1 ...6 7 8 10 11 12 ...39 Mit diesem Wissen können Menschen lernen, dass nicht sie die „psychisch Kranken, Schwachen, Untauglichen“ sind, sondern das System krankmachend ist. Damit bekämen sie die Chance, die aus dem kapitalistischen System entstehenden persönlichen Insuffizienz- und Selbstwertprobleme nicht als persönlichen Mangel zu begreifen und zu leben, sondern als kapitalistischen Makel, den sie von sich dahin weisen können, wo er herkommt! Nicht die Arbeitslosen und Besitzlosen sind die Kranken und Unfähigen, sondern das System ist unfähig, unmenschlich und krank – und dafür gibt es Verantwortliche, die sich nicht mehr entziehen dürften. Mit diesen genannten Fachbereichen Psychoökonomie und kapitalistische Psychohygiene könnten Mensch und Wirtschaft die generell wirkende kapitalistische Werteordnung neu einordnen: Der Mensch und nicht der Profit hat an erster Stelle zu stehen – das kann nicht oft genug gesagt werden. :
Insofern entschuldigen Sie, lieber Leser, dass ich mich wiederhole. Wissenschaft, egal wie kapitalistisch instrumentalisiert und abgestützt durch das cartesianische Paradigma, ist letztendlich doch noch ein Mittel, um etwas, wenn auch spät, aber immerhin noch zu untermauern, zu beweisen und zu belegen.
Gegen wissenschaftliche Erkenntnis kann auch der letzte verschrobene und geizige Kapitalist nicht an. Letztlich initiiert sie wieder neue Vermarktungs- und Effizienzideen ebenso wie Kritik. Wenn es nicht anders geht – und es ist nicht von Abschaffung des Kapitalismus auszugehen, es sei denn, er wird so weitergeführt wie gegenwärtig und in den letzten Jahren – muss dem nicht humanistisch einsichtigen Kapitalisten mit Scheuklappen diese letzte Domäne zur Nutzung gelassen werden – aber nicht ohne die Mitteilung der Besitzlosen. Das, was sie zu sagen haben, muss er sich anhören. Denn in unserer Kultur gilt der Stempel „wissenschaftlich” wesentlich mehr als reale Erfahrung von Menschen – das Subjekt, das Individuum war noch nie gewünscht, konnte aber leider bisher nicht wissenschaftlich und philosophisch in der Erkenntnistheorie geköpft und abgeschafft werden. Wirtschaftlich wird es mit Strichcode kodiert, um es zu anonymisieren: Schließlich will man es nicht mit Menschen, mit Individuen zu tun haben. Man möchte nur Zahlen und Code-Nummern. Gewissensbildung ist so radikal reduziert und Denkleistung auf das Wesentliche, auf Einahmen, konzentriert. Ob uns allerdings ausreichend Zeit für wissenschaftliche Nachweise zur Einleitung nachhaltiger Veränderungen bleibt, ist äußerst fraglich. Zeitraubende wissenschaftliche Forschungen, das kann den Ökonomisten nur recht sein; denn dann kann noch lange hin und her diskutiert und das eine oder andere Gewinn bringende Gesetz ersonnen werden. Um dem vorzubeugen, sollte die umfassende Erfahrung der Psychotherapeuten und deren Einsicht in kulturelle Vorgänge herangezogen werden, um möglichst rasch effektive Gegenmaßnahmen einzuleiten – ohne Nachweis mittels langwieriger Forschungen. Diese können aber dennoch parallel initiiert werden; die wissenschaftlichen Ergebnisse lägen dann nachträglich vor.
Personifiziert man das Phänomen „Kultur“, so lässt sich feststellen: Die geistigen Werkzeuge der Kultur greifen Seele, Körper und das Nervenkostüm an − durch permanente Überforderung, Stress, Druck, existenzielle und generelle Verunsicherung über die Veränderung des Lebens in der Welt. All diese Faktoren provozieren Menschen hinsichtlich ihrer psychischen Verarbeitungskapazität zu immer größeren Leistungen und neuen Abwehrstrategien im Dienste des Überlebens einerseits und der gleichzeitigen Steigerung von Gewinnen andererseits. Unten sind diejenigen zu finden, die in diesem Desaster überleben wollen. Sie können sich keine eigenen Ziele setzen, arbeiten abhängig von der Wirtschaft und leben mit den politischen Verordnungen und den entsprechenden sozialpolitischen Gegebenheiten. Vermutlich gibt es in Deutschland nur sehr wenige, die nicht in der einen oder anderen Form mit Konfliktherden unserer Kultur infiziert sind: Sei es am Arbeitsplatz oder durch zu wenig Geld, um die Wohnung weiter bezahlen zu können, Umzüge aus der notwendigen Anpassung an den Standort des Arbeitsplatzes, Mobbing – modernes Mittel für „natürliche Auslese“, Arbeitsplatzabbau und Strukturveränderungen innerhalb des Betriebes –; kulturell aufflammende Probleme in den Schulen; der Konflikt, Arbeit und Kinder unter einen Hut zu bringen; Schwierigkeiten, die Ausbildung zu finanzieren; Bedrohungen durch mangelnde medizinische Versorgung …
Nur Zyniker würden eine derartige Lebenssituation als „ arm, aber glücklich“ beschreiben. Ich neige der Auffassung zu, dass es eine Hierarchie in dem alten Streit zwischen „Materialisten“ und „Idealisten“ gibt. Demnach wäre letztlich der materiell „Arme“ nicht in jeder Hinsicht der „Arme“. Er hätte seine Würde und seine Selbstachtung behalten, seinen Selbstwert aufgrund welcher Prozesse und Umstände auch immer – das ist in der Gegenwart schwerlich möglich, eher unmöglich. Denn die meisten Armen sind mit dem kapitalistischen Denken identifiziert - sie haben sich ihr seelisches und heiles Refugium so wie bescheidene Menschen irgendwo in der Pampa, nicht erhalten können. Die ideologischen Auswirkungen einer völlig gestörten und verkehrenden Werteordnung verunmöglichen den Menschen als menschliches Wesen. Der Kern wird gespalten, so wie der Mensch in dieser Gesellschaft mittels kapitalistischer Wirtschaft und cartesianischen Wissenschaftsparadigma gespalten wird. Hier ziehen zwei mächtige Säulen unserer Gesellschaft und Kultur am selben Strang in eine Richtung. Die Wirtschaft kauft privat Universitäten auf. Dann ist alles in kapitalistischer Hand – bis auf die Kirche. Aber die hat selbst genug Geld und Kapital. Darauf wird sie aufpassen, wenn sie kann. Denn die Bankenpleite wird, wenn sie weltweit durchstartet, auch nicht vor Kirche und Papst halt machen... Dafür haben Vertreter der Kirche in den letzten Jahrzehnten bereits selbst gesorgt: ein Missbrauchskandal reiht sich an den anderen auf eine Kette von Verfehlungen.
Geist ist geil
Unter diesem Slogan wurden vor einiger Zeit Geisteswissenschaftler gesucht, die zusammen mit Wirtschafts- und Finanzexperten neue Systeme ausklügeln sollten. Vermutlich ein journalistischer Ausläufer der Initialzündung „Pro Geisteswissenschaften“, die im Jahr 2005 von VW, Thyssen-Krupp und der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ ins Leben gerufen wurde.
Ich wähle diesen Titel „Geist ist geil“ für dieses kleine Kapitel für den menschlichen Geist – im Gegensatz zum pervertierten ökonomisierten Geist, wie ich andernorts hinsichtlich des Begriffs „Ökonomismus“ differenzierte.
Diese zeitgenössische Formulierung – angelehnt an den „Geiz ist geil“-Werbeslogan – spiegelt unsere sexualisierte Welt wider und zeigt die geschickte und ökonomistisch geniale Kombination von einer – eigentlich – negativen Eigenschaft mit einem – eigentlich – im sexuellen Bereich beheimateten eher (zunächst) als positiv zu bewertenden Gefühl.
Hier werden zwei Inhalte in einen Zusammenhang gesetzt, die einander im Grunde ausschließen: Geiz ist assoziiert mit „zurücknehmen, festhalten, für sich behalten, nichts teilen und nichts abgeben“, geil hingegen mit „Erregung, konzentriert, auf ein Objekt gerichtet, lüstern und lustig, abgebend, teilend“.
Mit diesem Trick erzielten Werbefachleute eine raketenartige Wirkung und ließen den Bürger entgegen jeden Verstandes etwas von den angepriesenen Produkten kaufen – obwohl er kein Geld hat. Warum? Mit dem vom Adjektiv geil abgeleiteten Verb nähert man sich der Erklärung an; denn geilen bedeutet nach etwas gieren. Und auch der Geiz „giert“. Sein Sinn und Zweck ist es, alles zu behalten und bloß nichts abzugeben oder – und das wäre die Verlängerung: die Gier des Geizes – mit dem Festhalten sogar noch etwas dazu zubekommen!
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