Mit dem Centurio der berittenen Statthaltergarde Caius Iulius Achilleus und seinen Kollegen hatte Claudius nun oft zu tun. Die Aufgabenbereiche der Garde und des Ädils überschnitten sich, so dass sie sich nahezu jeden Tag zu Besprechungen trafen, Wachmannschaften abstimmten und Einsätze koordinierten. Wenn Achilleus mit dem Statthalter der Provinz Raetia, Caius Velius Rufus, auf Inspektionsreise war und zu den Stammesversammlungen der Raeter oder Vindeliker reiste, musste alles gut geplant werden, damit die Provinzhauptstadt ausreichend mit Soldaten versorgt und die innere Sicherheit gewährleistet blieb.
Sehr zu Claudius Leidwesen, traf er den Centurio meist im nur Praetorium, so dass er Achilleus hübsche Tochter Alpina schon lange nicht mehr gesehen hatte. Doch nun stand die Hochzeit ihrer Schwester Ilara mit Claudius´ Freund Lucius ins Haus. Eine wunderbare Gelegenheit, das Mädchen wieder zu sehen.
***
Alpina und Ilara machten sich etwa zur vierten Stunde mit ihrer Mutter auf den Weg zum Forum. Die Schwestern waren sehr unterschiedlich. Ilara war größer als Alpina und hatte die dunklen Locken des Vaters geerbt. Alpina hingegen war klein und zierlich mit rotbraunem Haar. Auch in ihrem Wesen unterschieden sich beide. Während Alpina naturliebend und wissbegierig war, liebte Ilara aufwändige Kleider und schönen Schmuck. Eine Hochzeit mit dem Luxuswarenhändler Lucius war ganz nach ihrem Geschmack. Es würde ein rauschendes Fest geben.
Ilaras Sklavin Celsa trug einen Korb mit den Opfergaben, die Mutter Elvas führte die Ziege für die Göttin Juno. Das Wetter war hervorragend und schon um diese Zeit sehr heiß. Kurz bevor sie das Forum betraten, kauften sie bei einer Frau, die Blumengirlanden und Kränze flocht, einen frischen Blumenkranz für Ilara. Celsa drückte ihn ihrer Herrin vorsichtig auf die hochgesteckten Haare.
Auf dem Altar vor dem kapitolinischen Tempel brannte ein kleines Feuer. Einige Menschen sprachen auf den Stufen oder in der Vorhalle des Tempels mit dem Kultpersonal. Die Priester und ihre Gehilfen, die von den jeweiligen Kultgemeinschaften zum Dienst im Tempel abgestellt waren, hörten sich die Bitten und Klagen der Gläubigen an, berieten die Hilfesuchenden, reichten den Opfernden Wasser zur Reinigung und nahmen die Opfergaben entgegen. Ilara steuerte auf die Frau zu, die ihr bei ihrem letzten Besuch im Tempel das Wasser zur Reinigung gereicht hatte. Sie stand auf den untersten Stufen des Podiumstempels und war gerade mit einer älteren Frau ins Gespräch vertieft. Nach einer Weile bedankte sich die Alte, gab der Kultdienerin eine Münze und entfernte sich unter Verbeugungen. Nun trat die Frau auf Ilara zu und lächelte sie offen an.
„Wie kann ich dir helfen?“, fragte sie.
Ilara nannte ihren Namen und erzählte, dass sie am kommenden Tag heiraten werde und gekommen sei, um Juno zu opfern. Die Frau bat Ilara, ihr die Opfergaben für die Göttin zu zeigen.
„Wie schön, Iulia Ilara. Dann werde ich jetzt Wasser holen, damit du dich reinigen kannst und den Sacerdos bitten, mit dir das Voropfer zu vollziehen. Du kannst ihm deine Bitte noch einmal selbst vortragen, sobald er Zeit hat.“
Sie verließ die Frauen kurz, stieg die Stufen des Tempels hinauf und kam mit einer Kanne und einer Schale aus Ton zurück. Ilara wusch sich die Hände und Unterarme mit ein wenig Wasser, dann reichte sie den Krug an ihre Mutter und die Schwester weiter. Die Kultdienerin führte sie vor den Altar. Alpina und Elvas hielten mit den Sklavinnen Abstand.
Der Priester hatte gerade einige Dufthölzer in die Feuerschale gelegt, dann drehte er sich zu Ilara um. Sie kannte den Sacerdos, er war ein angesehener Mann in der Stadt. Am kommenden Tag würde er die Hochzeitszeremonie leiten.
„Iulia Ilara, welche Freude dich zu sehen! Du willst sicher Juno um eine glückliche Ehe bitten, nicht wahr?“
Ilara nickte. Sie überlegte, ob sie den Priester zu ihrem Traum befragen sollte, traute sich dann aber nicht, weil er ein Bekannter ihres Vaters und auch der Familie ihres zukünftigen Gatten war. Der Priester nahm sie in den Tempel mit, um das Voropfer zu vollziehen. Vor der schönen, bunten Statue mit dem warmherzigen Blick, die Ilara so liebte, stand ein niedriger Tisch auf dem bereits Blumenkränze, Getreideähren, Opferkuchen und Früchte lagen. Der Sacerdos schob ein paar Dinge beiseite und arrangierte sie neu, dann legte er die Opfergaben, die Ilara ihm übergeben hatte, dazu. Ilara formulierte ihre Bitte an die Göttin, der Priester sprach ein Gebet und sie sprach es ihm nach. Er nahm Weihrauch aus einer runden Dose und warf ihn in die Flammen. Ilara sie tat es ihm gleich. Der Rauch kräuselte sich und zog in Spiralen in die Höhe. Inbrünstig hoffte das Mädchen, dass die Göttin ihre Bitte erhören und ihr eine glückliche Ehe schenken möge. Der Priester lächelte erneut gütig, drehte sich dann um und stieg mit Ilara die Treppen des Tempels hinab. Auf dem Vorplatz des Tempels angekommen, wandte er sich ihr erneut zu.
„Jetzt ist es an der Zeit, dass du Juno eine Ziege opferst.“
Ilara nickte. Sie übergab dem Opferhelfer das kleine Tier, das sichtlich nervös war. Der Priester sprach die Gebete, und als der Opferhelfer der Ziege die Kehle durchschnitt und das Blut in einer Schale auffing, überkam Ilara Übelkeit. Der Geruch des warmen Blutes und ihre Angst vor einem schlechten Ausgang der Eingeweideschau sorgten dafür, dass sie in sich zusammensackte. Schnell half Elvas ihrer Tochter, sich auf die Stufen des Tempels zu setzen, während der Opferhelfer dem toten Tier die Eingeweide entnahm. Zum Glück gab der Sacerdos ihr wenig später zu verstehen, dass die Leber des Tieres in gutem Zustand war und die Göttin somit das Opfer annahm. Ilara war erleichtert. Sie bedankte sich bei dem Priester und seinem Opferhelfer. Als sie das Tempelareal verlassen wollte, begegneten sie erneut der Kultdienerin. Ilara holte einige Münzen aus ihrem Korb und reichte sie der Frau. „Für den Kultverein der Juno“, sagte sie schüchtern zu der Tempeldienerin.
„Vielen Dank, Iulia Ilara. Es wäre schön, wenn du unserem Kultverein beitreten würdest. Wir treffen uns etwa drei bis vier Mal pro Monat und besprechen viele wichtige Dinge, nicht nur für den Junokult, sondern auch praktische Dinge, die für eine junge Ehefrau interessant und wichtig sind. Außerdem ist jede von uns abwechselnd zum Tempeldienst und zur Beratung der Frauen eingeteilt, die sich mit ihren Sorgen und Nöten an die Göttin wenden. Den Vorstand unseres Kultvereins wirst du sicher kennen. Es ist Velia Crispina, die Frau des Statthalters. Möchtest du nicht nächste Woche einmal zu uns kommen? Wir dürfen einen Raum im Statthalterpalast für unsere Zusammenkünfte nutzen. Wenn du möchtest, gebe ich dir Bescheid, wenn wir uns das nächste Mal sehen.“
Ilara lächelte freundlich. „Sehr gerne.“ Dann verabschiedete sie sich von der Frau und ging zu ihrer Mutter, der Schwester und den Sklavinnen zurück. Als sie einen letzten Blick auf den Tempel warf, sah sie, wie die Tempeldienerin ihr nachwinkte.
Die Frauen überquerten das Forum. Bevor sie den umgrenzten Bezirk mit all seinen Geschäften verließen, blieb Ilara stehen. Sie wandte sich an ihre Mutter.
„Geh du schon voraus, ich möchte Alpina noch etwas in einem der Geschäfte hier zeigen. Wir kommen dann nach.“
Elvas zuckte die Achseln. „Natürlich, Liebes. Ich muss ohnehin noch ein paar Besorgungen machen. Mirne und ich werden zum Macellum gehen. Wir sehen uns dann zuhause.“
Die Mutter verabschiedete sich und strebte mit ihrer Sklavin der Markthalle zu. Ilara nahm Alpina bei der Hand und zog sie in den Schatten des Eingangstores zum Forum. Dort stand ein Mann mit langem Bart und ungepflegt wirkenden Haaren. Der Haaransatz war schon weit zurückgewichen, so dass sein Schädel unförmig erschien. Er trug ein Buch unter dem Arm und unterhielt sich mit einem anderen Mann, der eine Sternenkarte trug. Als die Männer die jungen Frauen auf sich zukommen sahen, unterbrachen sie ihr Gespräch und erwarteten sie neugierig. Der mit der Sternenkarte in der Hand räusperte sich.
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