Ihr nun in meine Welt gehört, aber Ihr hättet ein sehr schweres Leben in ihrer Gegenwart geführt. Zumal Euer Meister ihr ehemaliger Geliebter war. Soweit ich weiß, hat Gervarus die Affäre beendet. Ein Umstand, der an Gersimis Ehre gekratzt haben muss. Kein Mann verlässt Gersimi. Nun, Gervarus hat es gewagt, und er wird häufig ihren Intrigen ausgesetzt sein. Und dann seid Ihr, eine Vanadis, auch noch seine Schülerin. Eine äußerst ungünstige Konstellation für Euch.“
„Ich flehe Euch an, Hel. Gewährt mir meinen Wunsch. Ich habe hier keine Perspektive, keine Zukunft.“
„Doch, die habt Ihr. Es gibt nur sehr wenige Alvaren in Hel. Gesetzeshüter werden überall gebraucht.“
„Ich habe gerade erst meine Kenning begonnen. Wenn ich es recht verstanden habe, dauert die erste Phase meiner Alvarenzeit noch 168 Jahre, bis ich kein Kenniger mehr bin. Ohne meinen Meister kann ich meine Kenning nicht vollenden.“
„Doch, das könnt Ihr. Balder wird sich Eurer mit Gewissheit annehmen. Immerhin gehört Ihr auch im weitesten Sinne zu seiner Sebjo.“
„Ich bin die letzte Vanadis. Ich bin die Großpriorin des Ordens der Walküren und Walkür in Midgard. Ich muss meinen Platz einnehmen. Ich kann den Orden nicht im Stich lassen.“
„Euer Kampfgeist und Euer Ehr- und Pflichtgefühl rührt mich. Ich verstehe, weshalb Euch Gervarus als Schülerin annahm. Ihr passt hervorragend zu Forseti. Dennoch werde ich mich nicht erweichen lassen, Lunela.“
„Ich ...“, verzweifelt suchte Nela nach den richtigen Worten.
„Lunela, ich mag Euch, deshalb werde ich Euch ein Geschenk machen, welches Euch unter Umständen einen Sinn gibt, weshalb Ihr nun in Hel verweilt. Hel besteht aus zwei Reichen. Zum einen das Reich der Lebenden und zum anderen das Reich der Toten. Beide Welten sind strikt voneinander getrennt. Während es den Lebenden möglich ist, Hel zu verlassen, da sie nur verbannt wurden, ist es den Toten unmöglich, denn der Tod ist etwas Endgültiges; sie können nicht mehr ins Leben zurückkehren. Allerdings gibt es einen Ort in meinem Reich, der es gestattet, die endgültige Grenze zwischen Leben und Tod zu überwinden. Genauso wie ich beide Seiten in mir vereine, verbindet auch dieser Ort das Diesseits mit dem Jenseits. Lunela, wenn Ihr Euch an diesem Ort befindet, denkt an meine Warnung, Ihr dürft nur die Pforte, durch die ihr den Ort betretet, auch wieder verlassen, wählt Ihr die Pforte zum Totenreich, werdet Ihr sterben. Nur mir ist es gegeben, in beiden Welten zu verweilen. Auch werden Eure Eltern nicht durch die Pforte der Lebenden schreiten können.“
„Ich darf meine Eltern treffen“, konnte Nela es nicht glauben. Tränen stiegen ihr in die Augen.
„Ja. Auch wenn mir bewusst ist, dass diese Begegnung für Euch und auch für Eure Eltern äußerst mitreißend wird, denn es ist von der Natur nicht vorgesehen, dass sich Lebende und Tote begegnen. Aber ich bin davon überzeugt, dass Ihr diese mentale Kraft besitzt, Euch dieser Herausforderung zu stellen und keinen Schaden nehmen werdet.“
„Für wie lange?“
„Da Zeit an diesem Ort keine Rolle spielt, gewähre ich Eurem Vater, Euch zur Großpriorin auszubilden. Meine Wachen werden Euch bald zu diesem Ort geleiten.“
„Ich danke Euch, aber welchen Nutzen hat es hier in Hel, wenn ich Großpriorin bin“, stockte Nela. Ihre Gefühle waren das reinste Chaos. Freude, Trauer, Angst.
„Ein sehr guter Einwand“, bemerkte Hel. „Ihr müsst wissen, dass Lebewesen, die abrupt aus dem Leben gerissen werden, oft keinen Frieden finden, weil sie eine wichtige Angelegenheit nicht vollenden konnten. Euer Vater gehört zu ihnen. Wenn er Euch unterwiesen hat, wird er seinen Frieden finden können.“ Nela bemerkte die Sorge, die in Hels Stimme mitschwang. Verwundert sah sie die Herrscherin an.
„Ich habe den Ruf sowohl nachsichtig und liebenswert, als auch unerbittlich und grausam zu sein. Ich behandele jeden so, wie er es verdient. Euer Vater ist eine gute Seele und daher liegt mir sein Wohlergehen auch im Tode am Herzen. Mir ist durchaus bewusst, dass Ihr in meinem Reich ein Leben unter Mördern, Verbrechern und Frevlern führen müsst. Denkt niemals, dass ich Euch zu denen zähle. Solange Ihr meine Gesetze befolgt, wird Euch von mir keine Gefahr drohen. Allerdings werdet Ihr Euch den Lebensbedingungen in Hel anpassen müssen, ansonsten landet Ihr schneller auf der anderen Seite meines Reiches, als Euch lieb ist. Bevor Ihr geht, hört meine Warnung: Meine Urhunde bestrafen jeden Ungehorsam grausam. Jeder Fluchtversuch wird mit dem Tode bestraft. Jedoch solltet Ihr auch wissen, falls es doch jemanden gelingen sollte, was sehr unwahrscheinlich ist, mein Reich zu verlassen, gebe ich ihn frei, sobald er eine der anderen Welten betritt.“
Nela verbeugte sich, bevor sie von den Wachen zurück zum Palasteingang geführt wurde. Dort überließen sie Nela ihrem Schicksal. Tief atmete Nela durch, um das Zittern unter Kontrolle zu bringen. In Kürze würde sie ihre toten Eltern treffen. Einerseits tobte unbändige Freude in ihrem Herzen, aber andererseits fürchtete sie sich davor. Was würde sie erwarten? Konnte sie es ertragen, die Leichenblässe in den Gesichtern ihrer Eltern zu sehen?
Tragen Sie noch die Spuren der Todesursache? Sind Sie noch dieselben?
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