„Sag was, ich rate es dir“, wiederholte er in schärferem Ton und erhobener Stimme. Er setzte sich auf und schob seinen massigen Körper dichter ans Feuer. „Sag was, verdammt!“
Seine Stimme verlor sich den Bäumen ringsum und machte die Stille des Waldes auf unerfreuliche Weise spürbar. Kein Wind wehte, kein Ast rührte sich; nur das Knacken trockener Zweige war hin und wieder zu hören, wenn das nächtliche Leben sich manchmal unachtsam regte, das die Menschen an ihrem kleinen Feuer belauerte. Die Oktoberluft trug einen beißenden, frostigen Hauch heran.
Die Rothaut antwortete nicht. Kein Muskel seines Halses oder des starren Körpers bewegte sich.
„Nun?“, wiederholte der Engländer und senkte diesmal instinktiv seine Stimme. „Was hast du gehört, verdammt.“ Der Hauch seltsamer Nervosität, der seinen Ärger schürte, verriet sich in seiner Ausdrucksweise.
Tooshalli drehte seinen Kopf langsam wieder in seine normale Stellung, der Körper starr wie zuvor.
„Ich höre nichts, Mr. Grimwood“, sagte er und blickte mit stiller Würde in die Augen seines Dienstherrn.
Das war zu viel für den anderen, einen Mann von wildem Gemüt selbst in seinen umgänglichsten Momenten. Er war der Typ des Engländers, der feste Vorstellungen davon hatte, wie mit „minderwertigeren“ Rassen umzugehen war.
„Du lügst, Tooshalli – und ich lass mich nicht von dir belügen. Also was war es? Sag’s mir auf der Stelle!“
„Ich höre nichts“, wiederholte der Andere. „Ich denke nur.“
„Und was beliebst du zu denken?“
Die Ungeduld legte einen gehässigen Zug um seinen Mund.
„Ich gehe nicht“, war die brüske Antwort, unabänderliche Entschlossenheit in der Stimme.
Diese Erwiderung kam so unerwartet, dass Grimwood zuerst nichts sagen konnte. Für einen Augenblick begriff er die Bedeutung nicht. Sein gewohnt unbeweglicher Geist war durch Ungeduld verwirrt wie durch das, was er als die Lächerlichkeit dieser Szene empfand. Dann begriff er es blitzartig – und er erkannte die unerschütterliche Sturheit der Rasse, mit der er es zu tun hatte. Tooshalli teilte ihm mit, dass er nicht in das Tal gehen würde, in dem der große Elch verschwunden war. Seine Überraschung war so groß, dass er zunächst nur dasaß und starrte. Ihm fehlten schlicht die Worte.
„Es ist …“, sagte der Indianer und benutzte einen Eingeborenenausdruck.
„Was bedeutet das?“ Grimwood fand die Sprache wieder, aber es lag eine Drohung in ihrem ruhigen Ton.
„Mr. Grimwood, es bedeutet, ‘Tal der Tiere’“, kam die Antwort in noch ruhigerem Ton.
Der Engländer kämpfte ernsthaft um seine Selbstbeherrschung. Er erinnerte sich selbst daran, dass er es mit einer abergläubischen Rothaut zu tun hatte und er kannte deren Verbohrtheit. Wenn der Indianer ihn verließ, war der Jagdzug unwiderruflich gescheitert, denn alleine konnte er in der Wildnis nicht jagen. Selbst wenn er den begehrten Schädel erbeutete, konnte er ihn niemals alleine zurück bringen. Die angeborene Selbstsucht unterstützte seine Anstrengungen. Er musste den aufsteigenden Ärger unterdrücken und es mit Überredungskunst versuchen.
„Das Tal der Tiere“, sagte er mit einem Lächeln, mehr auf seinen Lippen als in den finster blickenden Augen. „Aber das ist doch genau das, was wir suchen. Wir sind hinter dem Wild her, oder nicht?“ Seine Stimme hatte einen falschen, vergnügten Klang, der nicht einmal ein Kind getäuscht hätte. „Aber was meinst du nun eigentlich damit – Das Tal des Wildes?“, fragte er in einem ungeschickten Versuch, sympathisch zu wirken.
„Es gehört Ishtot, Mr. Grimwood. Der Mann schaute ihm mit festem Blick ins Gesicht.
„Mein … unser … großer Elch ist dort“, sagte der Andere, der den Namen des indianischen Jagdgottes erkannte, und – weil er nun besser verstand – sicher war, seinen Begleiter überreden zu können. Es fiel ihm ein, dass Tooshalli, zumindest dem Namen nach, ein Christ war. „Wir nehmen im Morgengrauen die Verfolgung wieder auf und holen uns die größte Trophäe, die die Welt je gesehen hat. Du wirst berühmt sein.“ Seinen Ärger jetzt besser unter Kontrolle fügte er hinzu: „Dein Stamm wird dich verehren. Und die weißen Jäger werden dir viel Geld bezahlen.“
„Er geht dorthin, um sich in Sicherheit zu bringen. Ich gehe nicht.“
Grimwoods Zorn flammte angesichts dieser blödsinnigen Sturheit wieder auf. Aber er bemerkte trotzdem die altertümliche Wortwahl des Indianers. Er begann zu begreifen, dass nichts mehr diesen Mann umstimmen konnte. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass Gewalt seinerseits die Sache nur schlimmer machen würde. Doch Gewalttätigkeit war nur natürlich für seinen „dominanten“ Charakter. Der brutale Grimwood wurde er oft genannt.
„Denk dran, dass du in der Siedlung wieder ein Christ bist“, versuchte er unbeholfen ein weiteres Argument. „Auf Ungehorsam steht das Höllenfeuer. Das weißt du.“
„Ich ein Christ – in Siedlung“, kam die Antwort. „Aber hier draußen herrscht Roter Gott. Tal gehört Ishtot. Kein Indianer jagen dort.“ Es war, als spräche ein Felsblock.
Das wilde Temperament des Engländers, aufgestaut durch die lange, mühsame Unterdrückung, flammte plötzlich auf. Er stand auf, trat seine Decken beiseite und stampfte auf den Indianer zu. Tooshalli erhob sich ebenfalls. Auge in Auge standen sie sich gegenüber, zwei Menschen allein in der Wildnis, beobachtet von zahllosen verborgenen Augen des Waldes.
Tooshalli stand reglos da, obwohl er mit einer Gewalttätigkeit des närrischen, unwissenden Bleichgesichts rechnete.
„Du geh allein, Mr. Grimwood.“ Es war keine Furcht in ihm.
Grimwood würgte vor Zorn. Nur mühsam stieß er die Worte hervor und brüllte sie in die Stille des Waldes:
„Ich bezahl dich – oder nicht? Du wirst tun, was ich sage und nicht, was du sagst!“ Seine Stimme hallte von den Bäumen wider. Der Indianer gab die alte Antwort:
„Ich gehen nicht“, erwiderte er standhaft.
Es stachelte den Anderen zu unkontrollierter Raserei an. Die Bestie drängte nach oben; sie brach sich Bahn.
„Das hast du einmal zu oft gesagt, Tooshalli.“ Grimwood schlug ihm brutal ins Gesicht. Der Indianer fiel nieder, kam wieder auf die Knie, brach neben dem Feuer zusammen und brachte sich mühsam in eine sitzende Position. Nicht einmal löste er seinen Blick vom Gesicht des weißen Mannes.
Außer sich vor Wut stand Grimwood über ihm. „Reicht das? Wirst du jetzt gehorchen?“ brüllte er.
„Ich gehen nicht“, kam die mühsame Antwort des Indianers. Blut rann aus seinem Mund, aber seine Augen blickten fest. „Dieses Tal Ishtot beschützt. Ishtot sehen uns jetzt. Er sehen dich .“ Die letzten Worte betonte er auf seltsame, fast unheimliche Weise.
Grimwood, den Arm erhoben und die Faust geballt, bereit, seine scheußliche Gewalttat zu wiederholen, hielt plötzlich inne. Sein Arm sank herab. Was genau ihn abgehalten hatte konnte er sich nicht erklären. Einerseits fürchtete er sich vor seiner eigenen Wut; fürchtete, dass er nicht aufhören konnte, wenn er sich jetzt gehen ließ – bis er getötet, einen Mord begangen hatte. Aber das war es nicht allein. Die ruhige Standhaftigkeit des Indianers, sein Mut trotz des Schmerzes und etwas in seinen furchtlosen, brennenden Augen geboten ihm Einhalt. War es auch etwas in den Worten, die er benutzt hatte – ‘Ishtot sehen dich’ – das eine eigenartige Warnung mitten in Grimwoods Wildheit bohrte?
Er konnte es nicht sagen. Er spürte nur, wie eine plötzliche Scheu über ihn kam. Der Wald, der sie umgab wurde ihm unangenehm bewusst. So still, als lausche er in einer Art undurchdringlichen mitleidlosen, Schweigens. Die einsame Wildnis, die reglos auf den beinahe begangenen Mord herabblickte, mischte eine unerklärliche dumpfe Kühle in sein zorniges Blut. Seine Hand sank wieder herab, die Faust öffnete sich, sein Atem beruhigte sich.
Читать дальше