Alpina hatte eine neue Tunika an. Ilara hatte darauf bestanden, dass sie zu ihrer Hochzeit etwas Neues haben sollte. Gemeinsam hatten sie sich für einen dunkelroten, feinen Stoff entschieden, den sie in den kommenden Sommermonaten oft würde tragen können. Den Saum zierten gestickte Vögel. Verstohlen blickte sie ab und an zu Claudius Paternus Clementianus, der die Gesellschaft bereits zum Opfer auf dem Forum begleitet hatte. Er sah gut aus, besser als vor einigen Monaten, als er von der Bürde seiner Tätigkeit als Vertreter des Ädils Martialis förmlich erdrückt worden war. Die neue Aufgabe schien ihm Freude zu machen. Ihre Blicke trafen sich, und Claudius lächelte sie an. Er verabschiedete sich von Lucius und kam auf Alpina zu. Ihr Herz schlug plötzlich bis zum Hals, und in der Magengrube schien ein Stein zu sitzen.
„Salve, schöne Alpina!“ Claudius versank in ihrem Blick. Sie schlug die Augen nieder und ärgerte sich, dass sie wieder rot wurde. „Salve, Claudius Paternus Clementianus“, hauchte sie.
„Deine Schwester sieht sehr glücklich aus“, stellte er fest.
„Ja und ich hoffe, sie wird nicht nur heute so glücklich sein.“
Tatsächlich glaubte Alpina nicht, dass Ilara so glücklich war, wie sie aussah. Die Erlebnisse der Verlobungsfeier, bei ihre Schwester ihren Verlobten in flagranti mit der schönen Schauspielerin Glycera überrascht hatte, waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Zwar hoffte Alpina, dass es Ilara gelänge, Lucius für sich einzunehmen, wenn sie erst zusammen lebten, doch sie beobachtete weiterhin misstrauisch seine unübersehbare Faszination für Glycera. Heute zumindest hatte Ilara durchgesetzt, dass das Unterhaltungsprogramm ohne die Schauspielerin stattfinden würde. Ihr Vater hatte Musiker und Artisten zur Unterhaltung der Gäste engagiert. Auf eine schauspielerische Einlage verzichtete man.
Claudius sah Alpina mit seinen braunen Augen ernst an. Er schien ihre Bedenken zu teilen. „Wir wollen das Beste hoffen! Eine Ehe ist eine langfristige Bindung. Wenn deine Schwester Geduld mitbringt, wird sie im Laufe der Zeit sicher die Liebe ihres Mannes gewinnen.“
Der Ritter mit dem dunklen Vollbart ließ einen gewissen Zweckoptimismus erkennen. Dachte er wirklich so oder wollte er das Mädchen nur beruhigen?
„War das bei Euren Eltern auch so?“, fragte Alpina neugierig.
Claudius lächelte ob der jugendlichen Neugierde. „Meine Eltern haben sich gegenseitig respektiert, und ich vermute, sie haben sich sogar geliebt. Auch wenn ich nie gehört habe, dass sie es zugaben.“
Er blickte Alpina sehr ehrlich an. Dann griff er ihre beiden Hände und zwang sie so, ihm erneut in die Augen zu sehen. „Alpina, bitte, ich möchte so gerne, dass du mir vertraust und deshalb bitte ich dich um das „du“. Nenne mich Claudius. Das wünsche ich mir sehr!“
Alpina stockte der Atem. Sie spürte ihr Herz am Kehlkopf anklopfen. „Ich weiß nicht, ob das so richtig ist“, sagte sie zaghaft. „Aber wenn du es so möchtest, gerne.“
Claudius schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Du machst mir ein großes Geschenk!“
Bevor er weitersprechen konnte, zog Ilara Alpina mit sich. Sie schien es sehr wichtig zu haben. Hilflos ließ sich die jüngere Schwester abführen.
***
Caius genoss die Feierlichkeiten. Er liebte seine Töchter und es machte ihm große Freude, seine Älteste glücklich zu sehen. So schön wie an diesem Tag hatte sie noch nie ausgesehen, und er erkannte an Lucius‘ begehrlichen Blicken, dass auch der Bräutigam es so empfand. Als im Atrium des Hauses eine Gruppe von Artisten ihr Können unter Beweis stellte, ihre Körper sich in wilden Sprüngen und Salti durch den Raum bewegten, betrachtete der Hausherr die Darbietung in der Nähe des Wasserbecken. Es dauerte nicht lange, da stellte sich Clementianus an seine Seite. Gemeinsam applaudierten sie den Artisten. Eine Dienerin kam vorbei. Der junge Ritter nahm ihr zwei Becher Mulsum ab. Einen reichte er Caius, mit dem zweiten prostete er ihm zu.
„Auf deine schönen Töchter, Achilleus! Und darauf, dass sie ein glückliches Leben führen mögen!“
Die Blicke der beiden Männer trafen sich. „Danke, Clementianus! Ja, darauf wollen wir trinken!“
Sie hoben die Becher und tranken. Dann räusperte sich Clementianus und sagte: „Schade, dass Alpina sich so gar nicht vorstellen kann zu heiraten.“ Er versuchte es beiläufig klingen zu lassen, doch Caius horchte auf.
„So? Hat sie das gesagt?“
„Ja, unlängst, als ich sie danach fragte, ob sie nicht auch bald heiraten wolle, wies sie das weit von sich. Sie erklärte, sie wolle lieber lernen, eine gute Obstetrix zu werden. Außerdem seien ihr die Studien bei Eirenaios wichtiger, als Matrone zu werden!“
Clementianus lächelte verschmitzt, und Caius kam nicht umhin, festzustellen, dass ihm die Selbstsicherheit seiner Jüngsten imponierte.
„So ist es, mein Bester! Sie hat viel von ihrer Mutter. Sowohl die Klugheit und das handwerkliche Geschick bei der Behandlung von Gebärenden und Verletzten, als auch den Starrsinn! Leider, auch den!“ Caius lächelte entschuldigend. „Aber du kennst das doch, oder nicht? Deine Mutter ist doch auch Raeterin! Sie führt ein sehr selbstbestimmtes Leben, nicht wahr?“
Der junge Ritter lachte zustimmend. „Sie ist Likatin, aber da gibt es keinen wesentlichen Unterschied. Auch meine Mutter ist stur und würde sich nicht in ihre Lebensführung dreinreden lassen. Da hast du Recht, Achilleus. Ich denke, ich kann mit dem Temperament der Alpenländerinnen umgehen!“ Er zeigte ein gewinnendes Lächeln und machte eine kurze Pause, dann setzte er erneut an: „Falls Alpina es sich dennoch irgendwann anders überlegen sollte, dann denke an mich.“
Caius glaubte, nicht richtig verstanden zu haben. War das gerade eine versteckte Anfrage um Alpinas Hand gewesen? Er sah den Ritter verdutzt an. Dann lächelte er und sagte: „Ich fürchte, du wirst einen langen Atem haben müssen, Clementianus. Aber wenn du sie dann noch willst, gebe ich sie dir mit Freuden!“
Gedankenverloren musterte er den jungen Mann.
***
Ilara zog Alpina mit sich in eine ruhige Ecke des Treppenhauses. Sie war plötzlich furchtbar aufgeregt. „Hilf mir, Alpina! Bald führen sie mich weg! Ich habe Angst! Ich fürchte mich davor, dieses Haus mit seinen Lares für immer zu verlassen!“
Die jüngere Schwester nahm Ilara in den Arm. „Es wird alles gut! Ganz bestimmt! Du wirst wunderbare Schwiegereltern bekommen, und dieses Haus mit seinen Lares bleibt jederzeit für dich geöffnet. Keine Sorge, Ilara!“
Liebevoll streichelte sie den Rücken der Älteren. Ilara rang nach Luft, sie war blass.
„Was ist, wenn sich Lucius weiter mit Glycera trifft?“
Alpina versuchte überzeugend zu klingen. „Du wirst ihn bereits heute Nacht von den Qualitäten deines jungfräulichen Körpers überzeugen. Das kann Glycera ihm nicht bieten. Kopf hoch! Und jetzt komm! Ich sehe, dass die Gäste bereits nach dir suchen. Die Hochzeitsfackel ist entzündet. Es wird Zeit für dich zu gehen!“
Sie stand auf und nahm die Ältere bei der Hand. Gemeinsam traten sie ins Atrium, wo sie von den wartenden Eltern und Gästen freudig begrüßt wurden.
Unter begeisterten „Talassio!“-Rufen bewegte sich die Prozession auf das Haus des Soterichus zu. Es hagelte Nüsse und anzügliche Bemerkungen.
An der Tür des Hauses rieb Ilara die Torpfosten mit Öl ein und wickelte Wollbinden um die Scharniere. So ehrte man nach alter Überlieferung den Gott Portunus und die Göttin Cardea. Bevor Lucius seine Frau über die Schwelle des Hauses trug, sprach sie die Formel „Ubi tu Gaius ego Gaia“. Bei diesem feierlichen Schwur, wurde Ilara schwindelig. Ob es an der Hitze lag oder an den Befürchtungen, die sie mit dem Betreten des Hauses ihres Bräutigams verband - Ilara wurde schwarz vor Augen, sie sackte in die Knie. Lucius fing sie auf und trug sie unter lautem Beifall und Jubelrufen über die Schwelle des Hauses. Im Atrium benetzte Tibulla die Stirn ihrer Schwiegertochter mit Wasser aus dem Marmorbecken. Langsam kehrten Ilaras Sinne zurück. Lucius setzte sie behutsam auf dem Mosaikfußboden ab, und als sie sich wieder ein wenig gefangen hatte, reichte er ihr Fackel und Wasserkrug. Unter den neugierigen Blicken der Gäste brachte Ilara den Lares des Hauses die obligatorische Münze als Geschenk dar. Man feierte ausgelassen und fröhlich, bis es dunkel wurde.
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