Ich nahm ihr den Mantel ab, und darunter kamen zum Vorschein: ein großartiges buntkariertes Seidenkleid, weiße Beinkleider und blank polierte Schuhe. Ihre Augen leuchteten voll Freude auf, als die Hunde zu ihrer Begrüßung angelaufen kamen, doch wagte sie kaum, sie zu berühren, um ihr schönes Kleid vor ihrem Ansprung zu bewahren. Sie küßte mich vorsichtig, denn ich war ganz mit Mehl bestäubt, weil ich Weihnachtskuchen buk, und eine Umarmung wäre nicht ratsam gewesen; und dann blickte sie sich nach Heathcliff um. Mr. und Mrs. Earnshaw sahen diesem Wiedersehen ängstlich entgegen; denn nun mußte es sich ja zeigen, wieweit sie darauf hoffen durften, die beiden Freunde voneinander zu trennen. Heathcliff war zunächst schwer aufzufinden. War er vor Catherines Abwesenheit schon verwahrlost und vernachlässigt gewesen, so war das jetzt zehnmal mehr der Fall. Niemand außer mir erwies ihm soviel Teilnahme, ihn einen schmutzigen Jungen zu nennen und ihn dazu anzuhalten, sich einmal wöchentlich zu waschen; Kinder seines Alters haben von Natur selten eine Vorliebe für Seife und Wasser. Daher waren sein Gesicht und seine Hände schrecklich schmutzig, gar nicht zu reden von seiner Kleidung, die ihm drei Monate lang in Schlamm und Staub gedient hatte, und von seinem dichten, ungekämmten Haar. Er mochte sich wohl hinter einem Sessel verborgen haben, als er ein so schönes, liebreizendes Fräulein in das Haus kommen sah statt des verwahrlosten Gegenstückes seiner selbst, das er erwartet hatte. „Ist Heathcliff nicht hier?“ fragte sie, zog ihre Handschuhe aus und zeigte Hände, die vom Nichtstun und Stubensitzen wundervoll weiß geworden waren.
„Heathcliff, du kannst herkommen“, rief Mr. Hindley, weidete sich an seiner Verwirrung und freute sich, beobachten zu können, als was für einen abstoßenden Gesellen er sich darstellen mußte. „Du kannst kommen und Miß Catherine willkommen heißen, wie das übrige Gesinde.“
Cathy, die ihren Freund in seinem Versteck erblickt hatte, flog auf ihn zu, um ihn zu umarmen; sie gab ihm im Nu sieben oder acht Küsse auf die Wange, dann hielt sie ein, trat zurück fing an zu lachen und rief: „Ei, wie furchtbar schmutzig und widerwärtig du aussiehst! Und wie… wie drollig und grimmig! Aber das kommt daher, daß ich an Edgar und Isabella Linton gewöhnt bin. Nun, Heathcliff, hast du mich vergessen?“
Sie hatte nicht unrecht, diese Frage zu stellen, denn Scham und Stolz hatten sein Gesicht zwiefach verdüstert und ließen ihn unbeweglich verharren.
„Gib die Hand, Heathcliff“, sagte Mr. Earnshaw herablassend, „für dieses Mal mag es erlaubt sein.“
„Das werde ich nicht“, entgegnete der Junge, endlich Worte findend, „ich will nicht dastehen und mich auslachen lassen. Das kann ich nicht ertragen!“
Er wäre davongelaufen, wenn Miß Cathy ihn nicht wieder gepackt hätte.
„Ich wollte dich nicht auslachen“, sagte sie, „ich konnte nur nicht an mich halten. Heathcliff, gib mir endlich die Hand! Warum bist du so verdrießlich? Du sahst nur so merkwürdig aus. Wenn du dein Gesicht wäschst und deine Haare bürstest, ist alles in Ordnung; aber du bist so schmutzig!“
Sie blickte besorgt auf die schwärzlichen Finger, die sie in ihrer Hand hielt, und auf ihr Kleid, denn sie fürchtete, es werde durch die Berührung mit ihnen keine Verschönerung erfahren.
„Du hättest mich nicht anzufassen brauchen!“ antwortete er, ihrem Blick folgend, und zog seine Hand zurück.
„Ich werde so schmutzig sein, wie es mir paßt; ich bin gern schmutzig, und ich will schmutzig sein!“
Damit stürzte er, mit dem Kopf voran, aus dem Zimmer, unter dem Gelächter des Herrn und der gnädigen Frau. Catherine aber war ernstlich bestürzt. Sie konnte nicht begreifen, warum ihre Bemerkungen einen derartigen Ausbruch hervorgerufen hatten.
Nachdem ich bei Catherine Kammerzofe gespielt, meine Kuchen in den Ofen geschoben und im Haus und in der Küche, wie es sich am Weihnachtsabend geziemt, helle Feuer angefacht hatte, machte ich mich fertig und wollte mich hinsetzen und ganz allein zu meiner Freude Weihnachtslieder singen, unbekümmert um Josephs Behauptung, meine fröhlichen Weisen klängen fast wie Gassenhauer. Er hatte sich zu stillem Gebet in sein Zimmer zurückgezogen, und Mr. und Mrs. Earnshaw fesselten des Fräuleins Aufmerksamkeit mit verschiedenen bunten Kleinigkeiten, die sie den kleinen Lintons in Erwiderung ihrer Freundlichkeit schenken sollte. Sie hatten sie eingeladen, den morgigen Tag in Wuthering Heights zu verbringen, und die Einladung war angenommen worden, unter einer Bedingung: Mrs. Linton hatte gebeten, ihre Lieblinge möchten sorgfältig von dem ›unartigen, fluchenden Jungen‹ ferngehalten werden.
Unter diesen Umständen blieb ich einsam. Ich roch den kräftigen Duft der heiß werdenden Gewürze und freute mich an den blanken Küchengeräten, an der polierten, mit Stechpalmen geschmückten Wanduhr, den silbernen Krügen, die auf ein Tablett gestellt waren, um beim Nachtessen mit gewürztem Bier gefüllt zu werden, und vor allem an der fleckenlosen Sauberkeit meines besonderen Sorgenkindes: des gescheuerten und rein gefegten Fußbodens.
Ich zollte jedem Gegenstand innerlich meine Anerkennung, und dann dachte ich daran, wie der alte Earnshaw hereinzukommen pflegte, wenn alles rein gemacht war, mich ein scheinheiliges Mädchen nannte und einen Schilling als Weihnachtsgeschenk in meine Hand gleiten ließ. Von da wanderten meine Gedanken zu seiner Vorliebe für Heathcliff und seiner Befürchtung, er werde nach seinem Tode vernachlässigt werden, und das brachte mich dazu, über die jetzige Lage des armen Burschen nachzudenken — und aus dem Singen wurde Weinen. Dann aber fiel mir ein, daß es doch vernünftiger wäre, wenn ich mich bemühte, etwas von dem Unrecht gutzumachen, statt Tränen darüber zu vergießen; darum stand ich auf und ging in den Hof, um ihn zu suchen. Er war nicht weit; ich fand ihn damit beschäftigt, das glänzende Fell des neuen Ponys zu striegeln und die anderen Tiere, wie er es gewohnt war, zu füttern.
„Beeil dich, Heathcliff!“ sagte ich, „in der Küche ist es so gemütlich; Joseph ist oben, mach schnell, damit ich dich hübsch anziehen kann, bevor Miß Cathy herauskommt, und dann könnt ihr den ganzen Herdplatz für euch allein haben und einen langen Schwatz machen bis zum Schlafengehen.“
Er fuhr mit seiner Arbeit fort und wandte nicht einmal den Kopf nach mir um.
„Komm! — Kommst du?“ wiederholte ich. „Für jeden von euch ist ein kleiner Kuchen da, und du brauchst eine halbe Stunde zum Anziehen.“
Ich wartete fünf Minuten, aber als immer noch keine Antwort kam, ging ich weg. Catherine aß mit ihrem Bruder und ihrer Schwägerin zu Abend, Joseph und ich fanden uns zu einem ungeselligen Mahl zusammen, das von der einen Seite mit Vorwürfen, von der anderen mit schnippischen Antworten gewürzt wurde. Heathcliffs Kuchen und Käse blieben die ganze Nacht auf dem Tisch für die Feen. Er brachte es fertig, seine Arbeit bis neun Uhr hinauszuziehen; dann ging er starr und stumm in sein Zimmer. Cathy blieb lange auf, da sie eine Menge Dinge zum Empfang ihrer neuen Freunde vorzubereiten hatte. Einmal kam sie in die Küche, um mit ihrem alten Freund zu sprechen; aber er war hinausgegangen, und sie fragte nur, was mit ihm los sei, und ging dann zurück. Am Morgen stand er früh auf, und da es Feiertag war, trug er seine schlechte Laune ins Moor spazieren und erschien erst wieder, als die Familie zur Kirche gegangen war. Fasten und Nachdenken schien ihn in bessere Stimmung versetzt zu haben. Er lungerte eine Weile bei mir umher, dann nahm er seinen Mut zusammen und rief plötzlich: „Nelly, mach mich anständig, ich will artig sein!“
„Höchste Zeit, Heathcliff“, sagte ich, „du hast Catherine traurig gemacht; ich glaube, es tut ihr leid, daß sie überhaupt nach Hause gekommen ist. Es sieht so aus, als ob du sie beneidest, daß man von ihr soviel mehr Wesen macht als von dir.“ Daß er Catherine beneiden sollte, war ihm unfaßlich, aber daß er sie betrübt hätte, verstand er ganz deutlich.
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