„Wir fahren später fort! Pfeifer, spiel!“
Roland stand auf, forderte Osgar auf, ihm zu folgen und beide verließen die Halle. Osgar versuchte, seinen Atem zu beruhigen, als er hinter MacAreagh herhastete.
Kaum im Arbeitszimmer angekommen, fuhr sich Ronald mit den Fußspitzen hinter die Absätze und stieß seine Stiefel ab. „Was hältst du davon, Osgar?“
Osgar schaute zur Decke, um die Füße von MacAreagh nicht im Blickfeld zu haben. „So kenne ich unsere Leute! Sie sehen nur ihren eigenen Nutzen. Für sie bist du ihr König und der Gegner heißt MacLennoch. Sie fühlen sich unabhängig und wollen nicht wahrhaben, dass die Engländer unser Land beherrschen wollen. Deshalb wollen sie auch keine Veränderung. Wir werden es schwer haben, Ronald.“
„Ich werde es ihnen befehlen und jeden ersetzen, der nicht gehorcht!“
Osgar hatte sich wieder im Griff. „Ja, sicher. Vorerst sollten wir ihnen geben, was sie wollen und was sie können. Ich meine, die Idee von Ramsay mit dem Viehzug nach Süden ist uns dienlich. Wir packen das in unsere Absichten hinein. Außerdem dürfen wir MacLennoch keine Ruhe lassen. So fühlt er sich provoziert.“
„Machen wir! Besorgen wir es dem Halunken! Unser Ziel aber bleibt unsere Freiheit!“
Cremor und Humph erreichten eine Brücke, die über den mittlerweile recht breiten Fluss führte. Davor lagerte eine Gruppe Soldaten um ein Feuer, denen ihr Führer schon von Weitem zugerufen hatte. Als sie an den Wachen vorbeiritten, kamen die Soldaten näher, um zu sehen, wen er da mitbrachte.
Sie überquerten die Brücke und folgten einem steilen, gewundenen Pfad, der auf beiden Seiten mit hohen Mauern eingefasst war. Bald wich der Erdboden befestigtem Grund und die Hufe ihrer Pferde klapperten laut. Dann öffnete sich der Weg, die mannshohen Mauern führten auf beiden Seiten weiter, und unvermutet zeigte sich ihnen die dunkle Silhouette des Schlosses.
Sie sahen zwei hohe Burgtürme links und rechts, deren runde Zinnen weit in den Himmel ragten, verbunden durch eine fast schwarze Steinwand, sicher drei Stockwerke hoch. Aus der einen oder anderen kleinen Öffnung drang schwaches Licht. Sie folgten der einen Mauer. Es dauerte eine Weile, bis sie das Schloss umritten hatten und es von der Vorderseite sehen konnten.
Der breite Weg, der gesäumt war mit Stallungen und Scheunen, führte weiter bis zum Eingang. Auf beiden Seiten befanden sich wuchtige Wachhäuser, vor denen Soldaten standen. Diese riefen sofort einen Offizier herbei, mit dem sich ihr Wegführer verständigte.
„Man zeigt euch, wo wir eure Pferde unterbringen. Sie werden versorgt, ihr braucht euch nicht darum zu kümmern. Es wird gleich jemand kommen und euch eure Unterkunft zuweisen. Nachher werdet ihr gerufen.“ Dann drehte er sich um und ritt weg.
Ein Soldat forderte sie auf abzusteigen und ihm mit den Pferden zu folgen. Sie betraten einen warmen Pferdestall und der Mann zeigte ihnen ihre Koppel. Daraufhin luden sie ihre Sättel sowie die beiden Packpferde ab und ein Knecht kümmerte sich um ihre Tiere.
„Hast du auch einen Schluck Wasser für uns?“
„Dort steht ein Krug!“
Sie tranken gierig und schauten einander an. „Da sind wir an einen schönen Ort gelangt“, meinte Cremor, „und gesprächig sind die Leute auch nicht gerade.“
Zwei Diener erschienen und luden sich das Gepäck auf, einer wollte Cremors Instrumentenkoffer nehmen. „Den nehme ich selbst!“, rief ihm Cremor zu.
Sie gingen zusammen zum Eingangsportal, das für die Größe des Schlosses ziemlich klein war, staunten dann aber umso mehr über die Höhe und Weitläufigkeit der Eingangshalle. Dort hielten sich Gruppen von Soldaten auf, die in der Nähe der großen Kamine herumlungerten oder sich mit Karten- und Würfelspielen unterhielten. Einige schliefen am Boden, eingehüllt in ihre Umhänge. Von ihrer Ankunft nahm keiner Notiz.
Einer der Diener kehrte nach einer Weile mit einem gut gekleideten Mann zurück, der sich als Hofmeister vorstellte und sie begrüßte.
„Folgt mir!“ Die Diener luden ihre Lasten wieder auf. Der Hofmeister führte sie in den ersten Stock, dann einen langen Gang mit etlichen Türen entlang. „Das ist euer Zimmer.“ Er wartete noch, bis die Träger ihre Lasten abgestellt hatten. „Ich komme euch dann holen.“
Als sie allein waren, schauten sie sich um.
„Endlich wieder ein Heim und ein Bett“, meinte Humph erfreut.
Einige Truhen, ein großer Schrank, mehrere Stühle, zwei Tische mit Waschschüsseln und zwei ordentliche Betten. Humph legte sich auf eines und streckte seine Glieder. Seine Beine hingen ein ganzes Stück über die Bettkante.
„Du bist mit wenig zufrieden, Humph. Trag deinen schönen Klamotten Sorge. Hier wirst du keinen Schneider finden, der dir deine Wünsche erfüllt.“
Sie wuschen sich und zogen ihre besten Kleider an. So standen sie dann beide bald bereit, im Kilt, mit weißen Hemden und Jacken, und warteten.
MacAreagh betrat, gefolgt von Osgar, wieder den großen Saal. Sofort verstummte das Gerede. Der eine oder andere schaute ihm auf die Füße, die wieder in ihren Stiefeln steckten, und alle setzten sich an den Tisch und blickten ihn gespannt an. Die Diener hatten inzwischen die Feuerstellen vorbereitet und in allen vier Kaminen wuchtige Holzbalken zum Brennen gebracht. Die an den Wänden befestigten Öllampen waren angezündet worden. MacAreagh nahm einen Schluck Wasser und schaute jedem Einzelnen der Chieftains in die Augen. Er ließ sich Zeit, und die Männer merkten, dass er äußerst konzentriert war.
„Männer! Was wir hier und heute entscheiden, entscheidet über unser Schicksal, das von jedem Einzelnen, von unserem Clan und von Schottland.“ Er machte eine Pause. Die Ernsthaftigkeit seiner Aussage berührte jeden, und wer immer auch einen Schluck Whisky zu viel genossen hatte, war plötzlich stocknüchtern.
„Wo stehen wir heute? Man hat uns in eine Union mit den Rotjacken gezwungen. Unsere wahren Herrscher sind im Exil. Der herrschende König kann nicht einmal richtig Englisch, von unserer Sprache ganz zu schweigen. Die Engländer dringen in unser Land ein. Sie wollen uns unsere Waffen wegnehmen. Sie zwingen uns ihre Gesetze und Gebräuche auf. Aber unser Kampf für die Freiheit geht weiter!“
Er zog seinen Dolch und stieß ihn mit Gewalt in das Holz des Tisches. Sein Sekretär zuckte zusammen. Die Männer schauten wie gebannt.
„Unser Clan war immer siegreich. Unsere Gegner fürchten uns. Auf unserem Boden sind wir unschlagbar.“
„So ist es!“, rief Ramsay. „Und so wird es bleiben!“
MacAreagh blickte zu Ramsay hinüber und fuhr fort: „Es wird nie wieder so sein, wie es war. Unser Gegner ist nicht MacLennoch allein, sondern die Rotjacken. Wir müssen uns anpassen!“
Er überblickte die Runde. Ramsays Gesicht war bewegungslos. Einige schauten vor sich auf den Tisch.
Nun ergriff Osgar das Wort: „Männer! Wir haben seit Jahrhunderten auf unsere Art siegreich gekämpft. Die Engländer kämpfen aber völlig anders. Sie haben Kavallerie und Kanonen, ihre Soldaten sind geübte Säbelfechter. Sie haben viele Gewehre und setzen die Bajonette im Nahkampf ein. Wir müssen uns auf eine Konfrontation vorbereiten.“
MacAreagh wedelte mit der Hand und unterbrach ihn. „Ihr habt keine Wahl.“ Plötzlich war es ruhig am Tisch, und er beeilte sich, hinzuzufügen: „Aber Ramsay hat auch recht. Unsere zweite Bedrohung sind die verdammten MacLennochs. Sie haben es auf unser Land abgesehen, damit sie ein stärkeres Gewicht haben, wenn sie sich auf die Seite der Engländer schlagen.“
„Ja, also machen wir sie vorher fertig!“, gellte Ramsay, und die Männer stießen zustimmende Rufe aus.
Ronald stand am Tisch und fasste den Griff seines Dolches, der in der Tischplatte steckte. „Und jetzt hört genau zu, was ich anordne!“ Er zog den Dolch mit einem Ruck heraus. „Wir brauchen Geld für Waffen und Ausbildung. Die Abgaben werden ab sofort erhöht. Nehmt eure Pächter in die Pflicht. Sie schaufeln sowieso einen Teil der Pachtzinsen in ihre Taschen. Kontrolliert das! Die Bauern sollen sich die zusätzlichen Abgaben verdienen. Sie können Vieh und Pferde beschaffen und abliefern. Mein Sekretär wird euch mitteilen, was auf jeden von euch entfällt.“
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