Olaf Kolbrück - Keine feine Gesellschaft

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In einem beschaulichen Kleingarten am Stadtrand der Finanzmetropole Frankfurt findet Ex-Kommissarin Eva Ritter die Leiche eines Investment-Bankers. Als ein weiteres Mordopfer entdeckt wird, deutet alles auf ein Liebesdrama in besseren Kreisen hin. Während die gesundheitlich angeschlagene Ermittlerin besorgt auf die Diagnose ihrer mysteriösen Erkrankung wartet, riskiert sie einen Blick hinter die Fassade der High Society im Taunus. Ihrem ehemaligen Kollegen bei der Kripo Frankfurt gefällt das gar nicht. Denn ihre Recherchen führen Eva Ritter in ein Netz aus Filz und Korruption. Während sich der private Kummer und die dunklen Machenschaften in der feinen Gesellschaft im Taunus häufen, muss Eva Ritter feststellen, dass sie mit dem Mörder womöglich mehr gemein hat, als sie je dachte.
Ein psychologisch subtiler und facettenreicher Krimi mit Zügen eines zeitgemäßen Gesellschaftsromans.

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Eva grinste, als sie sich an das Hyänengesicht erinnerte. Wenn das kein Motiv wäre: Mörder beseitigt Laubenpieper, um die lange Wartezeit auf eine Parzelle abzukürzen. Sie hatte schon Fälle auf dem Schreibtisch gehabt, die hatten weitaus dünnere Motive. »Ich fände das gut. Da kannst du diesem arroganten Kerner zeigen, was eine Harke ist «, sagte ihre Tochter in die Stille hinein.

Es stimmte. Sie wollte diesen Fall nicht nur lösen, weil die Leiche ihren Vormittag durcheinander gebracht hatte. Vor allem wollte sie Kerner beweisen, dass sie diesen Job immer noch beherrschte. Auch ohne den ganzen Apparat der Polizeibehörde im Rücken. Und das nicht erst seit seinem hochnäsigen Auftritt heute morgen. Schon lange vor ihrem Abschied bei der Polizei hatte er hinter ihrem Rücken ständig über ihre nachlassende Fitness gelästert.

»Du kennst mich einfach zu gut.«

»Was erwartest du. Ich bin deine Tochter.«

Sie reichte ihrer Tochter noch mal Soße an.

»Nimm etwas von der Frankfurter Grünen Soße mit. Wer die isst, dürfte bei jedem Verhör weich werden und kann dir keinen Gefallen abschlagen – Verwandte natürlich ausgenommen«, endete Corinna, bevor Eva eine Bemerkung machen konnte.

Sie lachten.

Dann wechselte die Miene von Corinna. Sie drehte ihre Haare zu einem Zopf und sah ihre Mutter ernst an. »Als deine Tochter muss ich dir sagen, dass du dich aber eher dringend hinter ein paar andere Dinge klemmen musst. Oder hast du inzwischen die Diagnose?«

»Nein. Immer noch nicht.«

»Mach denen mal ein bisschen Dampf. So lange kann das doch kaum dauern. Am Ende haben sie die Untersuchungsergebnisse verschlampt. Ich würde da keine Zeit verlieren wollen. Wer weiß, wofür es gut ist.«

Eva mischte mit ihrer Gabel gedankenverloren durch die Kräutersoße.

»Ich warte noch bis morgen. Dann kümmere ich mich darum.« Sie stocherte in ihren Kartoffeln.

»Ich verstehe dich nicht. Du lässt doch sonst auch nicht alles so schleifen.« Sie schob ihren Teller ein Stück beiseite, stützte die Ellbogen auf den Tisch und sah ihre Mutter an, die Achten in die Soße zeichnete, als könne sie damit die Kräuter optimal verteilen. Lange war nur das Kratzen der Gabel auf dem Teller zu hören.

Corinna fasste sich ein Herz. »Ich verstehe schon. Du hast es nicht so eilig, weil du dir Sorgen machst. Du möchtest es gar nicht wissen, weil es etwas Unangenehmes sein könnte. Klar. Dann würde ich auch keine Hektik machen. Es ist wie bei den Zeugnissen. Nur schlimmer.«

Eva nickte nicht einmal. Sie hatte Angst, eine Bewegung könnte genügen, um vor ihrer Tochter in Tränen auszubrechen.

4. Kapitel

Eva Ritter stieg kurz aus dem Auto, um das schwere Eichentor der Hofreite an der Oberortstraße zu schließen. Eigentlich wollte sie längst eine Automatik einbauen lassen. Es war lästig, das breite Tor jedes Mal per Hand zuzuwuchten. Aber offen lassen konnte sie es nicht. Nicht mal werktags. Sonst würde ein Autofahrer den Platz vor ihrem Haus frech zuparken. Der geräumige Hof vor der umgebauten Scheune wirkte so einladend praktisch wenn, man zur Kirche hinüber wollte und auf der schmalen Straße keinen Abstellplatz fand. Werktags natürlich schon mal gar nicht, wenn all die Alphatiere in ihren schwarzen Firmenwagen auf der Suche nach einer Parkgelegenheit waren. Das kleine Schild an der Mauer mit dem Hinweis auf Privatgelände half da nicht viel. Im Rhein-Main-Gebiet zählten Eigeninteressen mehr als der Wunsch nach Privatheit. Also aussteigen, sobald man das Auto vom Hof auf das schmale Stück Straße gerollt hatte. Am Straßenrand, der an dieser Stelle nur die Andeutung eines Bürgersteigs hatte, beim Aussteigen vermeiden, auf der Motorhaube eines vorbei rauschenden und grimmige Beschimpfungen ausstoßenden BMW-Fahrers zu landen, der es gar nicht erwarten konnte, schnell wieder hinter die Bildschirme an seinem Arbeitsplatz in der Börse zu kommen. Das Tor schließen. Dem nächsten BMW, es konnte auch ein eiliger Audi-Fahrer am Ende seiner Mittagspause und Geduld sein, einen Stinkefinger hinterherschicken, um dann in den alten VW Käfer zu steigen und endlich über das holprige Kopfsteinpflaster zu fahren.

Doch diesmal war alles ruhig. Sie warf einen Blick auf den Westerbach, der eingezäunt in einem tiefer gelegten Bett aus Beton und alten Quadern neben der Straße gurgelte, als sollte er diese Stadt möglichst unerkannt verlassen. Am Rand der zugepflasterten Rinne schoss bereits Ruprechtskraut aus den Ritzen zwischen den Steinen und reckte die dürren Stängel in den frotteeblauen Himmel. Nur ein paar hundert Meter konnte der Bach nach Luft schnappen und einige Sonnenstrahlen auf seiner Oberfläche glitzern lassen. Kurz hinter der Hauptstraße verschwand er wieder, wie er aufgetaucht war, in einer sauber verputzten Röhre, mit denen die 70er Jahre die Natur hier ringsum vergewaltigt hatten.

Sich selbst verschandeln, das konnte diese Stadt, eine der reichsten Kommunen Deutschlands, die selbst noch in diesen Krisenzeiten genug Geld in der Stadtkasse hatte, um damit beinahe wöchentlich neu Narzissen in den Kreisverkehren zu pflanzen. Als würde dieses bisschen Grün den Beton dieser Stadt vergessen machen. Die Türme von Telekom und Deutscher Bank, von Vodafone und Deutscher Börse, samt all dieser mit Unternehmensberatungen, Unternehmen und Agenturen vollgepfropften gesichtslosen Klötze, gegen die selbst die Lego-Bauten eines Kleinkindes naturnahe architektonische Lösungen waren. Diese Stadt mit ihren Kassen voller Geld schaffte es nicht, eine bürgerfreundliche und naturnahe Stadtgestaltung in die Wege zu leiten, die in Sachen Charme nicht noch von einem Raucher-Innenhof eines Frankfurter Bankenturmes in den Schatten gestellt wurde.

Eva ließ den Wagen über den kleinen Platz neben der evangelischen Kirche rollen, die mit ihrer glatten Fassade keine Erinnerung kannte an die Vorläuferkirche aus dem 30-jährigen Krieg. Ein wenig trotzig reckte sich der schieferbedeckte Turmhelm aus dem 18.Jahrhundert angesichts seiner Umgebung in den Himmel. Zusammen mit dem mauerumrahmten Platz mit der großen Esche, dem Symbolbaum der Stadt, wäre dies in einer südfranzösischen Kleinstadt wahrscheinlich ein kleiner lebendiger Dorfmittelpunkt gewesen, wo alte Männer auf einer der verwaisten Parkbänke das eilige Treiben an sich vorbeiziehen lassen würden.

Hier aber parkten Autos auf dem wie versiegelt wirkenden Kopfsteinpflaster vor der Kirche, die Eichen und Eschen waren in Stoßfänger eingesperrt und auf der gegenüberliegenden Straßenseite grüßte Werbung für eine Chemische Reinigung und eine Zahnarztpraxis aus der architektonischen Kältekammer der 70er Jahre. Wenn man ein Auge zukniff, konnte man diese Ecke an der Kirche sogar ganz hübsch finden, dachte Eva im Vorbeifahren. Mit einem Auge, einem sorgfältig gewählten Blickwinkel und Scheuklappen, ganz großen Scheuklappen. Hinter ihr hupte ein BMW, weil sie nicht schnell genug abbog.

Sie nahm den Weg quer durch die Innenstadt, schlängelte sich durch den Business-Loop der Großmärkte, und kreuzte dann hinüber zum Glaspalast der Eurobest, die am Rand des Gewerbegebietes mit ihrer flachen langgezogenen Silhouette aussah wie ein angedockter Supertanker am Rande des Containerhafens.

Sie kannte Wilhelm Aßmann, Chef der Eurobest-Niederlassung, von zwei Kongressen, zu denen sie ihr Chef Berger zu Beginn ihrer Laufbahn bei Roger & Berger mitgenommen hatte. Bei dem ersten Treffen war auch Lücker dabei gewesen.

Sie war sicher, dass sich Aßmann ein paar Minuten Zeit für sie nehmen würde, wenn er nicht gerade in einem Meeting steckte oder auf dem Golfplatz. Was auf das Gleiche herauskommen könnte. Vor allem aber hoffte sie, dass Aßmann noch nichts vom Tod seines Kollegen wusste, weil die Kripokollegen erst einmal die Familie informieren und befragen würden.

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