Habe ich ihr denn nicht in allem nachgegeben und mich ihr so gut wie willenlos hingegeben?
Habe ich denn nicht nur ihre Liebkosungen genossen, sondern auch die Schmerzen ausgehalten die sie mir zufügte?
Warum nur hat sie mich einfach so abserviert?
Doch je länger ich darüber nachdenke und zu keinem Ergebnis komme verstärken sich meine Kopfschmerzen immer mehr, welche ich schon leicht spürte als ich auf dem Boden hockte und meinen Kopf auf den Knien barg.
Für die Schönheiten der Natur hier draußen habe ich heute gar kein Auge, auch nicht für den kleinen Bachlauf der das Grundstück meines Elternhauses umfließt und bei dem wir als Kinder oft gespielt haben.
Somit trotte ich emotional ausgelaugt wieder zum Haus zurück und klopfe mir den Schnee von der Jacke und aus den Haaren.
„Matt? Wo warst du denn so lange?“ begrüßt mich meine Mum als ich die gute Stube betrete, wo sie den Tisch schon für den Lunch liebevoll gedeckt hat.
„Nur ein wenig spazieren, Mum! Aber die frische Luft konnte meine Kopfschmerzen, die ich seit heute Morgen habe, leider nicht vertreiben. Im Gegenteil, sie hat sie nur noch schlimmer gemacht!“ sage ich bedauernd und ziehe meine Jacke aus, welche ich neben dem Kachelofen zum Trocknen aufhänge.
„Na, das wundert mich auch nicht, wenn du ohne Mütze an die eiskalte Luft gehst und warum sagst du mir nicht, dass du Kopfschmerzen hast? Ich hätte dir ein Aspirin gegeben und dann wäre es jetzt schon vorbei. Also komm setz‘ dich erst einmal und ich hole dir noch eine Kopfschmerztablette!“ sagt sie kopfschüttelnd, verschwindet in der Küche und ich lasse mich auf die gemütliche Bank im Wohnzimmer fallen.
Dabei lasse ich meinen immer mehr schmerzenden Kopf in meine Hände fallen und stütze dabei die Ellbogen auf dem Tisch auf.
Die Kopfschmerzen kommen aber bestimmt nicht von der kalten Luft, sondern eher von Saundras unerwartetem Auftritt heute Morgen.
Dad werkelt mit dem Kachelofen herum, legt Holz nach und meint wie nebenbei.
„Hat das Mädchen dich so durcheinander gebracht, dass du sogar Kopfschmerzen davon bekommen hast?“
„Dad, bitte! Hat Mum es dir nicht gesagt? Ich möchte mit euch nicht weiter über Saundra sprechen, vor allem nicht mehr heute. Lass‘ das Thema einfach, bitte!“ sage ich aufbrausend, nehme dabei zunächst meine Hände flehend und abwehrend zur Seite, um sie daraufhin zu falten und meine Stirn tief seufzend darauf zu betten.
Schließlich setzt sich Dad neben mich auf die Bank und legt einen Arm um meine Schultern.
„Tut mir leid mein Junge! Natürlich hat es mir deine Mutter gesagt, aber ich wusste nicht dass dich die Sache mit dem Mädchen tatsächlich so mitnimmt!“ sagt er sanft und reibt mit der anderen Hand meinen Oberarm.
„Wie gesagt, es tut mir leid! Ich werde dich also künftig nicht mehr darauf ansprechen, aber du weißt wo du mich findest, wenn du eines Tages doch darüber reden willst!“
Tief Luft holend antworte ich genervt und etwas lauter.
„Ich weiß Dad! Mum hat es mir auch angeboten, aber ich will und kann mit euch einfach nicht darüber reden und ich möchte in Zukunft nicht ständig an sie erinnert werden. Akzeptiert das bitte beide! Ich werde irgendwann über sie hinwegkommen und ich mache das verdammt nochmal mit mir selbst aus.“
Dad nimmt beide Hände von mir und hebt sie abwehrend.
„Okay! Alles klar! Ich habe verstanden! Künftig kein Ton mehr davon! Wie lange bleibst du heute?“ geht er übergangslos zu einem anderen Thema über.
Kopfschüttelnd aber lächelnd sehe ich ihn von der Seite an, weil er mich schon immer schneller und besser verstanden hat als Mum.
„Ich denke, ich werde heute schon nach dem Lunch nach Hause fahren. Ich habe Kopfschmerzen und es geht mir im Moment deswegen nicht so gut, vielleicht sollte ich mich zu Hause einfach etwas hinlegen! Danke Dad!“ sage ich nun wieder etwas sanfter, um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen.
Er streichelt mir nun tröstend über den Rücken und sagt mitfühlend.
„Verstehe! Du musst die Sache einfach mit dir selbst ausmachen … ist vielleicht auch besser so. Dann mach‘ das was du für richtig hältst, schließlich bist du alt genug dafür. Deine Mutter versteht das immer nicht, dass wir Männer manche Sachen allein verarbeiten müssen…“ sagt er mitfühlend bis ihn die Stimme meiner Mum unterbricht.
„Was ist mit mir? Was verstehe ich nicht?“ sagt sie herausfordernd und hält eine Packung Aspirin in den Händen.
„Nichts Laura! Alles gut! Lass‘ unseren Sohn jetzt einfach einmal in Ruhe seinen Lunch essen und dann will er sowieso wieder heim fahren.“ tut er so als wäre nichts gewesen.
„Ach so!“ sagt sie enttäuscht und ich sehe ihrem Gesicht an, dass sie sich verzweifelt bemüht nicht wieder von Saundra anzufangen.
„Hier! Deine Kopfschmerztabletten! Aber nimm‘ erst einmal nur eine, wenn du noch Auto fahren musst!“ sagt sie etwas geknickt, reicht sie mir die Packung Aspirin und schwirrt wieder in die Küche ab, um den Sonntagsbraten zu holen, welcher köstliche Duftschwaden durch den Raum ziehen lässt.
Solche aufwändigen und zeitintensiven Speisen sind in der Regel in Amerika am Sonntagmittag gar nicht üblich, aber Mum hat diese Tradition von ihrer deutschen Mum übernommen.
Grandma hat viele Speisen und Rezepte ihrer ursprünglichen Heimat in unserer Familie eingeführt, die wir alle heute nicht mehr missen möchten und dem amerikanischen Fast Food auf jeden Fall vorziehen.
Somit drücke ich eine Tablette aus dem Streifen und schlucke sie mit einem Glas Wasser hinunter in der Hoffnung, dass sie schnell wirkt.
Der gemeinsame Lunch verläuft etwas einsilbig und ich bin meinen Kopfschmerzen sogar ein wenig dankbar, dass ich mich ihretwegen heute schon so früh verabschieden muss und auf diese Weise den fragenden Blicken meiner Mutter entkomme.
Aber ich wünschte mir trotzdem, Saundra wäre nie hier aufgetaucht, denn dann hätte es ein fröhlicher Sonntag werden können wie alle anderen auch.
Kurz nach dem Essen verabschiede ich mich ohne viel Aufhebens, steige in meinen alten Buick Regal und fahre Richtung Philadelphia.
Doch statt zurück zu meiner Wohnung in der der 3417 Spruce Street, die direkt um die Ecke von der Universität liegt, steuere ich das Mütter Museum in der zweiundzwanzigsten Straße an, weil meine Kopfschmerzen etwas besser geworden sind und ich nicht so ganz sinnlos zu Hause herumsitzen will.
Das Museum liegt ebenfalls in der Nähe der Universität, jenseits des Delaware Rivers und ich schaue mir zwar wenig interessiert, aber immerhin etwas abgelenkt von den Gedanken an Saundras überraschenden Besuch, den Nachmittag über alte Knochen an.
Nachdem das Museum um fünf Uhr p.m. schließt, mache ich mich doch auf dem Heimweg, denn auch meine Kopfschmerzen kehren langsam aber stetig wieder zurück.
Ich parke meine alte Schüssel in der Nähe meiner Wohnung und hole mir aus der Pari Le Petit Créperie, die gleich um die Ecke liegt noch etwas Belegtes, denn mein Kühlschrank ist wieder einmal leer wie immer und ich betrete nichtsahnend den Hausflur.
Schon als ich die Treppe nach oben gehe steigt mir ein bekannter Parfumgeruch in die Nase und als ich noch so überlege zu wem er gehört sehe ich sie auch schon auf der letzten Stufe sitzen … Saundra!
Erschrocken bleibe ich einen kurzen Moment stehen und als sie langsam aufstehend meinen Blick einfängt beschließe ich schnell an ihr vorbei zu gehen.
„Matt, bitte! Lass‘ uns reden!“ fleht sie mich mit glitzernden grünen Augen an.
„Ich vermisse dich!“
Doch als ich neben ihr auf der gleichen Stufe stehe drehe ich meinen Kopf nur halb zu ihr hin, so dass ich ihre Augen nicht sehen muss und halte meinen Blick zu Boden gerichtet.
„Lass‘ mich in Ruhe Saundra! Du hast mich doch nie wirklich gewollt! Du hast immer nur ein Spielzeug gebraucht. Das ist mir in unserer letzten Nacht klar geworden und du hast mich mit deiner Ablehnung emotional tief verletzt und das nicht nur mit deiner Peitsche, weißt du das eigentlich?“ sage ich verbittert.
Читать дальше