„Pst, pst!“ unterbrach ich. „Heathcliff, du hast mir immer noch nicht erzählt, wie du Catherine zurückgelassen hast.“ „Ich sagte dir ja, daß wir lachten“, antwortete er. „Die Lintons hörten uns und schossen gleichzeitig wie Pfeile auf die Tür zu. Erst war Ruhe, dann kam ein Schrei: ›Oh, Mama, Mama! Oh, Papa! Oh, Mama, kommt her! Oh, Papa, oh!‹ Wirklich, so ein Geheul ließen sie hören. Wir machten einen furchtbaren Lärm, um sie noch mehr zu erschrecken, und dann ließen wir den Sims los, weil jemand den Riegel zurückschob und wir meinten, es sei besser, auszurücken. Ich hielt Cathy bei der Hand und zog sie fort, als sie mit einem Mal hinfiel. ›Lauf, Heathcliff, lauf!‹ flüsterte sie. Sie haben die Bulldogge losgelassen, und sie hat mich gefaßt. Der Teufel hatte sie beim Fußknöchel gepackt, Nelly, ich hörte sein abscheuliches Schnaufen. Sie schrie nicht, nein! Sie hätte nicht geschrien, selbst wenn sie von einem wilden Stier auf die Hörner gespießt worden wäre. Aber ich tat es! Ich stieß Flüche aus, die genügt hätten, alle bösen Feinde der Christenheit zu vernichten, und ich ergriff einen Stein und stieß ihn dem Hund in den Rachen und versuchte mit aller Kraft, ihn in seine Kehle hineinzuzwängen. Endlich kam ein ungeschlachter Knecht mit einer Laterne herbei und schrie: ›Halt ihn fest, Skulker, halt ihn fest!‹ Er änderte seinen Ton, als er sah, wie es um Skulker stand. Der Hund war abgewürgt, seine gewaltige, purpurrote Zunge hing ihm lang aus dem Maul, und von seinen hängenden Lefzen floß blutiger Geifer. Der Mann hob Cathy auf; ihr war übel, nicht vor Angst, das weiß ich, sondern vor Schmerzen. Er trug sie hinein; ich folgte, Verwünschungen und Drohungen vor mich hin brummend. ›Was bringst du, Robert?‹ rief Linton vom Eingang her. ›Skulker hat ein kleines Mädchen gefaßt, Herr‹, erwiderte er, ›und hier ist ein Junge‹, fügte er hinzu und griff nach mir, ›der ganz verboten aussieht. Wahrscheinlich wollten die Räuber sie durchs Fenster schieben, damit sie der Bande die Tür öffneten, wenn wir alle schliefen, damit sie uns bequem ermorden konnten. — Halt dein loses Maul, du Dieb, du! Du sollst dafür an den Galgen kommen! Mr. Linton, legen Sie Ihre Flinte nicht weg!‹ ›Nein, nein, Robert!‹ sagte der alte Narr. ›Die Schurken wußten, daß gestern Zinstag war, und glaubten mich überrumpeln zu können. Kommt herein, ich werde ihnen einen Empfang bereiten! So, John, leg die Kette vor! Gib Skulker etwas Wasser, Jenny! Einen Friedensrichter in seinem Haus zu überfallen, noch dazu am Sonntag! Wovor wird ihre Frechheit haltmachen? Liebe Mary, sieh her! Erschrick nicht, es ist nur ein Junge, aber die Schlechtigkeit steht ihm im Gesicht geschrieben; wäre es nicht ein Segen für das Land, wenn er gleich gehängt würde, ehe sich seine wahre Natur so wie in seinen Gesichtszügen auch in Taten offenbart?‹ Er zog mich unter den Kronleuchter, Mrs. Linton setzte ihre Brille auf die Nase und erhob die Hände vor Schrecken. Die Feiglinge von Kindern krochen auch näher heran, und Isabella lispelte: ›Schrecklicher Kerl! Sperr ihn in den Keller, Papa! Er sieht genauso aus wie der Sohn des Wahrsagers, der meinen zahmen Fasan gestohlen hat, nicht wahr, Edgar?‹
Während sie mich begutachteten, kam Cathy herein; sie hörte die letzten Worte und lachte. Edgar Linton starrte sie neugierig an und faßte sich dann so weit, daß er sie wiedererkannte. Du weißt, sie sehen uns in der Kirche, wenn wir ihnen auch sonst nirgends begegnen. ›Das ist Miß Earnshaw‹, flüsterte er seiner Mutter zu, ›und sieh, wie Skulker sie gebissen hat, wie ihr Fuß blutet!‹
›Miß Earnshaw? Unsinn!‹ rief die Dame. ›Miß Earnshaw wird mit einem Zigeuner das Land durchstreifen! Und doch, mein Liebling, das Kind ist in Trauer, ja, ganz gewiß, und sie kann fürs ganze Leben lahm werden!‹
›Das ist ja eine sträfliche Nachlässigkeit von ihrem Bruder!‹ rief Mr. Linton aus und wandte sich von mir zu Catherine. ›Ich habe von Shielders gehört‹ — so hieß der Vikar, Mr. Lockwood —, ›daß er sie in völligem Heidentum aufwachsen läßt. Aber wer ist das? Wo hat sie diesen Gefährten aufgelesen? Oh, ich hab’s! Das wird die sonderbare Errungenschaft sein, die mein verstorbener Nachbar von seiner Reise nach Liverpool mitgebracht hat: ein kleiner Inder oder ein amerikanischer oder spanischer Schiffbrüchiger.‹
›Auf alle Fälle ein schlechter Junge‹, bemerkte die alte Dame, ›der ganz und gar nicht in ein anständiges Haus gehört! Hast du seine Sprache gehört, Linton? Ich bin entsetzt bei dem Gedanken, daß meine Kinder sie gehört haben könnten.‹
Ich fing wieder an zu fluchen — schilt nicht, Nelly —, und Robert wurde angewiesen, mich hinauszubefördern. Ich weigerte mich, ohne Cathy zu gehen; er zerrte mich in den Garten, drückte mir die Laterne in die Hand, versicherte mir, daß Mr. Earnshaw von meinem Benehmen in Kenntnis gesetzt werde, und indem er mir befahl, mich sofort auf den Weg zu machen, verriegelte er die Tür wieder. Die Vorhänge ließen immer noch eine Ecke des Fensters frei, und ich bezog von neuem meinen Späherposten; denn wenn Catherine hierher zurückgewollt hätte, so hätte ich die große Fensterscheibe in tausend Stücke zertrümmert, wenn sie sie nicht hinausließen. Sie saß ruhig auf dem Sofa. Mrs. Linton nahm ihr den grauen Mantel der Melkfrau ab, den wir für unseren Ausflug geborgt hatten, schüttelte den Kopf und machte ihr, glaube ich, Vorhaltungen. Cathy ist eine junge Dame, und es wurde ein Unterschied in ihrer und meiner Behandlung gemacht. Dann brachte die Magd eine Schüssel mit warmem Wasser und wusch Cathys Füße. Mr. Linton machte ein Glas Glühwein zurecht, Isabella schüttete einen Teller voll kleine Kuchen in ihren Schoß, und Edgar stand daneben und gaffte. Später trockneten sie ihr schönes Haar und kämmten es, gaben ihr ein Paar riesige Pantoffeln und schoben sie ans Feuer. Als ich wegging, war sie so vergnügt wie möglich, verteilte ihre Näschereien an den kleinen Hund und Skulker, den sie, während sie aß, an die Schnauze stupste. Dies weckte ein wenig Leben in den ausdruckslosen blauen Augen der Lintons, einen schwachen Widerschein ihres eigenen, entzückenden Gesichtes. Ich sah, daß sie voll blöder Bewunderung waren; sie ist ihnen so unermeßlich überlegen, überhaupt jedem anderen Geschöpf auf Erden, nicht wahr, Nelly?“
„Diese Sache wird mehr Staub aufwirbeln, als du glaubst“, antwortete ich, deckte ihn zu und löschte das Licht aus. „Du bist unverbesserlich, Heathcliff, und du wirst sehen, Mr. Hindley wird nun zu Gewaltmaßnahmen greifen.“ Meine Worte erfüllten sich in schlimmerem Maße, als ich wünschte. Das unselige Abenteuer versetzte Earnshaw in Wut. Obendrein stattete uns Mr. Linton, um die Angelegenheit ins reine zu bringen, am nächsten Morgen einen Besuch ab und hielt dem jungen Herrn über die Art, wie er seine Familie behandelte, eine Strafpredigt, die ihn aufrüttelte und bewog, einmal ernstlich in sich zu gehen. Heathcliff bekam keine Prügel, doch wurde ihm bedeutet, daß das erste Wort, daß er an Miß Catherine richten würde, seine Entfernung zur Folge hätte, und Mrs. Earnshaw nahm sich vor, ihre Schwägerin nach deren Rückkehr gebührend im Zaum zu halten, indem sie List, nicht Gewalt anwandte. Mit Zwang hätte sie nichts erreicht.
Cathy blieb fünf Wochen, bis Weihnachten, in Thrushcross Grange. Unterdessen war ihr Fußknöchel vollständig geheilt, und sie hatte sich bessere Umgangsformen angeeignet. Die gnädige Frau besuchte sie in der Zwischenzeit öfters und fing ihre Erziehung damit an, daß sie versuchte, ihre Eitelkeit durch hübsche Kleider und Schmeicheleien zu wecken, worauf Cathy bereitwillig einging. So kam es, daß statt einer unbändigen, hutlosen kleinen Wilden, die ins Haus gesprungen wäre, um uns alle halbtot zu drücken, ein sehr zurückhaltendes Geschöpf von einem schönen schwarzen Pony stieg; braune Ringellocken fielen unter dem Aufschlag eines hohen Federhutes herab, und sie trug einen langen Tuchmantel, den sie mit beiden Händen raffen mußte, um hereinrauschen zu können. Hindley half ihr vom Pferde und rief entzückt aus: „Ei, Cathy, du bist ja eine regelrechte Schönheit! Ich hätte dich fast nicht erkannt; du siehst jetzt aus wie ein Dame. Isabella Linton kann sich nicht mit ihr messen, nicht wahr, Frances?“ „Isabella ist nicht so hübsch wie sie“, erwiderte seine Frau, „aber sie muß sich davor hüten, hier wieder zu verwildern. Ellen, hilf Miß Catherine aus ihren Sachen! Halt still. Liebling, du wirst deine Locken in Unordnung bringen; laß mich deinen Hut losbinden!“
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