Die Jungen waren bereits von ihren Pferden herunter, als die ersten Warnrufe durch den Wald hallten. Philine stieg, und Phelan gelang es gerade noch, sein Bündel von ihr herunterzureißen, da stob sie auch schon davon. Es geschah alles so schnell, dass Phelan erst gewahr wurde, was geschah, als sie hinter einem umgefallenen Baumstamm in Deckung gingen. Rasch zerrte er sein Schwert aus seinem Fellbündel. Jeldrik hielt sein Schwert schon in der Hand und spähte über den Baumstamm. Weiter vorne zogen Bajan und der zweite von Roars Männern, der immer bei ihnen ritt, den Verletzten in Deckung, da ging plötzlich ein Pfeilhagel auf sie nieder. Hastig verkrochen sie sich unter dem Baumstamm.
»Verdammt, wo ist mein Bogen?«, zischte Jeldrik über das Gebrüll ihrer Feinde hinweg.
»Ich habe meinen auch verloren.. Achtung!« Ein dunkler Schatten sprang über sie hinweg, in Richtung der Männer. Offenbar hatte er die Jungen gar nicht gesehen, denn er hielt nicht inne. Phelan sah nur stämmige Beine, schmutziges Fell und ein hinter einer Tiermaske verborgenes, dunkles Gesicht, dann war er auch schon vorbei. Von weiter vorne hörten sie Kampfgeräusche und teils wütendes, teils schmerzhaftes Gebrüll. Ein neuer Schatten sprang über sie.. und noch einer.. und noch einer.. beide Jungen kämpften mit sich.
Die Anweisungen von Bajan und Roar waren deutlich gewesen. Sie durften zwar für alle Fälle ihre Schwerter mit sich führen, aber sollten sie angegriffen werden, dann hatten sie schleunigst Deckung zu suchen und sich nicht mehr zu rühren. Was sich in der Theorie ganz einfach anhörte, war in Wahrheit gar nicht mehr so einfach, als immer mehr Feinde über sie hinwegsetzten.
Jeldrik und Phelan sahen sich an und erkannten in den Augen des anderen denselben Wunsch. Ohne dass sie ein Wort wechselten, krochen sie zusammen unter dem Baumstamm durch, als soeben der letzte Feind über sie hinwegsprang. Sie richteten sich vorsichtig auf und erspähten durch die Bäume dichtes Kampfgetümmel.
»Sieh doch!« Phelan stieß Jeldrik an. Da sah auch er es: Einige der Goi hatten hinter den Bäumen Stellung bezogen und spannten ihre Bogen. »Sie wollen ihnen in den Rücken schießen!«, rief Phelan und packte sein Schwert fester.
Jeldrik sah rasch hinter sich. Nein, von dort kamen tatsächlich keine Feinde mehr. »Los, erledigen wir sie. Beeilung!«
Sie schlichen vorwärts, immer in Deckung der dichten Farne und Bäume bleibend. Jetzt feuerte der erste Goi seinen Bogen ab und traf. Jeldrik zischte wütend und ruckte mit seinem Kopf. Phelan verstand, sie teilten sich. Lautlos und unsichtbar kroch Phelan weiter und näherte sich dem ersten Goi. Er streckte ihn mit einem sauberen Stich in den Rücken nieder und zerrte den schweren Mann zu sich in den dichten Farn. Den Bogen seines Gegners nahm er an sich und ließ ihn gleich wieder fallen. Viel zu ungewohnt zu handhaben, damit würde er nie treffen. Er sah sich rasch nach Jeldrik um, aber der war nirgends zu sehen, oder.. doch, da hinten fiel plötzlich ein Goi zu Boden und wurde von einer hellen Hand in die Farne geschleift. Phelan merkte sich Jeldriks Standort und beschloss, sich die andere Seite der Schützen vorzunehmen.
Zwei weitere Schützen erledigte er genauso lautlos und unauffällig wie den ersten, der vierte jedoch stand an einer fast freien Stelle hinter einem Baum. Es gab keine Möglichkeit für ihn, sich unbemerkt anzuschleichen. Verdammt, warum hatte er nur seinen Bogen nicht dabei?
Der Goi legte an. Phelan folgte seiner Zielrichtung und erschrak. Der Pfeil zielte auf Bajan, der eben einen Gegner tötete und zwei weitere von sich abhielt. Hätte Phelan die Zeit gehabt, er hätte dem Fürsten wohl bewundernd zugesehen. Noch nie hatte der Fürst gezeigt, wozu er wirklich fähig war. Er war schnell, viel schneller als alle, die Phelan bisher gesehen hatte, selbst in der Heerschule, und er war ein absolut todbringender Gegner. Kein Hieb, kein Stich und keine seiner Bewegungen waren vergebens. Es war alles minutiös geplant, darauf ausgelegt, möglichst viel Kraft zu sparen, denn so, wie er kämpfte, lenkte er die Masse der Gegner auf sich, und zwar mit voller Absicht.
Phelan blieb keine Wahl. Er rannte lautlos auf den zielenden Goi zu, doch dieser musste den Schatten in seinen Augenwinkeln gesehen haben, denn er fuhr herum und feuerte einen unkontrollierten Schuss in seine Richtung. Phelan machte einen Sprung vorwärts, rollte sich ab und kam fast unterhalb des Goi wieder auf die Füße, nah genug, um ihm sein Schwert zwischen die Rippen zu rammen. Durch den Schwung wurde der Goi zurückgeworfen. Er taumelte und fiel über eine Baumwurzel, direkt auf die Lichtung, auf der die Männer kämpften.
Phelan brauchte die Warnschreie ihrer Gegner nicht hören, um zu wissen, dass er jetzt entdeckt war. Er hechtete zurück in das Dickicht der Farne, doch zu spät. Schon hörte er Schritte hinter sich, und eine Waffe fuhr zischend dort hindurch, wo er sich eben noch befunden hatte, mähte nieder, was ihm zur Deckung diente. So schnell er konnte, kroch er vorwärts, wohl wissend, dass die Bewegung der Farne den Goi genau verriet, wohin er floh. Er brauchte ein Versteck, schnellstens. In seiner Panik verlor jegliche Orientierung, und wäre er nicht plötzlich in ein Erdloch eingesackt und hingeschlagen, die Streitaxt, die zischend über ihn hinwegfuhr, hätte ihm wohl den Kopf gespalten. Nun handelte Phelans Instinkt. Er gab seine Deckung auf, sie war nur zum Nachteil für ihn. Er warf sich auf den überraschten Goi und streckte ihn mit einem Streich seines Schwertes nieder. Noch während er sich drehte, sah er, dass er zwei weitere Gegner hatte. Sie drangen mit ihren Äxten auf ihn ein, sodass Phelan es Jeldrik gleichtun und auch seine andere Hand zu Hilfe nehmen musste. Er stützte die Klinge auf der stumpfen Seite, nutzte seine Hand als Hebel, um ihre gewaltigen Streiche zu parieren und seiner Klinge mehr als einmal eine überraschende Wendung zu geben. Zum Glück beherrschte er diese Art des Kampfes wie im Schlaf. Er landete einen tödlichen Treffer bei dem einen Goi, verletzte den anderen, aber dann sah er aus den Augenwinkeln einen Schatten auf sich zusausen. Er duckte sich, doch zu spät: Ein schmerzhafter Hieb an seinem Kopf ließ ihn schwarz vor Augen werden.
Jeldrik hatte sich schon fast an Phelan und seine Gegner herangearbeitet. Er war zu langsam, weil er darauf achten musste, nicht gesehen zu werden. Als er sah, wie Phelan zusammenbrach und einer der Goi einen großen Stein fallen ließ, sich auf seinen Freund warf und ihm die Kleider herunterzerrte, vergaß er alle Vorsicht. »Phelan, nein!« Er stürmte vorwärts, warf sich zwischen ihre Gegner. Seine Größe und Kraft verliehen ihm eindeutig einen Vorteil. Er schaffte es, sie von dem blutüberströmten Phelan wegzulocken.
Die Männer Roars bemerkten die Veränderung, als ihre Gegner überraschend zurückwichen. Von weiter hinten waren Kampfgeräusche zu hören. Roar hielt inne, seine Gegner zu verfolgen. Irritiert starrte er durch die dichten Bäume und sah in all den Schatten eine wirbelnde, helle Haarmähne. War das etwa sein Sohn, der sich dort gegen eine Horde Goi zu wehren versuchte? Brüllend stürmte er vorwärts, und es war wohl der Anblick des massigen Saraners, der die Goi derartig ablenkte, dass Jeldrik nur noch einen von ihnen töten konnte, bevor sie die Flucht antraten. Roar kümmerte sich nicht um sie, er rannte zu seinem Jungen, der auf die Knie gefallen war und den Goi mit brennenden Augen hinterher sah.
Jeldrik stöhnte auf, als jeder der fliehenden Gegner noch einen Tritt oder Hieb dort platzierte, wo Phelan liegen musste. Einer von ihnen bückte sich sogar, riss etwas Blutiges an sich und folgte erst dann seinen Leuten. »Phelan, nein!« Es war nur noch ein flüsterndes Krächzen. Er rappelte sich auf.
Im selben Moment packte ihn sein Vater. »Bist du wahnsinnig?!«, brüllte er. Jeldrik wandte wie betäubt den Kopf, doch sein Blick blieb weiter an der Stelle im Farn hängen, wo sein Freund liegen musste. Er wurde geschüttelt, und dies war es, das ihn wieder zu sich brachte. »Ist alles in Ordnung?«, fragte Roar leise und eindringlich, seinen Jungen besorgt nach irgendwelchen Verletzungen absuchend.
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