Red erzählte Kelly nichts, was Kelly nicht schon wußte; bittere Erfahrungen hatten den Beamten im übrigen gelehrt, daß es völlig sinnlos gewesen wäre, Red beim Wort zu nehmen und ihn als Zeugen in einem Prozeß auftreten zu lassen.
Kelly wußte ganz genau, wie und warum Mike Leeson ums Leben gekommen war. Er kannte die Namen der Leute, die den Abtransport der Leiche durchgeführt hatten, genauso wie die Nummer ihres Wagens.
Red hätte wahrscheinlich noch einige Stunden geredet, aber Kelly hatte viel zu tun, und an einseitigen Unterhaltungen, bei denen er nichts Neues erfuhr, lag ihm nicht viel.
»Wollen Sie bei uns bleiben?« fragte er.
Red sah ihn entrüstet an.
»Soll das heißen, daß Sie mich in Schutzhaft nehmen wollen? Ich bin groß genug, um auf mich selber aufzupassen. Nein, ich werde mich um den ganzen Laden hier nicht mehr kümmern. Chicago kann mir gestohlen werden – ich habe in andern Städten genug Freunde, die mir weiterhelfen.«
Als Red wieder auf die Straße trat, wurde er von drei Leuten beobachtet. Aber nur zwei davon waren Polizeibeamte.
»Verliert den Kerl bloß nicht aus den Augen«, hatte der Chef kurz vorher zu ihnen gesagt.
An der nächsten Straßenecke begrüßten zwei Männer freudig Gallway und nahmen ihn in die Mitte.
»Was fällt Ihnen denn ein?« fragte Red, als sie ihm liebenswürdig auf die Schulter schlugen und sich bei ihm einhängten.
»Wenn Sie den Mund aufmachen, knallt's«, erwiderte der eine in herzlichstem Ton und preßte ihm die Mündung einer Pistole in die Seite.
»Sind Sie verrückt, Sie ...!«
Die Beamten, die Red beschatten sollten, waren noch Neulinge. Sie sahen nur, daß zwei gute Freunde Red begrüßten und mit ihm in ein Auto einstiegen. Es fiel ihnen nichts Besseres ein, als schnell ein Taxi zu nehmen, aber noch bevor sie einen Wagen gefunden hatten, war das andere Auto schon abgefahren und außer Sicht.
Red überschaute die Lage nicht sofort. Er war sich nur darüber klar, daß der Mann, der direkt hinter ihm saß, einen harten, kühlen Gegenstand gegen sein Genick drückte. Dabei unterhielt sich dieser Mensch intensiv mit dem Chauffeur über ein Baseball-Match. Die beiden stritten miteinander, ob Südkalifornien oder Columbia gewinnen würde. Der Chauffeur war für Columbia.
»Dafür bin ich auch«, versuchte sich Red ängstlich einzuschalten.
»Halten Sie bloß die Klappe«, entgegnete der Chauffeur. »Ich kann mich nur wundern, daß Sie nicht heiser sind – Sie haben doch wirklich lange genug mit dem Polypen gequatscht! Möchte wissen, wen Sie alles verpfiffen haben.«
»Ich – verpfeifen?« protestierte Red ärgerlich.
Die Pistolenmündung preßte sich unbarmherzig gegen sein Genick.
»Schnauze!«
Sie ließen jetzt die Stadt hinter sich und kamen durch eine verlassene Gegend, in der nur einzelne Baracken standen. Schließlich hielt der Wagen bei einem kleinen Gehölz, das direkt neben der holperigen Straße lag.
»Raus mit Ihnen!« befahl der Mann hinter Red. Gallway gehorchte. Das Kokain wirkte jetzt nicht mehr, und er zitterte am ganzen Körper.
»Was wollen Sie denn eigentlich von mir?« stieß er mühsam hervor. »Ich habe der Polizei bestimmt nichts verraten! Fahren Sie mich sofort zu Tony. Er wird Ihnen sagen ...«
Die beiden nahmen ihn wieder zwischen sich und schleppten ihn in das Gehölz.
»Wollen Sie mich etwa kaltblütig abknallen?« keuchte Red. »Hören Sie doch ...«
Die Sicherung einer Pistole klickte. Gleichzeitig mit dem Schuss fiel Red auf die Knie und schwankte. Er hörte weder den ersten noch den zweiten Knall. Der Mann hinter ihm ließ die Pistole in die Tasche gleiten und steckte sich eine Zigarette an. Seine Hand zitterte nicht im geringsten.
»Los, fahren wir zurück«, sagte er zu seinem Begleiter. Schon als sie am Stadtrand waren, stritten sie sich wieder herum, ob Kalifornien oder Columbia gewinnen würde.
Der Fahrer sah das Polizeiauto als erster. Sowie er das Heulen der Sirene hörte, gab er Gas, daß ihr eigener Wagen einen Satz nach vorn machte.
»Nimm das Maschinengewehr – unter dem Sitz!«
Der Mann neben ihm kroch nach hinten, um seinem Freund zu helfen. Zusammen stießen sie die Mündung durch das hintere Fenster.
»Die beiden Polypen müssen Kelly verständigt und die Beschreibung unseres Wagens durchgegeben haben«, knurrte der Mann, der Red erschossen hatte, und klemmte sich hinter das Maschinengewehr.
Der Polizeiwagen kam näher.
»Los! Gib's ihnen!«
Rat-a-tat-a-tat-a-tat!
Die Windschutzscheibe des anderen Wagens wurde zertrümmert. Er geriet leicht ins Schlingern, fing sich dann aber wieder und folgte ihnen in immer kürzerem Abstand. Die Polizeibeamten erwiderten jetzt das Feuer.
Der Mann am Maschinengewehr stieß einen unartikulierten Laut aus und glitt zu Boden. Der andere packte die Waffe und drückte auf den Abzug. Gleich darauf gab es einen scharfen Knall, das Polizeiauto rutschte quer über die Fahrbahn und kam an einem Laternenmast zum Stehen. Ein Reifen war getroffen worden.
»Sie sitzen fest!« rief der zweite Mann dem Chauffeur zu. »Ab jetzt, Joe!«
Mit einem Blick streifte er die zusammengekrümmte Gestalt am Boden. »Kopfschuss«, knurrte er und kletterte auf seinen Sitz neben dem Fahrer zurück.
Einige Zeit darauf waren sie schon wieder bei ihrem Baseballspiel, während der Tote hinter ihnen von einer Seite zur andern rollte.
1 In den Vereinigten Staaten war es von 1917-1933 verboten, Alkohol herzustellen oder zu verkaufen.
Victor Vinsetti nahm eine recht außergewöhnliche Stellung in der Unterwelt von Chicago ein. Seit zwei Jahren war er der Unterhändler einiger großen Banden, die den Schmuggelbetrieb auf den großen Seen Kanadas aufrechterhielten. Seine Haupttätigkeit bestand außerdem darin, die vielen Streitigkeiten zu schlichten, die für gewöhnlich unter den Geschäftspartnern auszubrechen drohten.
Er sah gut aus und stand in dem Ruf, zu Damen besonders höflich zu sein.
Zu seinem Unglück machte er den Fehler, sich in Kanada mit einer jungen Dame zu verloben, die sich nicht ohne weiteres abschütteln ließ, als er ihrer überdrüssig wurde. Sie verklagte ihn wegen Bruchs des Heiratsversprechens, und obwohl er mit Hilfe eines geschickten Rechtsanwaltes die Sache durch einen Vergleich beizulegen versuchte, wurde er zur Zahlung einer beachtlich großen Schadenersatzsumme verurteilt. Er zahlte, ohne mit der Wimper zu zucken. Viel schlimmer war es für ihn, daß er durch diese Sache seinen Posten als Agent verlor, was ihn um einen großen Teil seiner Einnahmen brachte.
»Skandale liegen mir nicht«, erklärte ihm Tony Perelli, als die Angelegenheit zwischen ihnen zur Sprache kam. »Sie sind in Kanada jetzt bekannt wie ein bunter Hund, und das kann ich begreiflicherweise nicht gebrauchen.«
»Das ist doch unsinnig«, entgegnete Vinsetti, für den allerhand auf dem Spiel stand.
»Möglich. Das ist wenigstens Ihre Ansicht – ich denke anders darüber. Gehen Sie eine Zeitlang nach dem Osten und seien Sie froh, daß ich Ihnen nichts weiter nachtrage.«
Er klopfte Vinsetti liebenswürdig auf die Schulter.
Als er am Abend allein mit Minn Lee zusammensaß, unterhielt er sich eingehend mit ihr über den Vorfall. Sie saßen Seite an Seite auf einer breiten Couch; der Raum war matt erleuchtet vom Schimmer einiger bernsteinfarbiger Lampen.
»Dieser Vinsetti läuft zu sehr den Weibern nach. Unentwegt diese Liebeleien und ähnlicher Unsinn.«
»Ist denn Liebe Unsinn?« fragte sie lächelnd.
Er schmunzelte. »Die Liebe zu dir natürlich nicht! Aber wo in der Welt findet man auch eine solche Frau wie dich?«
Er streichelte vorsichtig ihre kleine Hand und schaute sie zärtlich an; dann ging er zum Klavier und spielte eine Stunde lang. Sie lauschte ihm hingegeben; er war ein hervorragender Pianist. Auch Geigenspielen konnte er virtuos, aber vor allem Klaviermusik war seine Leidenschaft.
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