Wolf Buchinger - Nacht über Maspalomas

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Der Klimawandel trifft Maspalomas brutal: Ein Jahrhundert-Sahara-Wind weht Staub und Hitze über die Stadt. Ein Ehepaar kämpft in Bungalow 3711 gegen die erstickenden Auswirkungen. Ihr gemeinsamer Überlebenskampf stellt ihre Beziehung auf den Prüfstand und verändert sie.

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Wolf Buchinger

Nacht über Maspalomas

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Inhaltsverzeichnis

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Nacht über Maspalomas

Schlimmer als Corona

Der Sturm

Nebenwirkungen

Dunkle Gestalten

Windspiele

Seltene Gedanken

Das Ende naht

Die Erlösung

Impressum neobooks

Nacht über Maspalomas

Wolf Buchinger

Nacht über Maspalomas

Ein Roman für 1 Lesestunde

„Happy birthday to you!“ Er hatte Tränen in den Augen und hätte am liebsten laut losgeheult, doch ‚Männer weinen nicht‘ und die vielen Menschen hier oben bewirkten, dass er sein Taschentuch dezent aus der Hosentasche holte, sich wegdrehte und blitzschnell das linke Auge trocknete, denn seine Frau hatte ihn beobachtet - und Emotionen zuzugeben, war nicht seine Stärke. Das rechte blieb jedoch feucht. Sie reichte ihm ein Papiertaschentuch, bewusst ohne ein Wort zu sagen, denn nach vierzig Ehejahren wusste sie, wie er reagiert hätte und damit die besondere Stimmung getrübt hätte.

„Danke.“

Mehr zu sagen schaffte er nicht, denn seine Gefühlwelt war sehr labil.

„Du darfst ruhig heulen, ich drehe mich auch weg!“

Er wusste, dass seine Frau ihm jetzt keine Schwäche vorwerfen würde, denn sie wünschte sich schon lange, dass er seine Emotionen zeigen könnte.

„Bitte noch eins!“

Sie gab ihm gleich drei Taschentücher, er benutzte sie alle.

„Schau mal, die zelten hier!“ Dies war ein Versuch, ihn mit einer banalen Beobachtung zurück in die Spur zu bringen. Das Ablenkungsmanöver gelang:

„Das sind ja zehn, zwanzig und mehr Zelte, hier oben ist das ungewöhnlich.“

„Die haben vielleicht wieder einen ihrer vielen Feiertage, den sie hier oben feiern - die Beschneidung von Jesus

oder so.“

Sie setzten sich auf einen Felsvorsprung und beobachteten schweigend, wie überall gewerkelt wurde. Übervolle riesige Mercadona- und Lidl-Plastiktaschen wurden angeschleppt, auffallend die Zehnliter-Wasserbehälter, die sie von zuhause nicht kannten.

„Damals waren wir hier ganz allein. Komm, wir machen noch das Erinnerungsfoto genau an derselben Stelle und fahren dann sofort zurück, hier wird es mir langsam zu eng.“

„Noch etwas nach rechts, ja, genau wie damals - und bitte mit demselben verlegenen Lächeln!“

Sie erinnerten sich noch genau, wie sie das Stativ mühsam auf dem unregelmäßigen Boden aufgestellt hatten, heute ging das alles ratzfatz, und dank dem Weitwinkelobjektiv war der ganze Roque Nublo auf dem Selfie abgelichtet. Jetzt war das Versprechen eingelöst, erst nach der Pensionierung wieder nach Gran Canaria zurückzukommen, denn ‚Sehnsucht macht eine Reise viel wertvoller‘. Geblieben ist in den langen Jahren in glücklichen Stunden, wenn sie seinen Penis hochlobte, ihr Vergleich mit dem Roque Nublo wegen der entsprechenden Form. Der Folgesatz war dann stets: „Es ist ja bald soweit!“

Dies waren über viele Jahre Worthülsen, denn dieses „bald“ wurde in Jahrzehnten gemessen. Viel zu schnell konnten sie einstellige Zahlen angeben und am Schluss waren es gar nur Monate. ‚Die Zeit rast – verdammt noch mal!‘

Der große Parkplatz war nun übervoll, drei Autofahrer bedrängten sie beim Hinausfahren und beschimpften sich gegenseitig.

„Gut, dass wir so wenig spanisch verstehen! Ich habe nur ‚subito‘ verstanden. Ist das nicht italienisch?“

Die Blechlawine, die ihnen entgegenkam, schien endlos zu sein, sie waren die einzigen, die nach bergab fuhren.

„Vielleicht ist da oben ein Popkonzert oder es gibt etwas gratis?“

„Das kann uns ja egal sein, Hauptsache, wir haben freie Fahrt. In einem Kilometer bitte nicht nach links fahren, sondern nach rechts ins Einkaufszentrum von Meloneras!“

„Verstehe ich nicht, wir haben doch heute Morgen alles eingekauft.“

„Es fehlt noch das, was wir danach immer kaufen.“

„Verstehe ich auch nicht, aber ist eine gute Idee. Dann gehen wir heute wieder zum Schnitzelkönig, damit du nicht kochen musst.“

„Du musst ja nicht jedes Mal drei große Bier trinken und ein Rumpsteak von vierhundert Gramm! Auch im Urlaub sollte man an seine Gesundheit denken.“

„Danke für den Tipp, ich beuge lieber für die Zukunft vor, man weiß ja nie, wann schlechte Zeiten kommen.“

Solche Larifari-Einstellungen zum Leben hatten sie immer schon aufgeregt, sie sagte aber nichts mehr, weil er dann noch mehr solcher Dummheiten als Entschuldigung bringen würde. Logik in der Ernährung war nicht sein Fall. Sie verkniff sich auch ihr letztes Argument „Stell dich mal wieder auf die Waage!“, sie kannte seine saudoofe Antwort: „Hier kann man günstig neue Gürtel kaufen“.

„War es damals auch so heiß?“

Er zeigte auf das Außenthermometer.

„Toll, wie in den Tropen! 36,4 Grad. Schön, deswegen sind wir ja hier, da schmeckt das Königsbacher noch besser!“

„Damals gab es keinen Smog wie heute, für eine Stadt am Meer ist das peinlich.“

„Schau! 37,2 Grad!“

„Auf solche Rekorde kann ich verzichten, zehn Grad weniger wären mir lieber.“

Sie fuhren schweigend weiter und beobachteten das Thermometer, das schon fast 38 Grad erreicht hatte.

Die Sicht wurde schnell immer schlechter.

„Nix ‚ewige Sonne‘, wie es im Werbeprospekt heißt, das ist eine typische Übertreibung der Spanier, bei uns wäre das nicht möglich.“

„Verdammt! Am dritten Urlaubstag schon dieser Reinfall. Man kann sich nicht einmal beschweren, das nutzt hier gar nichts.“

Die Straßenbeleuchtung ging flackernd an.

„Na, dann gute Nacht! Erst halb fünf, das kann ja heiter werden. Ich habe das Recht, jeden Abend beim Sonnenuntergang am Meer zu sitzen und ungestört den Beginn der Dunkelheit zu bewundern! Deswegen sind wir doch hier. Bei uns zuhause verschwindet die Sonne um vier Uhr herum hinter den Hochhäusern.“

Meloneras war menschenleer. Niemand war auf den Straßen und den Trottoirs, überall freie Parkplätze, selbst vor dem Haupteingang zum Einkaufszentrum konnten sie problemlos ihr Auto abstellen.

„Hier dürfen sonst nur die ganz Reichen parken!“

„Komm hierher, sofort!“

Diese autoritäre Tonart versprach nichts Gutes:

„Schau her, lies laut vor!“

„Also doch, es ist ein Fest! Hier steht es: ‚Wegen Calima bis auf weiteres geschlossen.‘ Na, wenigstens auch auf Deutsch.“

Ein älterer Mann schloss von innen auf, sperrte die Tür von außen hastig ab und rief beim Vorbeirennen:

„Go home! Go home! Big Calima! »

„Gracias! Wo können wir mitfeiern?“

Er rannte, ohne eine Antwort zu geben in die Tiefgarage.

„Schade. Hier ist alles zu. Wir müssen nach Hause und auf der Terrasse essen. Ist ja auch ganz schön bei diesen Temperaturen. Und wir haben noch eine mitgebrachte Mettwurst.“

„Habe ich weggeworfen, der Kühlschrank ist nicht kalt genug, denn …"

Der Himmel verdunkelte sich schnell, der Wind wurde zum Sturm, Staub legte sich auf alles, die Temperatur stieg auf genau 40 Grad.

„Schnell heim, wir essen drin!“

Er raste entgegen der Fahrtrichtung durch eine Einbahnstraße, versuchte die kleine Brücke am Leuchtturm zu finden, musste zweimal im selben Kreisverkehr eine andere Ausfahrt suchen und verfuhr sich mehrmals, denn die beleuchteten Orientierungspunkte und die Straßenschilder waren wegen des immer dichter werdenden Staubes schwer zu erkennen.

Er parkte schräg vor ihrer Bungalowanlage und sie stürmten durch den Haupteingang. Kein Mensch, kein Licht zu sehen. Sie kamen in Atemnot, weil der Sturm nicht nur Staub mitbrachte, sondern die gesamte trockene Erde aufwirbelte. Ihren Eingang fanden ie erst beim dritten Versuch.

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