Es dauerte nicht lange, bis die Scheinwerfer wieder dunkel wurden und uns zum Anhalten zwangen, aber wir hatten Glück im Unglück: Ich hatte vorsichtshalber meine mir so teure Kosmetik in ein nasses Handtuch gewickelt. Dieses benutzte nun mein Mann, um einen Draht oder ein Kabel unter dem Steuerrad zu kühlen. Nach einem kurzen, schlangenartigen Zischen hatten wir wieder Licht und konnten unsere Reise fortsetzen. Da wir zu diesem Zeitpunkt schon in der Mitte von Nirgendwo waren, mussten wir uns ranhalten. Diese Verdunkelungsszene wiederholte sich noch einmal, denn obwohl der erste Sonnenstrahl bereits über den Horizont lugte, ließen wir die Lichter zur Sicherheit noch eingeschaltet.
Gegen zehn Uhr morgens erreichten wir Phoenix. Unsere Kleider klebten bereits auf der Haut. Ein leichter Kopfschmerz plagte mich und ich fühlte mich seltsam schwach. Etwa 30 Minuten später konnten wir endlich in ein Motel einchecken. Die Hitze war bereits unerträglich.
Ich musste mich hinlegen. Mein Mann sah auf mich herunter und sagte: "Okay, ich bin gleich wieder da."
Ich hatte dem nicht viel Beachtung geschenkt, aber er kam tatsächlich schnell zurück. Er fütterte mich mit einer gesalzenen Honigmelone — eine Kombination, die mich fast zum Würgen brachte. Nach einer halben Stunde fühlte ich mich aber schon besser. Ich hatte meine Lektion gelernt: In der sommerlichen Wüste sollte man Salz zu sich nehmen, Vitamin C und Elektrolytpulvergetränke schlucken und viel Wasser trinken! Während der nächsten zwei Jahre, die ich im Valley of the Sun verbrachte, ermahnte mich jeder Arzt, den ich besuchen musste, genug Flüssigkeit zu mir zu nehmen.
Die folgenden zwei Wochen verließ ich unser Appartement nur, um über den Parkplatz zum Auto oder vom Parkplatz in ein Geschäft zu rennen. Um neun Uhr abends konnte ich zum Schwimmbad des Appartementkomplexes gehen. Aber auch da nahm mir die heiße Luft noch den Atem, wenn ich ins Freie trat. Ich hatte das Gefühl, als ob ich den heißen Backofen geöffnet hätte. Die Hitze zu dieser Tageszeit überraschte mich. Ich nehme an, dass mein Gehirn 21 Uhr mit mitteleuropäischer Kühle assoziierte. Die Wirklichkeit brachte mich aber schnell zum Umlernen.
Ein Wort zur mentalen Referenz
Jeder von uns, der sich einer neuen Situation gegenübersieht — sei es ein unbekanntes Land, eine neue Kultur oder ein anderes Klima — bringt ein Set von vorheriger Erfahrung und damit diesbezügliche Erwartungen mit. Beides benutzen wir, oft unbewusst, zur Einschätzung einer neuen, vermeintlich gleichen Situation. Das sind die Rahmenbedingungen, mit denen unser Gehirn das Neue vergleicht und dementsprechend interpretiert. Diese sogenannte 'Referenz' kann aber falsche Daten liefern, wenn der Mensch den Rahmen geändert hat, wie zum Beispiel nächtens in Arizona zu stehen und nicht in Deutschland. Für das Gehirn ist es ein Anpassungsprozess zu erfahren, dass die Nacht in diesem Wüstenland genauso dunkel ist, aber nicht genauso kühl wie im Voralpenland. Was die hochsommerlichen nächtlichen Temperaturen in Arizona betraf, so brauchte mein Gedächtnis nur eine Erfahrung!
Nichtsdestotrotz, nachdem ich meine ersten Lektionen in Sachen Wüstenleben absolviert hatte, passte ich mich schnell an. Ich hatte schon begonnen, dieses schöne und trockene Land zu mögen. Das Valley of the Sun verdiente diesen Namen wahrhaftig. Es war keine Frage, dass jeden Tag der Himmel gleich blau sein würde, ohne das geringste Zeichen einer Wolke. Die Umgebung schien wunderbar bizarr. Camelback Mountain war der herausragende Punkt der näheren Umgebung. Seine felsigen Berghänge waren mit Soguara-Kakteen übersät, die alle ihre stacheligen Arme in den Himmel reckten. Sie erinnerten mich an Orgelpfeifen. Von unserem Balkon aus konnte ich in der Ferne ebenfalls felsige Berge sehen. Sie sahen in der Tat blau aus, so wie ich es aus Cowboy- und Wildwestfilmen meiner Kindheit in Bayern kannte. Die Luft, so sagte man mir, war so klar, dass alles etwas näher zu sein schien, als es in Wirklichkeit war. Ob blau oder nicht, die Augusthitze ließ die Berge rundum flimmern.
Diese Hitze war auch der Grund, weshalb wir sofort ein Auto brauchten, damit wir uns in einer kühlen Zelle dahin bewegen konnten, wo immer wir Dinge zu erledigen hatten. Bei über 40 Grad an einer Haltestelle auf einen Bus zu warten, war nicht meine Sache. Meine Schwägerin, die zu dieser Zeit in der Stadt wohnte, überlies uns eines ihrer Autos. Es war ein Buick Riviera und wieder fand ich es das größte Auto, das ich je gesehen hatte. Es brauchte nine miles to the gallon — etwa vier Liter Sprit für neun Meilen; nicht gerade ein Studentenbudget-Fahrzeug. Noch hatten wir nichts verdient. Aber wir akzeptierten es dankbar. Damit konnten wir im Komfort der Klimaanlage einkaufen gehen, unser Essen würde nicht auf dem Weg nach Hause verderben und mein Mann konnte seinen Arbeitsplatz in frischem Zustand erreichen.
Dieses Problem war also gelöst. Die Antwort zu der Frage, wie ich die jeweils fünf Kilometer hin und zurück zum Scottsdale Community College bei etwa 40 Grad Hitze bewältigen konnte, stand noch offen. Wir hatten noch nicht einmal ein Auto, geschweige denn zwei, gekauft. Aber nachdem ich seit meinem siebten Lebensjahr eine passionierte Radfahrerin war, lag die Lösung offensichtlich im Zweirad- und nicht im Vierradantrieb: Wir kauften ein Fahrrad. Gottseidank bot das College ein sogenanntes Minisemester an, welches den Kurs Einführung in die Psychologie einschloss. Somit konnte ich bis zum ersten Oktober noch warten. Erleichtert und ohne Zögern lies ich mich eintragen und hoffte, dass die Temperaturen bis dahin etwas menschenfreundlicher werden würden.
Am Morgen meiner ersten Vorlesung stand mein Mann als Erster auf. In alter Gewohnheit aus meiner regnerischen Heimat und dem dazugehörigen Rahmen der Referenz fragte ich: "Wie ist das Wetter heute?" Immerhin musste ich heute mit dem Fahrrad losfahren, was immer schon bedeutet hatte, dass man für das Wetter draußen richtig angezogen sein sollte. Mein Mann aber lachte und sagte: "Das Wetter ist heute genau wie es gestern war und genauso wie es morgen sein wird."
Okay, ich hatte verstanden: Gewöhne dich an das Wüstenwetter und vergiss Wolken und Regen.
Mit einer Mischung von Angst und Erwartungsfreude trat ich schließlich in die Pedale. Es ging in östliche Richtung ins Reservat der Hopi-Indianer, wo das College lag. Zwei Gedanken schwirrten mir ganz besonders im Kopf herum: Es war mir bewusst, welch seltener Anblick ich war, denn niemand sonst war mit dem Fahrrad unterwegs. Zweitens war ich nun tatsächlich auf dem Weg, meinen Traumberuf zu verwirklichen. Nichts würde mich jetzt noch davon abhalten können. Die besondere Ironie war, dass ich das alles in einer Fremdsprache machen sollte, die mich in Deutschland vor langer Zeit einmal daran gehindert hat, das Klassenziel zu erreichen. Mein Wörterbuch hatte 619 Seiten! Es war so dick, dass mein Gepäckträger es kaum halten konnte. Mein Mann hatte es an mich weitergegeben, nachdem es ihm marginale Dienste während seines Trimesters Deutsch geleistet hatte. Heute sieht das Buch sehr mitgenommen aus. Immerhin wurde das Copyright im Jahre 1958 erteilt. Aber es steht immer noch in unseren Diensten. Ein Ruhestand ist noch nicht abzusehen.
Nachdem ich die letzten Häuser der Wohngegend auf dem Fußgängerweg durchradelt und hinter mir gelassen hatte, erreichte ich die Felder, die das College umgaben. Nun musste ich auf einer schmalen, zweispurigen, buckligen Straße radeln. Die anderen College-Kids fuhren mit ihren Autos schnell und gefährlich nahe an mir vorbei. Von den Feldern her winkten mir die Arbeiter. Sofort kamen die Erinnerung an Berkeley und damit unangenehme Gefühle in mir hoch. Würde sich Berkeley wiederholen oder war eine radelnde Frau in der Wüste einfach ein ungewöhnlicher Anblick? Würden diese Arbeiter mich morgen nach Dimes fragen?
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