War sie wirklich hübsch? Die Kerze brannte noch — Frances sprang aus dem Bett und stellte sich vor den großen Spiegel. Prüfend betrachtete sie sich. Sie hatte die gleichen, regelmäßigen Gesichtszüge wie ihre Mutter, nur glatter und runder. Ihre grüngrauen Augen leuchteten. Ein wohliges, prickelndes Gefühl spielte auf der Oberfläche des Nackens und der
Brüste ...
Langsam ließ sie das Nachthemd hinabgleiten und stieß es mit dem Fuß beiseite — ein Häufchen Nichts, nachdem es der Formen eines ebenmäßigen, jungfräulichen Körpers entbehrte.
Zwei Schritte weg vom Spiegel erfaßte Frances ihr Ebenbild von Kopf bis Fuß. Mit beiden Händen durchwühlte sie vom Nacken her ihr volles, weiches Haar, das im Schein der Kerze rotgolden schimmerte.
Nach einigen leichten Links- und Rechtsdrehungen, die Arme nach oben angewinkelt, daß die festen Hügelchen der Brüste von allen Seiten sichtbar wurden, fragte sie ihr Spiegelbild: „Bin ich wirklich schön und begehrenswert?“ Mit der Antwort war sie nicht ganz zufrieden.
Sie ließ die Arme schlaff nach unten fallen und zuckte ein-, zweimal mit den Schultern. Den Kopf zur Seite geneigt, fuhr sie mit den Händen den Körper entlang, abwärts bis zu den Hüften. Zwischen ihre weißen, regelmäßigen Zähne schob sich eine rosige Zungenspitze. Sie betrachtete, prüfte ...
Dann rückte sie den Leuchter etwas zur Seite, um günstigeres Licht zu haben. Die rechte Hand betastete die festen Bäckchen eines süßen Popos mit je einem Grübchen auf der Hüftseite — die Linke ruhte auf der schmalen Schulter. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Von welcher Seite sie sich auch betrachtete — das Ergebnis war „mager“. Um schön nach den Begriffen ihrer Zeit zu sein, fehlten die abgerundeten, fraulichen Formen. Das gestand sie sich selbstkritisch und durchaus objektiv ein. Eckige Schultern, ein zu schlanker Hals und kleine Brüste, in deren Zentrum rosa Tupfen blühten, — all das war noch kindlich akzentuiert. Ihre Hüften und ihr Hinterteil waren dagegen ausgeprägt, die Beine schlank, lang und formschön. Aus zierlichen Füßen aufstrebend deuteten sie den Wuchs eines mit allen Gaben der Natur ausgerüsteten Gebäudes kommender körperlicher Schönheit an.
Dieses Geschöpf, das die zwielichtige Periode der Halbheiten durchlebte, nicht mehr Kind noch schon erwachsen war, aber das Tor zur Welt mit allen Verlockungen des Lebens geöffnet sah, empfand die Albernheit des Posierens vor dem Spiegel. Sie streckte sich die Zunge heraus, setzte sich auf den Bettrand, griff nach einer Bürste und strich minutenlang durch ihr Haar. Sie wickelte es um den Zeigefinger, um Locken zu formen, fing wieder zu bürsten an, bis sie des Spiels müde wurde. Sie blies die Kerze aus. Nackt schob sie sich unter die Bettdecke. Bisweilen schlief sie ohne Nachtgewand — aus Selbstliebe zum eigenen Körper. Oder weil die kühle, weiche Bettdecke ihrer Haut schmeichelte.
Lang ausgestreckt lag sie auf dem Rücken, die Arme im Nacken verschränkt. Sie fühlte
ihren ganzen Körper. Mit klopfenden Pulsen genoß sie die Intensität des Seins — ihre Nacktheit. Ein Prickeln, das die Haut leicht sträubte, durchflutete sie in weichen Wellen. Zärtlich glitten ihre Hände von den Schultern über die Brüste, den Leib und die Hüften bis zu den Schenkeln hinab. Von deren Innenflächen aus betastete sie die glühende Mitte des Leibes — verharrten, liebkosten und erhitzten die Glut des jungfräulichen Schoßes, bis zuckende Blitze den Körper aufbäumen ließen und Elementares in konvulsiven Bewegungen erstarb.
Eine Zeitlang noch lauschte sie dem verklingenden Rauschen des Blutes — dann wickelte sie sich, wohlige Laute von sich gebend, fest in die Decke und schlief Sekunden später den tiefen Schlaf der Jugend.
Mrs. Cole hatte sich etwas ausgedacht. Zur Aufbesserung der Finanzen des Hauses. Vor Tagen schon wollte sie ihren Plan auf tischen, aber Fanny war geistesabwesend, nicht zugänglich gewesen. „Wo bleiben Ihre Prinzipien, Fanny?!“ leitete sie ihr Gespräch ein. „Wenn Sie so weiter wirtschaften, wird Ihr Vermögen schnell schwinden! Denken Sie an Charles und die Kinder!“
Fanny, kleinlaut wie selten, wußte nichts zu erwidern. Diesmal kam sie der Cole nicht aus, die, wenn es um ernste Fragen ging, die Frühstückszeit nutzte, Rede und Antwort zu erzwingen. Fanny hatte sich einen Lebensstil angewöhnt, der auf die Dauer ihre Verhältnisse überstieg — das wußte sie. „Sie haben recht, Mrs. Cole. Aber jetzt weiß ich erst wieder, daß ich lebe. Geben wir denn wirklich so viel Geld aus?“ „In jedem Fall zu viel! Wenn sich nicht bald etwas ändert, kommen Sie in Teufels Küche!“ Sie zögerte einen Moment, dann fuhr sie flüsternd fort: „Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder Ihre Empfänge in wesentlich kleinerem Rahmen zu halten, oder ...“ Mrs. Cole stand die List im Gesicht geschrieben; sie traute sich aber nicht, mit ihrem Vorschlag unverblümt herauszurücken.
„Na und??“ Fanny war gespannt, zu erfahren, was die
Cole ausgeheckt hatte. Es konnte kaum etwas Gutes sein. „Schließlich handelt es sich bei Ihren Besuchern durchweg um reiche Leute. Der größte Teil von Ihnen verehrt Sie, um es vorsichtig auszudrücken.“
Fanny wurde hellhörig. Ihre Stirn zog sich in Falten. Sie ahnte, was die Alte ihr vorschlagen wollte. Instinktiv wehrte sie sich gegen das noch nicht ausgesprochene Ansinnen. Die Cole blieb jedoch hart: „Es muß etwas geschehen, wenn wir nicht wieder in Mittelmäßigkeit zurückfallen wollen. Lassen Sie doch Ihren Charme spielen! Ich kann mir denken, daß Sie die Herren schon durch ein Lächeln bezaubern können.“ Mehr wagte die Cole zunächst nicht auszusprechen.
Fanny wußte genau, was die alte Vettel, ihre Freundin, der gute Geist des Hauses — alles in einer Person — im Schilde führte. Sie wurde nachdenklich und ihre Stirn glättete sich wieder. Vielsagend sah sie die Cole an, die in ihren Augen Zustimmung las. Frauen ihrer Art bedurften der Sprache nicht, wenn sie „galante“ Komplotte schmiedeten.
Fanny stand vor ihrem Kleiderschrank. Ein Kleid nach dem anderen flog auf den Frisier-Sessel. Nichts war mehr geeignet. Die neueste Pariser Mode schrieb kürzere Röcke vor, ein noch offenherzigeres Dekollete. Was sollte sie tun? Entweder alle Kleider ändern lassen oder neue in Auftrag geben. Keinesfalls konnte sie sich bei kommenden, großen Gesellschaftsabenden in einer dieser „altmodischen“ Roben sehen lassen. Man würde sie auslachen — ja bemitleiden. Sie öffnete die Tür zur Halle: „Mrs. Cole!!!“ Wie ein Hilferuf hörte sich das an.
Außer Atem stürzte die Cole die Treppe hinauf. „Ist was passiert?“
„Ach, Cole’chen — geben Sie mir einen Rat! Wie soll ich mich verhalten?" Fanny war ganz geknicktes, junges Mädchen. „Meine Gesellschaftskleider sind veraltet. Und Lady Douglas kommt zum ersten Mal. Da muß ich doch ungezogen sein!“
„Kind,“ Mrs. Cole gab sich mütterlich, „ich habe Ihnen schon mal gesagt, wie Sie es anstellen sollen.“ Sie spielte auf das Gespräch am Frühstückstisch an, hielt aber inne, als sie Fannys Mienenspiel gewahrte. „Natürlich müssen Sie für diese Gelegenheit etwas Neues haben!“ Und etwas leiser setzte sie hinzu: „Ich glaube, die Kosten werden schon irgendwie wieder hereinkommen.“
Fanny nickte nur. Die Freude an der neuen Garderobe schien ihr vergällt. Aber hatte sie eine andere Wahl als...
Lady Douglas erschien in Begleitung des Herzogs von D***, den es einige Mühe gekostet hatte, Mylady diesen Abend
für ein paar Stunden vom Dienst bei Hofe zu befreien. Lady Douglas aber war glücklich, außer Reichweite der Königin einmal nicht Versteck spielen zu müssen. Sie rauschte herein wie Ihre Majestät persönlich. Hunderte von Perlen schimmerten auf dem weißen Satinkleid mit dem kühnen Dekollete. Offenbar bezog Mylady ihre Garderobe auch von Monsieur Legrand. Drei Schönheitspflästerchen unterstrichen die Blässe ihres Gesichts. Die kunstvolle, silberweiße Perücke türmte sich in zwei Stufen, dazwischen ein schmales, funkelndes Diadem.
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