Edgar Wallace - Grossfuss

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Oberinspektor Minter von Scotland Yard steht vor einem rätselhaften Fall. Die Haushälterin des Anwalts Gordon Cardew, Hanna Shaw, wird ermordet aufgefunden – in einem Raum, der von innen verschlossen war. Kurz zuvor hat Miss Leigh, die ihre Leiche fand, ein Telegramm von der Ermordeten erhalten: «Bitte helfen Sie mir. Kommen Sie sofort. Es geht um mein Leben.»
Spannende Unterhaltung vom Großmeister der Kriminalliteratur.

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LUNATA

Großfuß

Großfuß

Kriminalroman

© 1927 by Edgar Wallace

Originaltitel Big Foot

Aus dem Englischen von Ravi Ravendro

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

1

Es war ein Zufall, daß Super gerade an diesem schönen Frühlingsmorgen einen Besuch in Barley Stack machte, denn er wußte noch nichts davon, daß man versucht hatte, in Mr. Stephen Elsons Haus einzubrechen. Er hatte auch keine Ahnung, daß ein Landstreicher namens Sullivan existierte und daß sein schwachsinniger Kumpan frei in der schönen Gegend umherwanderte und obendrein noch närrische kleine Liebeslieder in einer Sprache sang, die niemand verstand.

Barley Stack hatte für Super dieselbe geheimnisvolle Anziehungskraft wie die Lampe für die Motte oder, um ein besseres Bild zu gebrauchen: die Schlacht für ein altes Soldatenpferd. Übrigens hätte er wissen müssen, daß Mr. Cardew um diese Stunde schon zur City gefahren war – Gordon Cardew hatte seine alte Gewohnheit beibehalten, um neun Uhr morgens im Büro zu sein, obgleich er seinen Beruf längst aufgegeben hatte.

Trotzdem machte Super einen Besuch. Er hatte zwar keine Gelegenheit, sich mit Cardew zu streiten, aber es war schon eine Befriedigung für ihn, sich mit Hanna Shaw ein wenig herumzuzanken. Mr. Cardew war ihm gegenüber sehr empfindlich, denn Super hatte ihn früher einmal beleidigt. Aber auch Hanna Shaw konnte nicht höflich und liebenswürdig sein. Sie haßte den alten Polizeioberinspektor und gab sich nicht die geringste Mühe, ihre Gefühle zu verbergen.

Sie stand vierschrötig in der Durchfahrt von Barley Stack, und die bösen Blicke ihrer braunen Augen sagten genug. Sie war eine Frau von mittlerer Größe und etwas untersetzt, obwohl man sie nicht als korpulent bezeichnen konnte. Auch war ihr schwarzes Alpakakleid nicht dazu angetan, ihre Anmut zu heben. Ihr Gesicht war glatt und von regelmäßiger Schönheit. Dichtes schwarzes Haar legte sich in Wellen über die Stirn und zeigte nicht den leisesten Anflug von Grau, obwohl sie schon Anfang der Vierzig war.

»Wir haben schönes Wetter heute«, sagte Super. Müde lehnte er sich an sein altes, verbeultes Motorrad. Seine Augen waren halb geschlossen. Die Wärme des Morgens und die Schönheit der Gegend schienen ihn schläfrig zu machen. »Der Garten sieht prächtig aus, ich habe noch nie so viele Nelken und Narzissen zusammen gesehen. Ich möchte wetten, daß Sie einen guten Gärtner haben. – Ist Mr. Cardew zu Hause?«

»Nein.«

»Sicher verfolgt er die Spur der Boscomp-Bankräuber«, sagte Super und schüttelte mit geheuchelter Bewunderung den Kopf. »Als ich den Bericht über den Einbruch in der Zeitung las, sagte ich zu meinem Sergeanten: ›Um die Bande aufzuspüren, braucht man einen Mann wie Mr. Cardew – die gewöhnliche Polizei kann das nicht, die würde niemals einen Anhaltspunkt finden und gleich von vornherein auf die falsche Spur geraten.‹«

»Mr. Cardew ist in sein Büro gegangen, wie Sie wohl wissen könnten, Minter«, fuhr sie ihn an und schaute böse drein. »Er hat etwas anderes zu tun, als sich um Polizeisachen zu kümmern. Wir zahlen unsere Steuern und Abgaben für die Polizei, aber ich muß schon sagen, das sind mir nette Leute – alles unwissende, unbedeutende Menschen, die nicht einmal eine ordentliche Erziehung haben.«

»Man kann nicht alles zu gleicher Zeit erwarten«, sagte Super traurig. »Das müssen Sie doch einsehen. Mrs. Shaw ...«

»Miss Shaw«, verbesserte ihn Hanna laut.

»In meinen Gedanken sind Sie immer ein Fräulein«, entschuldigte sich Super. »Ich sagte noch neulich zu meinem Sergeanten: ›Ich weiß gar nicht, warum sich diese reizende, hübsche Dame nicht verheiratet. Sie ist jung ...‹«

»Ich habe keine Zeit, mich mit Ihnen zu unterhalten, Minter ...«

»Mr. Minter«, bat Super höflich.

»Wenn Sie irgendeine Nachricht für Mr. Cardew haben, so will ich sie annehmen – im übrigen habe ich eine Menge Arbeit und Besseres zu tun, als mit Ihnen zu plaudern.«

»Ist in dieser Gegend in letzter Zeit irgendein Einbruch vorgekommen?« fragte Super, als sie sich schon halb zum Gehen gewandt hatte.

»Nein«, sagte sie kurz. »Und wenn wirklich einer gewesen wäre, dann hätten wir auch nicht nach Ihnen geschickt.«

»Das weiß ich ganz genau. Mr. Cardew hätte die Maße der Fußspuren der Räuber genommen und in seinen Büchern über Anthro – oder wie das Zeug heißt – nachgesehen, und noch vor Abend wäre der arme Kerl verhaftet worden.«

Hanna Shaw wandte sich plötzlich zu ihm um.

»Wenn Sie glauben, daß Sie sich hier mit Ihrer Schlauheit brüsten können, dann möchte ich Ihnen mitteilen, daß es in London Leute gibt, gegen die Sie klein und häßlich sind. Wenn Mr. Cardew zum Minister ginge und ihm nur die Hälfte von all dem erzählen würde, was Sie tun und sagen, dann müßten Sie noch vor Ende der Woche Ihre Uniform ausziehen.«

Super schaute kritisch auf den Ärmel seines Rockes.

Was hat das zu bedeuten? fragte er sich, als sie ihm die Tür heftig vor der Nase zuschlug.

Er lächelte nicht und war auch nicht beleidigt. Er nahm seine alte, schmutzige Pfeife aus der Tasche, füllte sie bedächtig, schaute bewundernd auf die herrliche Blumenpracht, die auf allen Beeten blühte, nahm sich schnell noch eine Nelke und steckte sie an das Knopfloch seines abgetragenen Rocks. Dann fuhr er unter großem Lärm mit seinem alten Motorrad die Hauptstraße hinunter.

Eine halbe Stunde später war er in seinem Büro.

»Wenn ein Mann in meine Jahre kommt und in einer gewissen Position ist«, sagte er mit einem schnellen Blick auf den hübschen, jungen Beamten, der ihm auf der anderen Seite des Tisches gegenübersaß, »dann darf er auch sentimental werden. Und heute bin ich sentimental. Es liegt etwas Wunderbares in der Luft, etwas vom Frühling, und ich habe am letzten Sonntag sogar einen Kuckuck gehört. Wenn der Kuckuck ruft und die blauen Glockenblumen auf der Wiese blühen, geht mir das Herz auf. Vorhin hatte ich eine kleine Unterhaltung mit der schönen Herrin von Barley Stack, und nun ist mein Kopf voll sentimentaler Gedanken. – Sie sagen, ich soll mir den Landstreicher einmal ansehen? Ich möchte viel lieber Schlüsselblumen pflücken.«

Super war ein großer, eckiger Mann. In seiner äußeren Erscheinung war er etwas ungewöhnlich. Er trug alte, zerschlissene Anzüge, die noch aus der Zeit vor dem Krieg stammten. Sie waren gereinigt und gewendet, aber sie verdienten eigentlich ihren Namen nicht mehr. Sein längliches, braunes Gesicht und seine buschigen Augenbrauen gaben ihm ein respektables Aussehen, das jedoch durch seine schlechte Kleidung wieder zerstört wurde. Aber die Verachtung, mit der zum Beispiel Hanna Shaw seine Garderobe betrachtet hatte, erfüllte ihn mit freudiger Genugtuung.

Es gab mehrere Oberinspektoren bei der Londoner Polizei, aber wenn jemand von ›Super‹ sprach, meinte er damit nur Patrick J. Minter und niemand anders.

»Nun gehen Sie und verhören Sie den Landstreicher, mein lieber Sergeant.« Er machte eine liebenswürdige Geste mit der Hand. »Die schwierige Aufgabe, Verbrecher aufzuspüren, gehört meiner Vergangenheit an. Das war etwas zu einfach für mich, dabei bekam ich Gehirnerweichung. Deshalb habe ich doch auch diese Stellung angenommen, wo ich mir auf dem Land Hühner und Kaninchen halten kann und wo ich der Natur in ihrer Schönheit nahe bin.«

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