Corinna und André hatten den Wagen auf dem Waldweg am Eingang geparkt. Von dort sind es etwa hundert Meter bis zum Haus. Und hinter dem Haus liegt der See, direkt am Grundstück, unterhalb der Terrasse. Zu dem relativ neu gebauten Haus gehören auch noch ältere Gebäude, eine größere Werkstatt, eine Garage und ein kleines Gästehaus; perfekt, wenn die Kinder zu Besuch kommen und übernachten wollen. Auf der großen Wiese zwischen Gästehaus und Haupthaus kann man Federball spielen oder Boule oder Fußball. Und der große Rasen zwischen Terrasse und See ist einfach perfekt für ein herrliches Sonnenbad, mit Blick auf den See. Morgens steht die Sonne schon früh auf der Vorderseite des Hauses und ab mittags und den frühen Abend über scheint die Sonne auf der Rückseite des Hauses, da, wo man am liebsten mit einem guten Buch auf der Terrasse sitzt, die Vögel beobachtet und ihrem Gesang zuhört oder mit Freunden ein gutes Essen und eine Flasche Wein genießt. „Natürlich weiß ich, dass man dies hier nicht mit dem Stockholmer Archipelago vergleichen kann. Seewasser ist nun mal nicht so kristallklar und sauber wie unser Ostseewasser. Das werden wir ganz sicher vermissen.“ Corinna lässt sich auf der Bank nieder, die zum Bootssteg gehört. „Ja, das glaube ich ganz bestimmt“, meint André, „die unendliche Weite wird mir fehlen und die Sonne, die abends am Horizont über dem Wasser untergeht“. Corinna sucht nach Argumenten. Das, was André sagt, stimmt, und es gibt nur ein einziges Argument, - Geld. „Wenn du die Sonne über dem Ostseehorizont untergehen sehen willst, dann gibst du mir jetzt mal schnell sechs Millionen Kronen, die lege ich zu dem Kaufpreis für dieses Haus dazu und ich garantiere dir, dass der Makler schon morgen das richtige Haus für uns findet.“ André sagt nichts und schaut hinaus aufs Wasser. Einen guten halben Kilometer kann man hier über das Wasser sehen, mehr nicht, dann verläuft der See in einer Biegung. „Sechs Millionen weniger und du hast dieses Haus mit einem See, deinem eigenen Bootssteg und nur einer Stunde Autofahrt von daheim entfernt.“ André räuspert sich, sagt aber nichts. Schnelle Entscheidungen sind nicht sein Ding. Corinna muss da immer ein wenig nachhelfen. Aber meistens bestätigt André hinterher, dass es wieder eine gute und richtige Entscheidung war, die Corinna da vorbereitet hat.Corinna wartet, aber da kommt nichts. Sie
wird ein wenig ungeduldig und schließlich setzt sie ihm die Pistole auf die Brust. „Denk mal an all die anderen Häuser und deren Kaufpreis. Das hier ist so gut, dass ich es kaufen werde, auch wenn du es nicht willst. Dann kaufe ich es eben allein.“ Erstaunt dreht André den Kopf zu ihr und hakt dann nach weiterem Schweigen schließlich ein. „Naja, dann sprechen wir eben mit dem Makler und bekunden unser Interesse“.
Na, das war doch schon mal was. Gesagt, getan. Corinna schaut noch einmal über den See und atmet die Stille tief ein. Wunderschön. Motorboote sind hier nicht erwünscht, hat der Makler gesagt, deshalb ist es hier auch absolut still. Sie gehen wieder zurück zum Haus und schauen sich noch einmal um. Am anderen Ufer des Sees, hinter dem Schilf, beginnen gerade die Birken und anderen Laubbäume ihre zarten hellgrünen Blätter zu entfalten.
André sagt nichts, aber Corinna malt sich bereits aus „Und auf dem Bootssteg wirst du morgens immer deine erste Tasse Kaffee trinken. Ist doch gemütlich oder?“ André nickt und lächelt. „Ja, vielleicht.“
Viel Erfahrung hat Corinna nicht mit dem Kauf von Häusern in Deutschland, aber eins steht fest, hier in Schweden ist alles ganz anders. Hier steht nicht der Eigentümer und spricht mit den Interessenten und wählt sie aus. Im Gegenteil, es ist sogar unerwünscht, dass die Familie sich im Haus aufhält. Und der Makler richtet das Haus vor der Besichtigung eher spartanisch her, das heißt, alle persönlichen Details, wie die flauschige Sofadecke und die Kissen der Oma, die bunten Spitzendeckchen mit der Vase in der Mitte und den Plastikblumen, das verstaubte Radio und die handgestrickten Puppen auf dem Sideboard, so auch die verschiedenen Rahmen mit den Bildern der Kinder und Enkel, alles wird irgendwohin verstaut, so dass die Einrichtung einen neutralen, angenehmen Eindruck macht. Kleine Gläser mit brennenden Teelichtern werden aufgestellt. Vielleicht sogar eine moderne Vase mit frischen Blumen. Und hier befindet sich nur der Makler im Haus, der Rede und Antwort steht, und am Hauseingang stehen blaue Plastiküberschuhe, die man sich überzieht, damit man keinen Schmutz ins Haus trägt. Ansonsten bewegt man sich völlig frei im Haus. Ist man ernsthaft interessiert, bekommt man eine Broschüre mit detaillierter Beschreibung und schönen Farbfotos vom Anwesen. Man schreibt sich beim Makler in die Liste ein und bekommt den Internetcode, unter dem man das Objekt findet. Und dann geht es eigentlich erst richtig spannend los. Jetzt zählt nur noch das Geld! Der Preis, den man vorher gelesen hat, ist nur der Ausgangspreis. Schließlich beginnt die Uhr für die Ausschreibung zu ticken und einer der Interessenten legt im Internet sein erstes Gebot, das mindestens etwas über dem Ausgangspreis liegt. Dieses wird dann von einem noch mehr Interessierten überboten und so geht das munter weiter. Corinna sitzt abends gespannt und fiebernd am Bildschirm und verfolgt zusammen mit André die Gebote. Sie haben mittlerweile viel geredet und sich nun wirklich mit dem Gedanken angefreundet, dieses Haus besitzen zu wollen. Anfangs bieten acht Interessenten, man sieht nur deren Code, keine Namen. Langsam aber sicher geht der Kaufpreis nach oben. Dann fallen plötzlich zwei Interessenten weg, später nach und nach weitere vier. Jetzt gibt es nur noch einen Konkurrenten und Corinna und André im Netz. Es ist 23 Uhr und um 24 Uhr wird die Ausschreibung abgeschlossen. Corinna bietet jetzt nicht mehr weiter und läßt den Konkurrenten im Glauben, er sei jetzt der alleinige Interessent. Sein Gebot liegt wenig über ihrem. Dann schließlich um 23 Uhr 55 hebt Corinna den nervösen Zeigefinger und schreibt das nächste Gebot in die vorgesehene Zeile, drückt aber noch nicht die ENTER Taste. Vier Minuten später drückt sie ENTER und starrt gespannt auf den Bildschirm. Nichts passiert. Der andere Interessent hat den Kaufpreis nicht noch einmal überboten. Er konnte auch gar nicht, die Zeit war zu knapp. Corinna und André schauen sich an.
Das war knapp. Sollte ihnen dieser kleine Trick geglückt sein? Sie reden noch viel und können die Nacht kaum schlafen. Viel mehr hätten sie auch nicht mehr bieten können. Mittlerweile war der Preis für das Haus um fast sechzig Prozent gestiegen. Aber sie sind sich einig, das ist es wert. Am nächsten Morgen ruft der Makler an „Herzlichen Glückwunsch. Sie haben den Zuschlag bekommen“. André hat zwar früher schon mehrere Häuser in Schweden gekauft, aber da galt immer ein fester Preis, weil es Neubauten waren. Und auch Andrés und Corinnas erstes gemeinsames Haus außerhalb von Stockholm wurde zu einem festen Preis verkauft. Für beide ist also diese ganze Prozedur völlig neu und sehr aufregend. Aber jetzt ist es geschafft. Sie haben ein Landhaus. Der Vertrag mit dem Eigentümer wird unterzeichnet, die Bank stellt die finanziellen Mittel zur Verfügung und die Grundbucheintragungen werden vorgenommen.
Einen Monat später übergibt André schließlich seine geliebte Motoryacht einer Bootsfirma im Yachthafen zum Verkauf. Und glücklicherweise gilt auch hier ein ähnliches Prinzip, der Meistbietende bekommt den Zuschlag. Handelt es sich um ein wahres Qualitätsboot, wie in diesem Fall, kann man damit rechnen, dass der Verkaufserlös um einiges höher ist, verglichen mit dem Preis, den André und Corinna sieben Jahre vorher für die Yacht bezahlt haben. Und tatsächlich deckt die erzielte Verkaufssumme des Bootes den Kaufpreis für ihr neues Landhaus so gut wie ab. Ein gutes Gefühl. André und Corinna sind zufrieden und glücklich. „Das muss erst einmal gefeiert werden, komm“. André steht mit einer Flasche Sekt und Gläsern in der Küchentür und Corinna legt das Geschirrtuch zur Seite und folgt André ins Wohnzimmer. „Du hattest wieder mal Recht, es ist jetzt wirklich Zeit, an Land zu gehen.“ Corinna lächelt. Sie kennt ihren André nur zu gut.
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