»Er.. er hat mir eine Abreibung verpasst, vor all seinen Männern. Niemand hat mir geholfen, auch Bajan nicht«, brach es aus Jeldrik hervor.
»Das konnten sie nicht, ohne ihm damit in den Rücken zu fallen«, sagte Phelan, auch wenn es ein geringer Trost war. »Ich werde mit ihm reden und..«
»Nein! Er wird nicht auf dich hören. Niemand wird es dir glauben, sie werden denken, das ist nur ein gut gemeintes Hilfsangebot, weil.. weil ich Schwächling mich todesmutig dazwischen geworfen habe! Lass es sein, ich bitte dich!« Jeldrik hatte Phelans Schulter gepackt und drückte so fest zu, dass es ihm fast zu viel wurde.
Phelan ignorierte den Schmerz einfach. »Du hast mir das Leben gerettet«, flüsterte er und zog Jeldrik zu sich heran. Es zerbrach den letzten Widerstand in seinem Freund. Alle Selbstbeherrschung war dahin, seine Gefühle lagen offen. Er erwiderte Phelans Umarmung fest, saß schwer atmend mit der Stirn an dessen Schulter gelehnt.
Phelan spürte, dass Jeldrik in diesem Kampf wesentlich größere Wunden davon getragen hatte als er selbst, und das erste Mal konnte er ohne Schutz etwas von dem wahren Jeldrik hinter der Maske erblicken, einem sehr verletzlichen und sensiblen Jeldrik. Es machte ihn froh und traurig zugleich, und er wollte ihm unbedingt helfen.
Als Jeldrik etwas ruhiger geworden war, sagte er: »Du täuschst dich, glaube mir. Die Männer ahnen längst, dass dein Vater im Unrecht ist. Sie sind nur loyal zu ihm.«
»Ha!« Jeldrik machte sich von ihm los.
Phelan konnte sehen, wie sich bereits wieder der Schleier der Beherrschung über seine Züge legte, und er sagte schnell: »Doch, es ist so. Sie fragen sich, wann du dich endlich zu wehren beginnst und..«
»Hör auf!«, fauchte Jeldrik und sprang auf. »Das kann ich nicht, ich bin noch nicht gut genug dafür.. ach, wäre ich doch..« Er warf sich auf sein Lager, barg das Gesicht in seinen Händen und sagte nichts mehr. Nur die schweren Atemzüge waren zu hören.
»Wärest du doch was?«, fragte Phelan leise. Diese Andeutung hatte Jeldrik schon öfter gemacht, doch er hatte sich immer wieder zurückgezogen, sobald er genauer nachgefragt hatte. So zerschlagen Phelan war, er wartete sehnsüchtig auf eine Antwort. Würde Jeldrik sich endlich öffnen? Doch es kam nichts. Auch diesmal würde er wieder vergebens warten. Phelan seufzte innerlich und schloss die Augen. Es war anstrengend, so lange wach zu sein.
Er konnte ja nicht ahnen, wie sehr Jeldrik mit sich rang. Seine Nerven lagen blank. Das Gefühl, dass er Hilfe brauchte, einen Trost, jemanden, mit dem er all das teilen konnte, was ihn beschäftigte, rang mit seinem Bedürfnis, sich zu schützen und alles zu verbergen.
»Ich wollte fort.«
Fast hätte Phelan es überhört, so weggedämmert war er schon. Jeldrik hatte sich zu ihm umgedreht. Zwei helle Punkte schimmerten dort, wo seine Augen sein mussten. Phelan traute sich nicht, etwas darauf zu antworten oder sich nur zu rühren aus Angst, dass Jeldrik dann wieder verstummen würde.
»Ich wollte weg, einfach nur weg. Zurück nach Gilda oder Temora, irgendwo hin, wo es eine Menge Bücher gibt und es egal ist, ob ich stark bin oder schwach. Ich hätte vor den Toren gebettelt, so lange, bis sie mich aufgenommen hätten.. Phelan?«
»Ich höre dir zu. Die Temorer hätten dich nicht eingelassen«, antwortete Phelan leise.
»Nein, mich nicht, aber Jorid.«
»Jorid?!« Phelan fuhr erstaunt auf. »Warum?«
»Sie ist nicht durch die Prüfung gegangen, sie wollte es nicht, damit sie nicht fort von mir musste. Stattdessen hat sie sich heimlich in dieses eine Zelt geschlichen und gesagt, dass sie dieses Ding spürt. Sie wäre mit mir gekommen, und wenn ich nicht hätte bei ihr bleiben dürfen, dann wäre ich weitergereist, auf einem Schiff oder zu euch nach Gilda.. irgendwohin. Doch dann kam die Nachricht, dass Fürst Bajan mit einem Jungen auf dem Weg zu uns ist, und ich wusste, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste. Ihr habt mir doch erzählt, dass sie schon damals fürchteten, man würde euch etwas antun. Auf einmal konnte ich es nicht mehr.«
»Fortgehen?« Phelan drehte langsam den Kopf, sodass er Jeldrik ansehen konnte.
»Ich schämte mich, und das habe ich dir übel genommen, sehr übel sogar.«
»Mir?! Warum?«
Jeldrik hob die Hand. »Lass mich ausreden. Du hattest deine Familie verloren, und plötzlich war ich froh, dass ich meine noch hatte, meinen Clan und.. ich wollte Vater nicht enttäuschen.« Jeldrik gab ein Schnauben voller Verachtung von sich. »Das klingt so schwach, für wie er mich hält, nicht wahr?«
»Finde ich nicht. Ganz und gar nicht«, erwiderte Phelan voller Überzeugung. »Obwohl.. verdient hat er es nicht, so, wie er euch beide behandelt.«
»Versteh doch, unsere Lage ist mehr als unsicher, die unseres ganzen Volkes. Da muss er Härte zeigen, allen gegenüber, auch uns.. ach, jetzt verteidige ich ihn auch noch, bei den Göttern! Ich kann ihn verstehen, aber warum vertraut er mir nicht? Früher, da konnte es ihm gar nicht schnell genug gehen. Was ich alles lernen sollte! Und jetzt.. ich weiß nicht, was ich tun soll, um ihn..« Er brach ab, das Gesicht wieder schmerzhaft verzogen.
Phelan richtete sich halb auf. »Wir werden einen Weg finden, das verspreche ich dir. Lass mich nur machen. In Gilda haben Althan und ich die unmöglichsten Dinge hinbekommen. Und Jeldrik, du bist längst gut genug.« Er sah seinen Freund heftig den Kopf schütteln und bekräftigte: »Doch, wirklich, du warst sogar besser als ich, weil du größer bist und mehr Kraft hast. Wenn.. oh, mein Kopf.«
»Tut ganz schön weh, nicht wahr?« Jeldriks Zähne blitzten im Dunkeln. Er konnte wieder lächeln, die Worte Phelans hatten ihm gut getan.
»Du hast gut reden, dir haben die Goi ja nicht den Schädel eingeschlagen.« Phelan saß ganz steif da, weil er sich nicht mehr rühren mochte.
»Oh nein.« Jeldrik kam zu ihm herüber und half ihm, sich wieder hinzulegen, als er sich vergebens mühte. »Das waren nicht die Goi, jedenfalls nicht nur. Dein Schädel brummt vor allem, weil wir dich abgefüllt haben.«
»Abgefüllt?!«
Jetzt lachte Jeldrik. »Ja, mit dem Zeug aus der letzten Siedlung. Sie haben Vater einen kleinen Krug davon mitgegeben, und den haben wir dir bis auf den letzten Tropfen verabreicht. Du hast um dich geschlagen, als wir dich versorgen wollten. Bei den Göttern, du hast ganz schön viel Kraft, selbst mit den ganzen Verletzungen. Von wegen Größe!«
»Deswegen war mir so schlecht?« Phelan grinste. »Sag mal, dieses Mädchen, ist es eine Heilerin?« Er hob leicht den verbundenen Arm.
Jeldrik zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.« Wie alle Saraner interessierte er sich nicht besonders für die dunklen Leute. »Verbunden hat dich Fürst Bajan, er muss es irgendwo gelernt haben.«
»Ja, bei Meda«, lächelte Phelan. Bevor Jeldrik fragen konnte, wer denn das war, sackte sein Kopf zur Seite.
Jeldrik lauschte eine Weile seinem ruhigen Atem. Er fühlte sich leer, vollkommen leer, und irgendwie befreit. Er hatte jemanden, mit dem er seine Sorgen teilen konnte. Das war etwas völlig anderes als seine Schwester. Ihr konnte er nicht alles sagen, doch Phelan, mit ihm.. Jeldrik atmete tief durch, und als Bajan kurze Zeit später kam, um nach Phelan zu sehen, konnte er ihm zum ersten Mal seit Langem wieder in die Augen blicken. »Es geht ihm besser, Fürst.«
»Das freut mich zu hören, mein Junge. Hat er etwas zu sich genommen?« Bajan ließ sich neben Phelans Lager nieder.
»Er hat jede Menge getrunken, und vor allem.. sein Verstand ist wieder da. Er macht schon wieder Pläne«, grinste Jeldrik.
Bajan schmunzelte in sich hinein. »Hoffentlich betrifft ein Teil davon dich«, sagte er nicht ohne Absicht.
Ohne Erfolg. Jeldrik versteifte sich sofort, sein Lächeln schwand. »Wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben!«, entgegnete er heftiger als beabsichtigt und ärgerte sich sogleich. Jetzt wusste der Fürst, dass er einen wunden Punkt berührt hatte. Jeldrik beschloss, schleunigst auf ein anderes Thema auszuweichen. »Fürst, wo habt Ihr gelernt, wie man jemandes Wunden versorgt? Phelan erwähnte da vorhin einen Namen..«
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