Ebenso viele – wenn nicht mehr – Freunde und Bekannte hatte die Frau, deren Tochter demnächst in einer dieser vormittäglichen Talkshows auftritt. Sie ruft jeden an, den sie kennt, damit es bloß keiner verpasst. Dabei kann das ja eigentlich nur peinlich werden.
Eine verhandelt beim Aussteigen mit einem Handwerker. Ob er morgen vielleicht vorbeikommen könnte und den Zaun reparieren. Sie sei zwar den ganzen Tag nicht da, aber sie würde das Bargeld in einem Umschlag unter ihrer Mülltonne verstecken. Hallo? Verstecken? Wenn sie das hier so am Händi durch die Gegend schreit, kann sie den Umschlag auch mit der Aufschrift „Bargeld“ an die Tonne kleben.
Engländer sollen auch sehr bescheiden sein und zu Understatement neigen. Und doch brüllt ein Typ durch den Wagen, dass er nächste Woche ein Vorsprechen (–singen? –führen?) beim Royal Opera House hat. Eine Kampfszene. Da hat er die besten Chancen, denn schließlich hat er „Kämpfen“ als Fach auf der Schauspielschule belegt und hat das richtig gelernt. So einen wie ihn haben die da sicher noch nicht, und die anderen Aspiranten können ja gar nicht so gut sein wie er! Den Vertrag hat er im Sack.
Außerdem sind Engländer höflich. Dafür sind sie bekannt, darauf sind sie stolz. Bittet ein Mitreisender im Zug, einen dieser Händibrüller, etwas leiser zu reden oder gar, das Gespräch zu beenden, weil wir hier nämlich zufällig im „Stillen Wagen“ (Das ist jeder vierte Wagen: Bitte keine Händis, MP3-Player und laute Unterhaltungen.) sitzen kommt – englisch höflich:
„Ich kann selber lesen.“
„Kümmern Sie sich um ihren eigenen Scheiß.“
„Wenn’s Ihnen nicht passt, können Sie ja weghören.“
„Du, ich muss Schluss machen, hier sitzt so ein selbsternannter Polizist im Wagen ...“
Wenn man ein Händi am Ohr hat, dann ist das wie im Auto. Da ist man ganz allein und es kann einen keiner hören, so wie im Auto keiner sieht, dass man in der Nase bohrt.
Briten glauben an Gespenster. Fast jeder kennt jemanden der jemanden kennt, dem schon einmal ein Gespenst begegnet ist. Sogar ich kenne mindestens zwei, die jemanden kennen, dem schon (mindestens) einmal ein Gespenst begegnet ist.
Das Fremdenverkehrsbüro einer jeden Stadt verkauft Heftchen mit den lokalen Gespenstergeschichten, und vermittelt Zimmer in den „meist umspukten“ Pubs und Hotels der Umgegend.
Im Fernsehen laufen Serien wie „Most Haunted“, in denen ein Fernsehteam sich über Nacht in Spukschlössern einschließen lässt und „ Orbs “ („Geisterflecken“) filmt … Also, so Staubflocken, die vor der Kamera her fliegen. Die meiste Zeit sieht man die mit der Infrarot-Kamera gefilmten, blassen Gesichter der Crew mit weit aufgerissenen Augen und weißen Pupillen. Für den Fall, dass die Anwesenden allein nicht merken, dass ein Gespenst anwesend ist, haben sie auch immer noch ein Medium dabei, der da ja etwas feinfühliger ist. Der wird manchmal, wenn man es mit einem bösen Geist zu tun hat, sogar besessen und das scheint nicht ungefährlich zu sein. Andere Fernsehserien zeigen „Medien“ (ist das der korrekte Plural für „Medium“ in diesem Sinne?), wie sie Verbrechen aufklären. „Medien“ touren übrigens auch durchs Land und treten vor ausverkauften Hallen auf der Bühne auf, wo sie mit einigen verblichenen Verwandten einiger Zuschauer im Publikum kommunizieren.
Gespenster sind wichtiger und selbstverständlicher Teil des täglichen Lebens. Da ist es natürlich auch kein Wunder, dass es einen „ National Ghost Day “ gibt, und der ist am 11. Februar. Das habe ich im Radio gehört, aber woher die das haben, weiß ich nicht, denn Google weiß nichts davon (und dann kann es ja auch nicht wahr sein).
Wenn aber wirklich National Ghost Day ist, wie wird der begangen? Nun, also wer einen Hausgeist hat, der wird das ja wissen, wenn er nicht ganz unsensibel ist. Sicherlich möchte man am National Ghost Day seinem Gespenst eine Freude machen. Wie lässt sich das bewerkstelligen?
Man könnte sich ja, dem Gespenst zuliebe, einmal wieder so richtig erschrecken, wenn plötzlich die Tür zuknallt oder die Lampe wackelt oder das Sofakissen sich da senkt, wo gar keiner sitzt.
Vielleicht könnte man dem Geist eine Freude machen, indem man ein Festessen kocht, wie es zu seinen Lebzeiten üblich gewesen wäre. Obwohl … das ist dann unter Umständen ein bisschen gemein, denn man würde ihm nur den Mund wässrig machen. Essen könnte der Astralkörper es sicherlich nicht. Wir hingegen wären gegebenenfalls mit einem Essen gestraft, dass wir eigentlich nicht essen wollen, wie zum Beispiel gebackene Amseln oder gar Neunaugen-Pastete.
In diesem Land der Karten gibt es gewiss auch welche zu diesem besonderen Tag, die wir für unser Gespenst kaufen können und bei deren Anblick ihm warm ums Herz werden. Es gibt ja auch spezielle Karten für den „Sekretärinnentag“ oder „Krankenschwestertag“, warum also nicht für den Gespenstertag? Karten in hauchzarten Farben, spinnwebenumrankt, auf denen in spirreliger Schrift gedruckt ist: „Unserem Hausgeist zum Nationalen Gespenstertag“ oder einfach nur „Buh!“. Die ultimative Karte ist Die Unsichtbare, die den Geist natürlich am meisten ansprechen wird und die er auch bei sich tragen kann. Die ist zwar ein bisschen teurer, aber dafür kann man ja das Porto sparen.
Briten unterwegs
Gebrauchsanweisung für die Tube
Die meisten Touristen möchten ja lieber nicht als Touristen erkannt werden, sondern sich unauffällig unters Volk mischen. Damit das in der Londoner U-Bahn problemlos gelingt, habt ihr glücklicherweise mich. Hier ein Dutzend handlicher Verhaltensregeln für Möchtegern-Londoner:
Regel Nr. 1
Die Tube meiden, wann immer es geht. Besorgt euch einen Stadtplan und geht entweder zu Fuß oder nehmt einen Bus. Oft seid ihr so schneller. Wenn ihr beispielsweise auf der Northern Line in die Innenstadt fahren und zu „Covent Garden“ wollen, dann solltet ihr an „Leicester Square“ aussteigen und laufen. Das geht wesentlich schneller als an Leicester Square das Gleis zu wechseln und auf die Piccadilly Line nach „Covent Garden“ umzusteigen. Wer mit der U-Bahn von „Tower Hill“ nach „Bank“ fahren will braucht mindestens eine halbe Stunde. Zu Fuß schafft man das in 15 Minuten. Lasst euch nicht von der Tube Map täuschen: Was darauf aussieht, als sei es kilometerweit entfernt mag gleich um die Ecke liegen (und umgekehrt).
Busstrecken sind leider etwas schwieriger auszubaldowern, aber Londoner geben gern Auskunft. Am besten fragt ihr die, die sowieso an der Bushaltestelle herumstehen und nicht die, die den Bürgersteig entlang hasten. Zu Fuß oder mit dem Bus sieht man was und mag sogar auf so manche Überraschung stoßen.
Denkt daran, dass laut Faustregel beinahe jede Reise, sofern sie mehr als drei Stationen umfasst, ungefähr eine Stunde dauert. Wenn ihr pünktlich irgendwo sein müsst, plant reichlich Zeit ein.
Regel Nr. 2
Besorgt euch eine „ Oyster Card ”, mit der U-Bahn und Busfahrten nur halb so viel kosten wie mit den alten Papiertickets (die es auch noch gibt – für ahnungslose Touristen). Man lädt Oyster Cards mit Geld und berührt beim Betreten und Verlassen des Bahnhofs eine an den Sperren angebrachte gelbe Fläche, wobei der korrekte Betrag abgebucht wird. Macht man so viele Fahrten, dass man den Preis einer Tageskarte erreicht, wird nicht mehr weiter abgebucht. Zum Geld laden gibt es in jedem Bahnhof Automaten, aber man kann es auch am Schalter machen oder in vielen Corner Shops .
Regel Nr. 3
Wenn ihr eure Oyster Card am Automaten ladet, seid nicht überrascht, wenn ihr zum Bezahlen aufgefordert werdet. Der Automat will tatsächlich Geld! Kramt deshalb euer Portemonnaie schon einmal hervor, während ihr noch in der Schlange wartet. Nichts regt eilige Londoner mehr auf als jemand, der erst an diesem Punkt anfängt, nach seinem Geld zu suchen. (Obwohl … doch, ich glaube, es gibt noch mehr, was eilige Londoner aufregt …, siehe zum Beispiel Regeln Nr. 4 und 5.)
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