Wie weit ist der Mensch damals nach dem Osten vorgedrungen? Wir wissen es nicht! Im Cerro Toluquilla bei Puebla südlich von Mexico-City hat man Eindrücke im vulkanischen Boden gefunden, in denen einige Wissenschaftler versteinerte Fußspuren von Menschen zu sehen glauben mit einem Alter von etwa 40 000 Jahren. Die frühen Menschen könnten bei der Verfolgung von Wild im Osten von Sibirien eine schmale 80 bis 90 Kilometer lange Landpassage in der heutigen Beringstraße zwischen der ostsibirischen Halbinsel Chukchi und Alaska schon damals überquert haben. Der Meeresspiegel stand zu dieser Zeit etwa 50 Meter tiefer als heute, 5 Meter unter der tiefsten Stelle des Pfades in der Beringstraße, sodass die Menschen, sofern sie schon nach Nordostsibirien vorgestoßen sein sollten, auf dieser schmalen Passage nach Amerika gelangen konnten. Lit. 2.3
Warmes Denekamp-Interstadial fördert Kunst in Europa
Nach 40 000 v.h. stellte sich ein sehr wechselhaftes Klima ein: mäßig warme Zeitabschnitte wechselten mit starken eiszeitlichen Einbrüchen (vgl. Abb. 2). Haben die modernen Menschen aus dem wärmeren Orient diese schwierige Zeit in Europa überhaupt überstanden? Lange Zeit war dies unklar, weil entsprechende Funde fehlten. Im eingestürzten Abris Castanet in Südfrankreich hat man aber nun eine 37 000 Jahre alte unvollendete Ritzzeichnung eines Tiers zusammen mit einigen Symbolen gefunden, welche die Anwesenheit der Menschen für diese Zeit zumindest in dieser etwas wärmeren Region belegen. Etwa gleich alt ist die älteste aus Europa bekannte Zeichnung aus der El Castillo-Höhle in Nordspanien.
In einer wärmeren Region, auf der indonesischen Insel Sulawesi, datiert man eine auf eine Höhlenwand gesprühte menschliche Hand auf etwa 40 000 Jahre.
Gegen 35 000 v.h. setzte das Klima wieder zu einer längeren wärmeren Periode an, dem Denekamp-Interstadial, und es blieb fast 3 Jahrtausende warm, wenn auch die Temperatur wieder eine fallende Tendenz zeigte.
Unter diesen günstigeren Bedingungen regte sich wieder mehr menschliches Leben in Europa. Die Menschen waren nicht mehr gezwungen, ihre gesamte Zeit im Kampf ums Überleben einzusetzen und das gab der frühen Kunst wieder einen großen Impuls! Besonders reich sind einige Frühfunde aus dieser Zeit aus Höhlen des Lonetals bei Ulm: eine viereinhalb Zentimeter große Figur eines Mammuts aus Elfenbein datiert man auf ein Alter von 35 000 Jahren. Weiter fanden sich zwei ebenfalls aus Mammutelfenbein geschnitzte Figuren von Mischwesen aus Menschen und Löwen, deren Alter auf 32 000 Jahre bestimmt wurde. Später entstanden Skulpturen und Bilder solcher schamanenhafter Mischwesen aus Mensch und verschiedenen Tieren an vielen Orten und sie gewannen besonders in Ägypten, auf der Kunst der Sahara aufbauend, eine große Bedeutung. Am Beginn dieser Kunstperiode stehen auch Ritzzeichnungen in Felswänden mit einem Fruchtbarkeitssymbol, dem weiblichen Schoßdreieck. Dieses Zeichen wurde viele Jahrzehntausende später in der sumerischen Keilschrift in Mesopotamien für „Frau“ verwendet.
In dieser Zwischenwarmphase erlebte in Chauvet im Tal der Ardeche in Südfrankreich, einer wärmeren Gegend, die Kunst der Bemalung von Höhlenwänden eine erste Blüte: die frühesten Zeichnungen in einer längeren Zeitfolge werden dort schon auf 32 000 v.h. datiert, also lange bevor die spektakulären Kunstwerke der „Kathedralen der Eiszeit“ entstanden, wie in Lascaux in Südfrankreich oder in Altamira in Nordspanien.
Für die frühe Kunstentfaltung in Europa kann man einen wellenförmigen zeitlichen Verlauf finden: in wärmeren Perioden blühte das Kunstschaffen auf und in Kaltperioden kam es wieder ganz oder weitgehend zum Erliegen. Sicher ist nach einem starken Kälterückfall die Zahl der Menschen auch wieder stark geschrumpft, Menschen sind auch in mildere Regionen ausgewichen und die Zeit der verbliebenen Menschen war mit den Notwendigkeiten zum Überleben ausgefüllt. Lit.2.4
Rückfall in tiefe Eiszeit: Exodus für den Neandertaler
Europa und Westasien waren vor dem Eintreffen des modernen Menschen vom Neandertaler bewohnt. Er stellt die moderne Variante des Homo erectus dar, welche sich aus afrikanischen Wurzeln innerhalb eines langen Zeitraums in Europa in Anpassung an das oft eiszeitlich kalte Klima ausgebildet hatte. Bis vor kurzer Zeit kannte man keinen Neandertaler, der älter als 120 000 Jahre alt war und damit aus der Anfangsphase der jüngsten Eiszeitperiode stammte. Neuerdings hat man aber in der nordspanischen Höhle Sima de los Huesos bei Atapuerca Schädel entdeckt, die schon vor 430 000 Jahren einen ersten Übergang zur Physiognomie des Neandertalers zeigen. Es ist sogar gelungen, eine 400 000 Jahre alte DNS zu identifizieren – und diese hat eine starke Ähnlichkeit mit jener des frühen sibirischen Denisova-Menschen.
Die Neandertaler wiesen einen gedrungenen und muskulösen Körperbau auf mit einem schweren Skelett, welcher einen günstigen Wärmehaushalt erlaubte. Schlanke Körper mit hoher Wärmeabgabe sind einem kalten Klima offensichtlich ohne großen äußeren Schutz nicht gewachsen. Dieser Körperbau hat dem Neandertaler allerdings einen schlechten Ruf eingetragen, als seine Knochen erstmals 1858 in einer Höhle im Neandertal bei Düsseldorf gefunden wurden: Experten erklärten sie einmal als Reste eines mongolischen Kosaken und zum anderen Male als die eines Schwachsinnigen. Der örtliche Naturkundelehrer meinte, dass es sich um die Knochen eines Mannes handele, der vor der Sintflut Zuflucht in einer Höhle gesucht habe.
Der Neandertaler hat nach dem Eindringen des modernen Menschen in Europa das Mit- oder Gegeneinander zwar schließlich verloren; anderseits verwendete er aber schon Geräte, die man lange Zeit erst als Errungenschaft des modernen Homo sapiens betrachtet hat. So setzte er schon Wurfspeere mit Steinspitze ein. Kürzlich hat man Glättwerkzeuge aus Hirschknochen für Leder der Neandertaler gefunden, welche vom Homo sapiens bisher nicht bekannt sind. Auffallende kulturelle Fortschritte des Neandertalers hat man auch auf der Halbinsel Krim angetroffen, wo der Neandertaler seit 120 000 Jahren, der moderne Mensch aber erst seit 30 000 Jahren nachweisbar ist. Schon vor 50 000 Jahren begannen die Neandertaler dort mit dem Einsetzen feiner Steinabschläge und Klingen in hölzerne Träger und sie waren nach heutiger Kenntnis damit dem modernen Homo sapiens im Orient um einige Jahrtausende voraus. Der Neandertaler hat auch im Mit- und Gegeneinander mit dem eingedrungenen modernen Menschen in Europa beachtliche Entwicklungsschritte gezeigt.
Die dünne Neandertaler-Population muss allerdings ein sehr sensibles ethnisches System gewesen sein. Untersuchungen von A.Briggs und S.Pääbo (Leipzig) führten zu dem Schluss, dass in Europa gleichzeitig nur etwa 1500 Neandertaler-Mütter gelebt haben dürften, welche es bis zur Großmutter gebracht haben. Bei noch stärkerer Verdünnung der Population, wie sie durch das Eindringen des modernen Menschen wohl bewirkt wurde, fehlte dann möglicherweise der Kontakt mit einer ausreichenden Zahl von Menschen für die Durchmischung der Gene. Der Neandertaler könnte so durch erzwungene Inzucht anfällig geworden sein. Er verschwand aus Mitteleuropa und seinen Mittelmeerzentren vor etwa 33 000 Jahren und er wurde in Randgebiete abgedrängt, auf die iberische Halbinsel und an das spanische Mittelmeer, die Krim und den Nordwesten Kroatiens, wo die letzten Reste noch bis zur langen Kaltphase um 29 000 bis 28 000 v.h. überlebten. Bemerkenswert ist, dass der mit seinem Körperbau besser als der moderne Mensch an kältere Temperaturen angepasste Neandertaler nicht in Warmperioden, sondern in einer Folge sehr kalter Temperaturen ausgestorben ist, während der moderne Mensch sie bewältigen konnte!
Die Neandertaler haben sich damals nicht zum erstenmal wegen großer Kälte in wärmere Regionen zurückgezogen: das war auch in einer extremen Kaltphase vor 65 000 Jahren und in der kalten Periode zwischen 40 000 und 35 000 v.h. schon der Fall. Ein neuerer Überblick kam sogar zu dem Schluss, dass die Kerngebiete der Neandertaler-Besiedlung diese wärmeren Zonen waren und dass diese Frühmenschen nur in den wärmeren Interstadialen in die sonst kalten Regionen, wie das Neandertal, vorgerückt seien.
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