Nach einer Weile bemerkte sie, daß der Mann mit der Jockeimütze dieser Gruppe von Menschen eine richtige kleine Vorstellung gab; er ging feierlich mit einem Rechen umher und tat so, als ob er Kies wegharkte, dabei führte er eine nur für Eingeweihte bestimmte Burleske auf, deren Spannung durch seine ernste Miene aufrechterhalten wurde. Die geringste Veränderung seines Gesichtes wirkte spaßig, bis schließlich alles, was er sagte, einen Sturm von Heiterkeit auslöste. Selbst wer wie sie zu weit entfernt war, um die Worte zu verstehen, verfolgte das Spiel mit Aufmerksamkeit, bis zuletzt die einzige Person am Strand, die nicht davon berührt wurde, die junge Frau mit der Perlenkette war. Vielleicht aus einer gewissen Bescheidenheit, wie sie Besitzenden eigen ist, quittierte sie jede Lachsalve damit, daß sie ihren Kopf tiefer über ihre Liste beugte.
Der Mann mit dem Monokel und der Flasche sprach plötzlich wie aus dem Himmel heraus zu Rosemarie herab:
»Sie sind eine famose Schwimmerin.«
Sie widersprach.
»Doch, ausgezeichnet. Mein Name ist Campion. Hier ist eine Dame, die Sie vorige Woche in Sorrent gesehen hat und weiß, wer Sie sind; sie möchte gern Ihre Bekanntschaft machen.«
Als Rosemarie sich mit unterdrücktem Ärger umblickte, sah sie, daß die Leute mit der weißen Haut sie erwarteten.
Zögernd erhob sie sich und ging zu ihnen hinüber. »Frau Abrams – Frau McKisco – Herr McKisco – Herr Dumphry –«
»Wir wissen, wer Sie sind«, sagte die Dame im Abendkleid. »Sie sind Rosemarie Hoyt; ich habe Sie in Sorrent erkannt und erkundigte mich beim Geschäftsführer des Hotels; wir alle finden Sie einfach wunderbar und möchten wissen, warum Sie nicht in Amerika sind und weiterfilmen.«
Sie forderten sie durch ganz überflüssige Gesten auf, näher zu kommen. Die Dame, die sie erkannt hatte, war keine Jüdin, trotz ihres Namens. Sie war eine jener »famosen Alten«, die sich dadurch jung erhalten, daß sie Erfahrungen gegenüber unzugänglich sind und eine gute Verdauung haben.
»Wir wollten Sie davor warnen, sich am ersten Tag einen Sonnenbrand zu holen«, fuhr sie munter fort, »denn Ihre Haut ist wichtig; aber hier am Strand scheint es so verflixt steif zuzugehen, daß wir nicht wußten, ob Sie etwas dagegen hätten.«
»Wir dachten, Sie seien vielleicht mit im Komplott«, sagte Frau McKisco. Sie war eine hübsche junge Frau mit nichtssagenden Augen und entwaffnender Lebhaftigkeit. »Wir wissen nicht, wer im Komplott ist und wer nicht. Ein Herr, zu dem mein Mann besonders nett gewesen war, entpuppte sich als Hauptperson – praktisch als rechte Hand des Helden.«
»Ein Komplott?« fragte Rosemarie, die nur halb begriff. »Gibt es ein Komplott?«
»Das wissen wir nicht, meine Liebe«, sagte Frau Abrams unter stoßweisem, behäbigem Lachen. »Wir sind nicht inbegriffen. Wir sind die Galerie.«
Herr Dumphry, ein flachsköpfiger, weibischer junger Mann, bemerkte: »Mama Abrams ist ein Komplott für sich.« Campion jedoch drohte ihm mit seinem Monokel und sagte: »Royal, sei nicht so schrecklich ungezogen.« Rosemarie blickte unbehaglich von einem zum andern und wünschte, ihre Mutter wäre mit ihr heruntergekommen. Ihr gefielen diese Leute nicht, ganz besonders in unmittelbarem Vergleich mit denen, die am andern Ende des Strandes ihr Interesse erregt hatten. Das bescheidene, aber ausgeprägte gesellschaftliche Talent ihrer Mutter pflegte mit unerwünschten Situationen schnell und sicher fertig zu werden. Aber Rosemarie war erst seit einem halben Jahr berühmt, und mitunter zeitigten die französischen Sitten und Gebräuche ihrer frühesten Jugend, zu denen sich später die demokratischen Gepflogenheiten Amerikas gesellt hatten, eine gewisse Verwirrung, durch die sie unfehlbar in solche Lagen geriet.
Herr McKisco, ein knochiger Mann um die Dreißig mit rotem, sommersprossigem Gesicht, fand das »Komplott« als Gesprächsstoff nicht erheiternd. Er hatte auf die See hinausgestarrt – nun, nach einem schnellen Blick auf seine Frau, wandte er sich zu Rosemarie und fragte herausfordernd:
»Schon lange hier?«
»Erst einen Tag.«
»Ach so.«
Offenbar merkte er, daß das Gespräch eine völlig andere Wendung genommen hatte, und blickte die anderen der Reihe nach an.
»Werden Sie den ganzen Sommer bleiben?« fragte Frau McKisco unschuldig. »Wenn ja, dann können Sie beobachten, wie sich das Komplott entwickelt.«
»Um Gottes willen, Violet, hör endlich auf damit!« explodierte ihr Mann. »Denk dir einen neuen Ulk aus, ich flehe dich an!«
Frau McKisco beugte sich zu Frau Abrams und schnaubte hörbar:
»Er ist nervös.«
»Ich bin nicht nervös«, widersprach McKisco. »Zufällig bin ich überhaupt nicht nervös.«
Er war sichtlich wütend – eine graue Röte hatte sich über sein Gesicht gebreitet, und jeglicher Ausdruck darin war einer nichtssagenden Mattigkeit gewichen. Plötzlich wurde er sich seines Zustandes irgendwie bewußt; er erhob sich, um ins Wasser zu gehen, seine Frau folgte ihm, und Rosemarie ergriff die Gelegenheit, um es ihnen gleichzutun.
Herr McKisco holte tief Atem, warf sich in das seichte Wasser und begann, mit steifen Armen auf das Mittelmeer einzuschlagen, augenscheinlich in der Absicht, ein Kraulen anzudeuten. Als ihm die Luft ausging, stellte er sich auf, blickte um sich und machte ein erstauntes Gesicht, weil das Ufer noch in Sicht war.
»Ich habe noch nicht gelernt, richtig zu atmen. Ich habe nie recht begriffen, wie man atmen muß.« Er blickte Rosemarie fragend an.
»Sie müssen unter Wasser ausatmen«, erklärte sie. »Und nach jedem vierten Stoß nehmen Sie den Kopf, nach oben, um Luft zu schnappen.«
»Das richtige Atmen fällt mir am allerschwersten. Wollen wir aufs Floß?«
Der Mann mit dem Löwenhaupt lag ausgestreckt auf dem Floß, das mit der Bewegung des Wassers auf und nieder schaukelte. Als Frau McKisco danach griff, neigte sich das Floß plötzlich nach der anderen Seite und riß ihren Arm hart nach oben, worauf der Mann aufstand und sie an Bord zog.
»Ich dachte schon, Sie hätten sich wehgetan.« Er sprach langsam und schüchtern, und sein Gesicht war eins der traurigsten, die Rosemarie je gesehen hatte, mit hohen Backenknochen wie ein Indianer, einer langen Oberlippe und großen, tiefliegenden, dunkel goldbraunen Augen. Er sprach aus dem Mundwinkel heraus, als hoffe er, seine Worte würden auf Umwegen unaufdringlich zu Frau McKisco gelangen. Einen Augenblick später stieß er sich vom Floß ab, und sein langer Körper lag in Richtung des Strandes bewegungslos auf dem Wasser.
Rosemarie und Frau McKisco beobachteten ihn. Als sein Schwung nachließ, drehte er sich mit einem Male kopfüber um sich selbst; seine dünnen Oberschenkel erschienen auf der Oberfläche, dann verschwand er ganz und gar und ließ nur einen Schaumfleck zurück.
»Er ist ein guter Schwimmer«, sagte Rosemarie.
Frau McKiscos Antwort kam mit erstaunlicher Heftigkeit.
»Das schon, aber ein erbärmlicher Musikant.« Sie wandte sich an ihren Mann, dem es nach zwei erfolglosen Versuchen gelungen war, auf das Floß zu klettern, und der, nachdem er das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, zum Ausgleich etwas Besonderes vollbringen wollte und dabei nur neuerlich ins Straucheln geriet. »Ich sagte gerade, daß Abe North zwar ein guter Schwimmer, aber ein schlechter Musikant sei.«
»Ja«, pflichtete McKisco widerwillig bei. Offenbar hatte er die Welt seiner Frau geschaffen und gestattete ihr wenig Freiheit darin.
»Antheil ist ein Mann nach meinem Geschmack.« Frau McKisco kehrte sich herausfordernd Rosemarie zu. »Antheil und Joyce. Ich nehme an, Sie werden in Hollywood nicht viel von solchen Leuten hören; aber mein Mann hat über den ›Ulysses‹ die erste Kritik geschrieben, die in Amerika erschienen ist.«
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