1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Sehr lange erschienen uns allen die drei Tage ohne ihn, und oft fragte die kleine Cathy, wann er nach Hause käme. Mrs. Earnshaw erwartete ihn am dritten Abend zum Nachtessen; sie schob die Mahlzeit von Stunde zu Stunde hinaus, aber nichts deutete auf sein Kommen hin, und schließlich wurden es die Kinder leid, zum Tor zu laufen, um Ausschau zu halten. Es wurde dunkel; sie hätte sie gern zu Bett geschickt, aber sie baten so kläglich, aufbleiben zu dürfen, und endlich, gegen elf Uhr, wurde die Türklinke leise heruntergedrückt, und herein trat der Herr. Er warf sich, halb lachend, halb stöhnend, in einen Stuhl und bat sie, ihn erst einmal in Ruhe zu lassen, er sei halbtot; nicht um die drei Königreiche wolle er wieder so einen Marsch machen.
„Und zum Schluß noch halb zu Tode gehetzt werden!“ sagte er und öffnete seinen Mantel, den er wie ein Bündel in den Armen hielt. „Sieh her, Frau! In meinem Leben ist mir nichts so schwer gemacht worden. Aber du mußt es als Gabe Gottes hinnehmen, wenn es auch so dunkel ist, als käme es aus der Hölle.“
Wir drängten uns um ihn, und über Miß Cathys Kopf hinweg warf ich einen Blick auf ein schmutziges, zerlumptes, schwarzhaariges Kind. Es war groß genug, gehen und sprechen zu können, und sein Gesicht sah älter aus als Catherines. Als es jedoch auf die Füße gestellt wurde, starrte es nur in die Runde und brachte ein Kauderwelsch hervor, das keiner von uns verstehen konnte. Ich war erschrocken, und Mrs. Earnshaw war drauf und dran, es wieder hinauszuwerfen. Sie fuhr auf und fragte, wie er sich unterstehen könne, diesen Zigeunerjungen ins Haus zu bringen, da sie doch ihre eigenen Kinder zu ernähren und zu versorgen hätten; was er mit ihm zu tun gedächte und ob er wahnsinnig sei. Der Herr versuchte die Sache zu erklären, aber er war halbtot vor Müdigkeit. Das einzige, was ich zwischen ihren Scheltworten heraushören konnte, war, daß er das Kind hungernd, obdachlos und fast stumm vor Erschöpfung in den Straßen Liverpools gesehen und es aufgelesen hatte, um sich nach seinen Angehörigen zu erkundigen. Keine Seele wußte, wohin es gehörte, sagte er, und da er wenig Geld und Zeit hatte, hielt er es für besser, es nach Hause mitzunehmen, als sich dort in unnütze Unkosten zu stürzen. Denn er wollte es nicht so zurücklassen, wie er es gefunden hatte. Nun, am Ende fügte sich meine Herrin zögernd, und Mr. Earnshaw beauftragte mich, das fremde Kind zu waschen, ihm saubere Sachen zu geben und es bei den Kindern schlafen zu lassen.
Hindley und Catherine beschränkten sich darauf, stumme Zuschauer zu sein, bis der Friede wiederhergestellt war; dann fingen beide an, ihres Vaters Taschen nach den Geschenken zu durchsuchen, die er ihnen versprochen hatte. Hindley war ein Junge von vierzehn Jahren; als er jedoch zutage förderte, was einmal eine Geige gewesen und im Mantel in Stücke zerquetscht worden war, heulte er laut. Und als Cathy hörte, daß der Herr die Peitsche verloren hatte, während er auf den Fremdling aufpaßte, ließ sie ihre schlechte Laune dadurch aus, daß sie dem dummen kleinen Wesen Fratzen schnitt und es anspuckte, bis ihr Vater ihr eine tüchtige Ohrfeige gab, um ihr bessere Manieren beizubringen. Beide Kinder weigerten sich heftig, den Findling bei sich im Bett und überhaupt in ihrem Zimmer zu haben, und ich war auch nicht vernünftiger und bettete ihn auf den Treppenabsatz, in der Hoffnung, er werde am Morgen verschwunden sein. Vielleicht vom Klang seiner Stimme angelockt, kroch er zu Mr. Earnshaws Tür, der ihn dort fand, als er sein Zimmer verließ. Es wurden Nachforschungen angestellt, wie er dorthin geraten war; ich mußte gestehen, und als Strafe für meine Feigheit und Roheit wurde ich aus dem Hause gewiesen.
Das war Heathcliffs Einführung in die Familie. Als ich einige Tage später zurückkehrte (denn ich betrachtete meine Verbannung nicht als endgültig), fand ich, daß sie ihn Heathcliff getauft hatten. Es war der Name eines Sohnes, der als kleines Kind gestorben war, und er hat ihm seither als Vorname wie als Zuname gedient. Miß Cathy und er waren schon dicke Freunde, aber Hindley haßte ihn und, um die Wahrheit zu sagen, ich mit ihm; wir quälten ihn und sprangen schändlich mit ihm um. Ich war nicht vernünftig genug, meine Ungerechtigkeit zu erkennen, und die Herrin brachte nie ein Wort zu seinen Gunsten vor, wenn sie sah, daß ihm Unrecht geschah. Er war ein gedrücktes, geduldiges Kind, anscheinend an schlechte Behandlung gewöhnt. Hindleys Schläge ertrug er, ohne zu zucken und ohne eine Träne zu vergießen, und wenn ich ihn kniff, so zog er nur den Atem ein und schlug seine Augen groß auf, als ob er sich durch Zufall weh getan hätte und niemand schuld daran sei. Diese Langmut brachte den alten Earnshaw in Wut, wenn er merkte, daß sein Sohn das arme, vaterlose Kind (so nannte er es) quälte. Er gewann Heathcliff auf erstaunliche Art lieb und glaubte ihm alles, was er sagte (übrigens sagte er herzlich wenig und fast immer die Wahrheit), und verwöhnte ihn weit mehr als Cathy, die für ein Hätschelkind zu mutwillig und zu launenhaft war.
So hat er von Anfang an im Hause Unfrieden gesät, und beim Tode Mrs. Earnshaws, der weniger als zwei Jahre später eintrat, hatte der junge Herr gelernt, seinen Vater nicht als Freund, sondern als Unterdrücker zu betrachten und Heathcliff als einen, der sich die Zuneigung seines Vaters und seine Vorrechte erschlichen hatte, und das Grübeln über diese Kränkungen verbitterte ihn. Eine Zeitlang dachte ich genauso; aber als die Kinder an Masern erkrankten und ich sie pflegte und so die Sorgen einer Frau übernehmen mußte, änderte sich mein Sinn. Heathcliff war todkrank, und als es ganz schlimm um ihn stand, wollte er mich ständig an seinem Bett haben. Ich glaube, er fühlte, daß ich ihm wohltat, und er ahnte nicht, daß ich es gezwungen tat. Ich muß sagen, er war das ruhigste Kind, das je von einer Pflegerin versorgt wurde. Der Unterschied zwischen ihm und den anderen lehrte mich, weniger parteiisch zu sein. Cathy und ihr Bruder plagten mich schrecklich, er war geduldig wie ein Lamm; doch glaubte ich, daß es eher seine Verschlossenheit als Freundlichkeit war, die ihn so bescheiden machte.
Er genas, und der Arzt meinte, das sei zum größten Teil mein Verdienst, und lobte meine sorgfältige Pflege. Ich war stolz auf seine Anerkennung; sie stimmte mich weicher gegen das Menschenkind, das mir dieses Lob eingebracht hatte, und so verlor Hindley seinen letzten Verbündeten. Ich konnte mir jedoch nichts aus Heathcliff machen und fragte mich oft, was meinen Herrn so sehr zu dem einsilbigen Jungen hingezogen hatte, der, soweit ich mich erinnerte, seine Bevorzugung nie mit einem Zeichen von Dankbarkeit vergalt. Er war nicht ungezogen gegen seinen Wohltäter, er war nur gleichgültig. Dabei wußte er genau, welchen Halt er an ihm hatte, und er war sich klar darüber, daß er nur den Mund aufzutun brauchte, um das ganze Haus seinen Wünschen gefügig zu machen. Ich erinnere mich eines Beispiels. Eines Tages kaufte Mr. Earnshaw auf dem Jahrmarkt ein Paar Füllen und schenkte jedem der Jungen eines. Heathcliff nahm sich das schönste; aber bald fing es an zu lahmen, und als er das entdeckte, sagte er zu Hindley: „Du mußt dein Pferd mit mir tauschen, ich mag meines nicht, und wenn du nicht willst, werde ich deinem Vater erzählen, daß du mich diese Woche dreimal verprügelt hast, und werde ihm meinen Arm zeigen, der bis oben hin grün und blau ist.“ Hindley steckte die Zunge heraus und versetzte ihm eine Ohrfeige. „Tu es lieber gleich“, beharrte Heathcliff und entwischte zur Tür (sie waren im Stall). „Du mußt ja doch, und wenn ich von diesen Schlägen erzähle, bekommst du sie mit Zinsen zurück.“ „Weg, du Hund!“ schrie Hindley und drohte ihm mit einem eisernen Gewicht, das zum Wiegen von Kartoffeln und Heu benutzt wurde. „Wirf nur“, entgegnete Heathcliff und stand still, „dann werde ich ihm erzählen, wie du damit geprahlt hast, du werdest mich vor die Tür setzen, sobald er tot ist; dann kannst du sehen, ob er dich nicht selbst gleich hinauswirft.“ Hindley warf und traf ihn vor die Brust; er fiel hin, taumelte aber sofort wieder auf, atemlos und weiß im Gesicht, und hätte ich es nicht verhindert, dann wäre er so, wie er war, zum Herrn gegangen und hätte seine Verfassung für sich sprechen lassen. Hindleys Schuld wäre entdeckt worden, er hätte volle Genugtuung erhalten. „Na, dann nimm mein Füllen, Zigeuner!“ sagte der junge Earnshaw. „Ich bete zu Gott, daß es dir einmal das Genick bricht; nimm’s, du verdammter, erbärmlicher Eindringling! Schwatze nur meinem Vater alles ab, was er hat, zeige ihm nur hinterher dein wahres Gesicht, du Satansbrut! — Und jetzt noch das, hoffentlich fliegt dein Gehirn heraus!“
Читать дальше