Der Rückmarsch verlief ohne besondere Vorkommnisse. Hundemüde fiel ich in mein kleines Bettchen.
Die nächsten Tage und Nächte waren ruhig. Es passierte nichts Aufregendes. Nichts, was einer besonderen Erwähnung bedarf. Das stille Leben wurde schon fast langweilig und einsam. Oft dachte ich an Mimi. Hat sie mich schon vergessen oder weint sie manchmal ein paar Tränen und macht sich Sorgen um mich? Schließlich wusste niemand, wo ich war! Vielleicht von einem großen Vogel oder gar einer blöden Kuh gefressen?
Im Teddybären-Camp waren meine weiten Spaziergänge schon lange bekannt und ich wurde oft dafür bestraft. Hausarrest war dann die schlimme Folge. Für mich das Ärgste was es geben konnte! Der Bürgermeister Oberpetz konnte ganz schön böse werden und drohte, mich wie einen Hund anzuleinen. Wahrscheinlich war er sogar froh, dass er mich los war. So einen kleinen Ausreißer zu bändigen ist ja wirklich schwer!
Hoch oben im Regal mit den hunderten Musik-CDs bekam ich mein Plätzchen. Von hier aus war die ganze Wohnung überschaubar. Was dabei ganz besonders bedeutsam war, war der Umstand, dass der gefräßige Kater keine Chance hatte, herauf zu kommen. Oft wartete er stundenlang auf eine günstige Gelegenheit – wie die Katze vorm Mausloch. Aber vergeblich, er konnte nicht herauf und ich wollte verständlicherweise nicht hinunter. Das war ein Spaß und für mich ein Grund, so richtig herzhaft zu lachen.
Allmählich begann ich mich hier wohl zu fühlen. Rechter Hand war ein Fenster, wo die Sonne hereinschien – wenn es nicht gerade regnete. Im Winter kamen die Vöglein zu Besuch, weil ein Vogelhäuschen davor stand. Meistens waren es Sperlinge oder Meisen. Manchmal auch Gimpeln. Diese kündigten baldigen Schneefall an.
Links eine Stereo-Anlage mit der schönsten Musik, die man sich vorstellen kann. Im Lastwagen hörte ich ja schon viele flotte Lieder. Für gewöhnlich Tätarä von einem größerem oder kleinerem Orchester. Tirila, tirilu, Klapperl auf – Klapperl zu, manchmal sangen sie auch dazu, z. B. von einer Anneliese oder Resi oder einer anderen besonderen Frau. Richtige Tsching-Bumm-Musik war auch dabei. Da wurde dann Englisch gesungen von allem möglichen wie Love oder Submarine, was wohl ein Unterseeboot ist.
Hier jedoch waren Klänge, die mein kleines Bärenherz erfreuten. Einschmeichelnde Melodien, sogenannte „Oldies“. Zum Beispiel von einem Koch mit seinen Kollegen, welche alle Saxophon spielen; wunderschön und gefühlvoll. Andere sangen über verschiedene Bereiche des Lebens. Alles erdenkliche, was halt gerade in ihrem Kopf herumgeisterte und scheinbar wichtig war: Vom Mond oder einer kleinen, frechen Maus, welche Speck und Käse stibitzte oder auch von einem Jungen, der zu Hause weglief um auf dem Meer die Welt zu erkunden. Ich mag am liebsten Lieder von den Bergen und Kirchenmusik.
Wenn Besuch kam, konnte ich alles sehen und verstehen, wurde aber selber nicht wahrgenommen. So einen kleinen Teddybären wie mir hätte man ohnehin keine Aufmerksamkeit geschenkt oder gar Süßigkeiten mitgebracht. Nicht einmal Erdbeeren! Geizkrägen!
So gingen die Tage dahin und bei schönem Wetter riefen die Berge. Da wuchsen immer genug Erdbeeren, aber nicht eine einzige habe ich verschenkt! Aus Trotz! Von meinem ersten Berg, der über 3000 Meter hoch war, berichte ich im nächsten Kapitel. Bis bald, ihr Lieben!
Seit mich am Rinnkogel beinahe eine Kuh gefressen hätte, war ich schon öfters wieder auf Wanderschaft hoch hinaus. Einmal hat mich der Wind vom Behälter des Gipfelbuches geblasen. Danach hat mir der Onkel Doktor zwei Wochen Bettruhe verordnet, damit die Kopfschmerzen vergingen, welche ich mir dabei zugezogen hatte. Auch das rechte Bein war verstaucht. Nun aber war alles wieder gut und eine Gletschertour auf den Großvenediger in den hohen Tauern stand bevor. Für so einen kleinen Teddybären eine fast überbärige Angelegenheit! Aber was soll´s? Hansi packt das schon! Und wie!
Zwei Tage dauert so eine Wanderung. Da wird der Rucksack mit vielen Dingen vollgestopft. Ein Schlafsack für die Hütte ist vonnöten. Warme Handschuhe und eine Pelzmütze, sowie ein dicker Pullover. Himbeersaft, wie üblich in den Bergen und zwei Honigriegel. Ganz wichtig waren Steigeisen, damit man nicht ausrutscht und in eine Gletscherspalte fällt. Gletscherspalten sind gefährlich und hintertückisch wie ein böser Zauberer. Oft ist eine dünne Schneebrücke darüber und der arme Wanderer, der sie betritt, fällt bis zu 30 Meter in die Tiefe.
Am 1. Tag geht es weit, weit das Obersulzbachtal entlang bis zur Seilbahn. Diese befördert den Rucksack bis zur Kürsingerhütte. Dann ist der steile, mit Seilen gesicherte Steig nicht so anstrengend. Trotzdem kam ich sehr müde beim Schutzhaus an. Meine Ausrüstung war bereits da. Ein Gläschen Himbeersaft, welches hier „Schiwasser“ heißt, löschte den Durst und eine kräftige Hühnersuppe den Hunger. Bezahlen konnte und brauchte ich nicht, weil ich es in der Küche ganz frech geklaut habe. Teddybären dürfen das. Aber nur Teddybären!
Hinter einem Polster auf der Bank im Gastzimmer schlüpfte ich in meinen Schlafsack und schlief ungestört bis zum Morgen. Das Frühstück war schnell gefunden. Nun konnte das Abenteuer Gletscher beginnen! Uiuiui, war das aufregend! Komisch, im Sommer auf Schnee zu gehen. Mutig ging es auf gefrorenem Schnee bergauf. Immer steiler. Vorbei an den ersten Spalten und allmählich wurde die Luft dünner. Auf der Venedigerscharte in 3405m Höhe war es höchste Zeit für eine Rast. Der ohnehin geliebte Himbeersaft schmeckt hier oben noch besser als unten im Tal.
Plötzlich stellte ich fest, dass ich die Steigeisen und den Schlafsack in der Hütte vergessen hatte! Wegen der gefährlichen Gletscherspalten unsicher geworden, überlegte ich wohl eine Umkehr, wollte aber unbedingt die letzten 260 Höhenmeter zum Gipfel noch schaffen. Viele unvorsichtige Bergsteiger haben solche Entscheidungen mit dem Leben bezahlt, entweder weil sie ohne Schutz im Schnee erfroren sind oder in einer großen Spalte nicht mehr gefunden wurden! Glücklich und erleichtert kam ich ganz oben an! Jetzt noch das kurze, ausgesetzte Grat und das Gipfelkreuz vom Großvenediger auf 3662m war erreicht!!! Welche Freude! Alle Mühe und Angst waren vergessen, der Honigriegel das Köstlichste, was ich jemals gegessen habe. Ein bisschen Saft war auch noch da. Herrlich! Schön, wunderschön ist es da oben. Grad als ob man dem lieben Gott nahe wäre. Ich habe das tief in meinem Herz gespürt!
Übermütig machte ich mich auf den Rückweg. Hei war das ein lustiges gehen und rutschen! Im Nu war die Venedigerscharte erreicht. Jetzt das steile Stück! Hinsetzen und ab die Post; steil, immer steiler; schnell, immer schneller! Neiiiiiiin! Hilfe! Hilfe! Zu spät, die Spalte kam rasant näher, bremsen ging nicht mehr. Ich fiel. Tief, tiefer...hupps! Benommen schaute ich um mich und begann zu rufen. Doch niemand hörte diese leise Fistelstimme. Langsam begann der Kopf wieder normal zu arbeiten. Gebrochen war nichts.
Auf einer Schneebrücke wurde der Sturz glimpflich abgefangen. Die Kluft führte hinunter in totale Finsternis, hier war nur leichte Dämmerung. Oben erleuchtete die Sonne den Spaltenrand. Eiszapfen strahlten und glitzerten um die Wette und der kleine Hansi saß in seinem weißen Gefängnis hilflos fest.
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