Fanny schritt auf den Herzog und Lady Douglas zu; sie zelebrierte einen tiefen Knicks. Während der Herzog sie burschikos-freundschaftlich begrüßte, lächelte Lady Douglas huldvoll.
Mit dem Besuch der Lady verband Fanny geheime Wünsche. Sie wußte, daß Lord
Douglas bei Hofe interveniert hatte, Charles auf Grund seiner Verdienste um die überseeischen Handelsbeziehungen in den Adelsstand zu erheben. Das würde für Fanny die Einführung bei Hofe bedeuten. Damit wäre sie eine Dame von Rang und Stand. Das Erscheinen der Lady konnte der Hinweis sein, daß diese Intervention zumindest erfolgversprechend war.
Frances stand im Hintergrund, die wachen Augen auf den Herzog gerichtet. Sie wartete auf den Augenblick, vorgestellt zu werden. Artig und formvollendet, wie gut erzogene Mädchen ihres Alters, beugten sich ihre Knie vor Lady Douglas und dem Herzog. Dann trat sie, wie es die Etikette vorschrieb, wieder zurück.
Fanny reichte Lady Douglas den Arm und machte sie mit den übrigen Gästen bekannt.
Unschlüssig sah sich der Herzog in der Halle um. Diesen Augenblick nutzte Frances, sich ihm wieder zu nähern. Voller Anmut verneigte sie sich.
Der Herzog mußte lächeln und nahm sie bei der Hand. Das verwirrte und beglückte sie zugleich. Strahlend sah sie zu ihm auf. D*** führte seine junge Begleiterin galant zu einem breiten Sofa abseits in einer Ecke.
Frances hatte das Gefühl, daß alle Augen auf sie schauten. Sie genoß es, an der Seite dieses viel bewunderten Mannes zu gehen und gesehen zu werden. Als sie sich gesetzt hatte, glättete sie sorgfältig ihr Kleid und sah den Herzog neben ihr glücklich und erwartungsvoll an.
Als wäre sie seinesgleichen, plauderte er in vertraut-lässigem Ton. Frances geriet in Verlegenheit, da sie nur einiges von dem begriff, was die gewählte Art seiner Sprache bisweilen lediglich andeutete.
D * * * bemerkte ihre Hilflosigkeit. Als lebenserfahrener Mann wußte er, daß Frances ihn verehrte. Das schmeichelte seiner Eitelkeit. Er war aber Kavalier genug, einem so jungen Mädchen gegenüber nicht, auch nicht andeutungsweise, lockere Redensarten zu gebrauchen, die sonst in der Gesellschaft durchaus üblich waren.
Allmählich überwand Frances ihre Scheu und bemühte sich, hinter den Sinn der Worte zu kommen, die ihr fremd waren. Dann griff sie, auch ohne gefragt zu sein, in das Gespräch ein.
Während sie munter drauflos plapperte, überlegte sich der Herzog, ob und was ihm eine nähere Beziehung zu Frances nutzen könnte. Sachlich und kühl wog er das Für und Wider ab, ohne zu einem Schluß zu kommen. So plätscherte das Gespräch über belanglose Dinge dahin. Nebenher ließ der Herzog einfließen, daß er in nächster Zeit nach Paris fahren werde. Er habe am französischen Hofe eine Mission zu erfüllen und bleibe für längere Zeit von London fort. Frances’ Augen verrieten Enttäuschung. Das bewies dem Herzog, wie es um das Mädchen stand.
Und er erwog abermals, wie Frances ihm bei der Verwirklichung seiner Pläne nützlich sein könnte. Dann kam ihm ein Gedanke. Er schlug Frances vor, ihn doch zu begleiten.
Um den Schein der Etikette zu wahren, meinte er, daß es für sie nur von Vorteil sein könnte, ein fremdes Land kennenzulernen und dort ihre Sprachkenntnisse zu vervollkommnen. Er werde dafür sorgen, daß ihr nichts zustoße. Mit ihrer Mutter werde er sprechen und sie sicher zu überzeugen wissen.
Frances war Feuer und Flamme. Soviel Glück! Kaum faßbar! Ihre Phantasie beflügelte sich. Sie malte sich aus, wie sie in Paris, an der Seite des Herzogs, in einer offenen Kutsche durch die Straßen fahren würde. Durch die Stadt mit den eleganten Geschäften, den bestgekleideten Frauen der Welt, den berühmten Vergnügungs-Etablissements. Sie sah sich bereits am Hofe des Königs von Frankreich, bewundert und beneidet.
„Ich werde Maman fragen ...“ „Eben das werden Sie nicht!“ fuhr der Herzog dazwischen. „Der Plan bleibt unser Geheimnis. Sie werden mit niemandem darüber reden — auch nicht mit Ihrer Mutter. Das besorge ich zu gegebener Zeit.“ Und mit einem Lächeln setzte er hinzu: „Sie können doch verschwiegen sein!?“
„Ja, das kann ich!“
Lady Douglas eilte durch die weitläufigen Gänge des Schlosses zu ihren Gemächern. Die Soiree bei den Burtons war amüsant gewesen. Später als vorgesehen, war sie zurückgekehrt. Atemlos betrat sie das Schlafzimmer. Während sie noch Hut und Muff achtlos auf den Frisier-Sessel warf, hörte sie das Glockenzeichen der Königin. Lady Douglas schüttelte den Kopf. Was konnte Ihre Majestät zu so ungewöhnlicher Stunde noch von ihr wünschen? Sie eilte ins Boudoir der Königin, die völlig aufgelöst vor ihrem kleinen Sekretär saß.
„Wo bleiben Sie nur?! Man hat mich bestohlen! Man hat Papiere gestohlen!“ jammerte sie.
„Was denn für Papiere?“ Lady Douglas wußte nicht, worum es sich handelte.
„Es waren ein paar ganz wichtige Briefe, die Seine Majestät mir zur Aufbewahrung gegeben hatte. Und jetzt sind sie verschwunden!“ Die Königin war verzweifelt.
Lady Douglas bot alles auf, um ihre Herrin zu trösten und zu beruhigen. „Wenn nur Seine Majestät nichts davon erfährt!“ schluchzte die Königin. „Liebe Douglas, helfen Sie mit bitte, diese Briefe wiederzufinden!“ Die Tränen rannen. Die Hofdame war von dem flehentlichen Ton in der Stimme der Königin gerührt. Aber sie wußte keinen Rat. Wie sollte sie Briefe wiederfinden, deren Inhalt sie nicht kannte, von denen sie nicht ahnte, wer daran interessiert sein
könnte.
Auch die Königin wußte lediglich, daß es sich um wichtige Dokumente handelte, die mit einer versiegelten Schnur gebündelt waren.
Damit konnte Lady Douglas nichts anfangen. Sie beschloß, den Herzog von D*** ins Vertrauen zu ziehen. Vielleicht konnte er weiterhelfen. Daß er auch hier seine Hand mit im Spiel hatte, glaubte sie allerdings nicht.
Sie gab der Königin ein Beruhigungsmittel, führte sie ins Schlafgemach, entkleidete und bettete sie mit besorgten Worten und Gesten. Sie rückte den Toilette-Sessel an das Bett und hielt die Hand Ihrer Majestät, bis der Schlaf den Kummer in das Land der Träume verbannte. Noch wälzte sich die Königin unruhig auf ihrem Lager, dann schlief sie fest ein.
Der Türklopfer dröhnte durch das Haus. Fanny, auf dem Treppenabsatz, um nach den Kindern zu schauen, drehte sich um und lief zur Haustür, um selbst zu öffnen. Draußen stand der Herzog von D * * *. Fanny, überrascht wegen dieses Besuches zu einer so ungewöhnlichen Zeit, fragte völlig unkonventionell: „Nanu — Sie???“ Erst dann kam ihr zum Bewußtsein, wen sie vor sich hatte. Verlegen fuhr ihre Hand zum Mund und ein linkischer, verunglückter Knicks unterstrich ihre Unbeholfenheit.
Der Herzog übersah diese Folge höfischer faux pas geflissentlich. „Ich muß Sie in einer wichtigen Angelegenheit sprechen, Mrs. Burton!“
„Treten Sie bitte ein, Euer Gnaden!“ Fanny führte den Herzog in die Kaminecke des Salons. Sie rückte zwei Stühle zusammen und holte aus einem geschnitzten Wandschrank eine Flasche Portwein und zwei Gläser.
Nach dem ersten Schluck sah sie den Herzog erwartungsvoll an, der ohne Umschweife auf sein Ziel losging: „Eben war Lady Douglas bei mir. Sie vertraute mir ein eminent wichtiges Staatsgeheimnis an, über das ich nicht näher sprechen kann. Jedenfalls handelt es sich um einen folgenschweren Diebstahl. Das bedingt, daß ich in spätestens vierzehn Tagen nach Paris fahren muß. Ich würde mich freuen, Madame, wenn Sie Ihrer Tochter Frances die Erlaubnis erteilen würden, mich zu begleiten.“
„Um Himmels Willen, Euer Gnaden, wozu denn das???“ In Fannys Gesicht stand helle Verblüffung.
Der Herzog erklärte mit wenigen Worten, es sei für die Pläne, die im Namen Englands auch ihr Gatte Charles in Canada verfolge, von größter Wichtigkeit, daß Frances ihn begleite.
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