Meine Bedenken stellten sich als grundlos heraus. Die nächsten Wochen winkten die Hopi-Feldarbeiter jedes Mal freundlich, wenn ich vorbeiradelte. Bald fing ich an ihnen zu vertrauen und winkte zurück. Schon als Kind in Deutschland las ich Indianergeschichten mit Begeisterung. Es führte zu tieferem Interesse an diesen Menschen, die in Gegenden wie der Arizonawüste leben und überleben konnten. Die freundliche Geste des Winkens schien unverbindlich und ermutigend. Mein Wissensdurst über sogenannte Indianer des Südwestens wuchs.
Ziemlich bald bekam ich Gelegenheit noch mehr über sie zu erfahren. Eines Sonntags, während dieses ersten, schicksalhaften Semesters Psychologie 101 , kamen meine Schwiegereltern zu Besuch. Die gesamte Familie, organisiert von meiner Schwägerin, machte einen kleinen Ausflug. Sie meinte, dass da etwas wäre, was mich interessieren würde. Es sollte der erste Trading Post sein, den ich je betrat. Dort gab es authentische Hopi-Waren und relevante Literatur. Ich war begeistert. Eine junge, hübsche Hopi-Frau mit langem, schwarzem Haar stand hinter dem Tresen. Ihr Gesichtsausdruck war unverbindlich und nicht leserlich, vielleicht indianisch? Es war sehr still im Geschäft, wie in der Landschaft draußen. Nur meine Familie war da. Aufgeregt sprach ich mit meinem Mann und zeigte auf verschiedene Dinge.
Plötzlich drehte sich die Indianerfrau zu mir und fragte mich in fehlerfreiem Deutsch: "Sie kommen aus Deutschland?"
"Ja, sie kommt aus Deutschland", antwortete mein Mann für mich, da ich für den Moment sprachlos dastand.
"Wo haben Sie diese Sprache gelernt", fragte ich sie schließlich.
"Im College", sagte sie mit einem Hauch von Selbstverständlichkeit. Ihr Grinsen, obwohl freundlich, zeigte deutlich, dass sie wusste, dass ich das nicht erwartet hatte und eine vorgefertigte Meinung bezüglich der akademischen Ausbildung ihres Stammes hatte.
Aber das war noch nicht das Ende meines Umdenkens. Schon von Anfang an fiel mir in meinen Psychologievorlesungen ein indianisch aussehender Mann auf. In der nächsten Vorlesung nach meinem Besuch im Trading Post brachte ich den Mut auf, diesen Mann nach seiner ethnischen Zugehörigkeit zu fragen. Ja, er wäre vom Stamme der Hopi, sagte er freundlich und ruhig. Meine Neugierde und Voreingenommenheit ließ mich noch weiter erkunden, warum er denn einen Kurs in einführender Psychologie brauchte. Es wäre notwendig für seine Arbeit als aktives Mitglied von American Indian Movement . Wiederum musste ich eine Lektion einstecken.
Zu Hause, sozusagen im stillen Kämmerlein, versuchte ich mein Selbstbild mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Für zwei bis drei Trimester im Merritt College in Oakland, Kalifornien, ging ich mit einigen Black-Panther-Mitgliedern in die Vorlesungen. Nun saß ich mit Hopi-Indianern in einem Klassenzimmer in einem College in ihrer Reservation. Das war nicht Fernsehen, das war real. Würden die zu Hause in Bayern mir das glauben?
Für die nächsten zwei Jahre las und lernte ich über die Indianer des amerikanischen Südwestens. Ich bewunderte die hoch entwickelte Arbeit der Navajo-Silberschmiede. Ich bestaunte die Webkunst und Teppiche der Hopi. Natürlich war ihr Preis nicht in meiner Liga. Dasselbe galt für die Töpferarbeiten. Eine meiner geschätzten Errungenschaften aus dieser Zeit war ein Sandbild, das mit den verschiedenfarbigen Sandarten der Wüste hergestellt worden war. Es hatte den Titel Rainmaker . Ich schickte es meiner Mutter mit ein paar erklärenden Zeilen.
Seit meinem Besuch dieses Trading Posts , tiefer im Reservat gelegen, war mein Wunsch, die Geschichte und das Leben der Indianer in den Wüstengebieten des Südwestens im Detail kennenzulernen, sehr groß. Vor allen Dingen interessierte mich die Zeit vor Klimaanlage und Wasserzuleitung aus weiter Entfernung. Das harte Leben der Pioniere faszinierte mich ebenfalls.
Mein Mann und ich fuhren mit unserem kleinen VW-Käfer zu historischen Stätten in Arizona, um die Gegenden zu sehen, wo diese Menschen dereinst einmal vorbeikamen oder gelebt hatten. Die Frage, warum der Mensch willens ist, sich in solch untauglichen und für Leib und Leben feindlichen Gegenden niederzulassen, stand groß im Raum. In Tutzigoot, in einer leicht hügeligen Landschaft gelegen, befanden sich die Überreste einer typischen Behausung aus längst vergangenen Zeiten. Ein freundlicher, schweigsamer American Indian führte uns durch die Anlage. Nur der Wind, unsere Schritte und ein paar gesprochene Worte waren zu hören. Die ganze Landschaft ringsum schien menschenleer und strahlte Stille und Einsamkeit aus. Man konnte die eigenen Nerven hören. Der Horizont lag scheinbar endlos weit entfernt.
Ähnlich waren die Verhältnisse in Jerome. Das war eine sogenannte Geisterstadt , die malerisch an steilen Hügeln ausgebreitet da lag. Eine ehemalige Kupfermine bewirkte die Ansiedlung der Menschen. Vor meinem geistigen Auge sah ich reges Leben, schuftende Männer, Frauen mit Kindern in der Mitte von nirgendwo . Ich war tief beeindruckt von der menschlichen Entschlossenheit, sich ein Leben sozusagen aus dem Boden zu stampfen, allen widrigen Umständen zum Trotz. Als Spezies sind wir sehr anpassungsfähig und willig, wenn Hoffnung die Motivation beflügelt , dachte ich. Meine eigene Situation belegte diese Theorie. Ich bekam noch viel Gelegenheit, diese zu testen.
Diese bizarr-schöne Landschaft, die unglaubliche Stille und die Gelassenheit, die sie ausstrahlte, das Zeugnis der geologischen Evolution der Erde, das sie darstellte, schienen plötzlich meinen noch nicht vollendeten Anpassungsprozess leicht zu machen. Es schien kein Problem mehr zu sein, sondern nur noch eine Aufgabe. Diese Erkenntnis erstaunte mich und warf Fragen auf: Kann die natürliche Umgebung Ängste reduzieren, kann sie das Selbstwertgefühl heben, kann sie realistisches Denken fördern? Ich war geneigt diese Fragen zu bejahen. Der genaue Zusammenhang zwischen der kulturellen Anpassung und diesem scheinbar vorhandenen positiven Einfluss war mir damals jedoch noch unklar..
Um die natürliche Schönheit Arizonas zu bewundern, zu genießen und auf sich wirken zu lassen, musste man eigentlich nur aus der Haustüre ins Freie treten. In diesem Sinne kam mein Mann eines Abends heim und stürmte aufgeregt in die Wohnung: "Schnell, schnell, komm raus und schau dir das an. Es hat geschneit!", rief er. Ich folgte ihm nach draußen, dachte aber dabei, dass er mich entweder auf den Arm nahm oder verrückt geworden sei. Es war mir doch gesagt worden, dass es hier in den letzten fünf Jahren keinen Niederschlag irgendwelcher Art gegeben hätte.
Mein Mann aber zeigte nach Norden. "Schau", sagte er, "nimm es auf. Vielleicht siehst du das in der nächsten Dekade nicht wieder, oder in deinem restlichen Leben."
Man konnte die ganze Bergkette um Flagstaff und Richtung Grand Canyon sehen. Alle Gipfel trugen weiße Kappen. Die abendliche Sonne hatte zudem alles in rosa Licht getaucht. Es war ein majestätisches und sicher seltenes Bild. Es war auch der Stimulus, der uns die Idee in den Kopf setzte, höher gelegenes Gebiet zu besuchen, wie zum Beispiel das Apachen-Reservat.
"Wir gehen Skifahren in den weißen Bergen", verkündete mein Mann eines Tages.
Ich konnte nicht glauben, dass es in den Bergen Arizonas genug Niederschlag gab, um ein Skigebiet auszuweisen. Noch nie hatte ich gehört, dass die Pueblos und Navajos skigefahren sind. Arizonas Image waren Steine, Kakteen, Dürre, Skorpione und Pferde. Aber ich war willens mich eines Besseren belehren zu lassen.
Wir verließen Scottsdale nach Sonnenuntergang und fuhren ohne Unterbrechung etwa drei Stunden. Nach einer Stunde Fahrzeit gab es ringsum kein von Menschenhand eingeschaltetes Licht mehr. Es war stockdunkel. Es kamen uns nur sehr wenige Autos entgegen, keines folgte uns. Mein Mann war in guter Stimmung und sang sein Lied vom Wandering Star . Ich jedoch befand mich in einem Zustand wachsender Nervosität und fragte schließlich, ob wir uns verfahren hätten.
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