Fia Payton - Am Ende bleibt das Leben

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Fia ist gerade aus dem Kinderheim in eine eigene Wohnung gezogen und tief in magersüchtigen Gedanken gefangen. Im Laufe des Buches begleiten sie Fia durch ihre Erkenntnisse, wie sie in diese Situation gekommen ist und durch ihre Gedanken und Erlebnisse in dieser Zeit.
"Am Ende bleibt das Leben" ist ein mitreißendes Werk durch die Abgründe einer geschundenen Seele und durch die Gedankenwelt einer Magersüchtigen.

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Ist jetzt nicht so, dass das jetzt irgendwie krank ist. In irgendeiner Weise. Oder psychopathisch. Nein! Natürlich nicht. Ok. Vielleicht bin ich ein bisschen krank. Und auch ein klein wenig psychopathisch. Wegen solchen Weltuntergangsszenariovorstellungen. Ist das ein anerkanntes Wort? Keine Ahnung. Aber was solls.

Ich glaube mich hat auch nie jemand anerkannt. Als Mensch. Aber ich existiere trotzdem. Und zum größten Teil bin ich auch ein Mensch. Behaupte ich jetzt mal. Der andere 1% - ige Teil ist irgendwas zwischen Monster, Alien, Elfe ( einfach nur weil ich Elfen mag ) und irgendwas undefinierbaren. Eben einfach ich. Unanerkannt.

Aber ich werde die Menschen dazu bringen mich anzuerkennen. Als Mensch. Als Respekts- und Autoritätsperson. Ich will, dass irgendwann einmal Menschen tun müssen, was ich sage. Nicht alle natürlich. Das mit dem zweiten Hitler war schließlich nicht auf mich bezogen. Nur ein kleiner Teil. Selbst eine Firma ist vielleicht etwas zu groß gedacht. Aber vielleicht wenigsten eine Abteilung. Oder ein Standort. Ich will irgendwann mal die beschissene Chefin sein, die alle hassen. 100% Hollywood Klischee. 100% Menschenverachtend und herrschsüchtig. 100% perfekt. Perfekt geschminkt, perfekt gekleidet, perfekte Frisur, perfekte Wortwahl und perfekte Figur. Natürlich. Sonst würde Ana ja ausflippen.

Aber nein! Halt! In meiner perfekten Welt hat Ana ja dann nichts mehr zu suchen. Denn wie schon bemerkt hat sie ja keine Ahnung von Perfektion. Dafür aber von Zweifeln, Verzweiflung und Zweifelhaftigkeit. Und dafür ist ja in meiner unzweifelhaften Perfektion dann kein Platz mehr. Genauso wie für alles andere imperfekte an mir. Keine Klingen mehr. Gesundes Essen (das ich dann aber natürlich auch zu mir nehme ). Nie mehr eine unaufgeräumte Wohnung. Nie mehr fettige Haare, verschmiertes Make Up oder nicht strahlend weiße Zähne. Keine Unsicherheiten, Stammler, Verhaspler oder sonst was mehr. Am besten, ich werd ein komplett anderer Mensch, denn wenn ich das alles bin, bin ich sowieso schon soweit von mir entfernt, dass mich wahrscheinlich nicht mal mehr meine Mutter erkennt. Und wo wir gerade dabei sind, wie wärs mit neuen Eltern? Oder halt, nein lieber gar keine Eltern. Und keine Freunde. Und keine Familie.

"Tut mir leid Schatz, ich mach Schluss! Du bist mir einfach zu imperfekt, das passt jetzt nicht mehr zu mir in meine vollkommen perfekte Perfektion."

Oh Gott, für diesen Satz würde ich mich so sehr selbst verabscheuen, dass ich allein dafür vor den Zug springen müsste.

Denn das ist meine neue Lieblingsselbstmordmethode. Denn ich brauche mich ja jetzt nicht mehr um das Seelenheil des Zugfahrers sorgen. Ich bin ja jetzt keine Altenpflegerin mehr. Ich bin ja jetzt nicht mehr sozial. Ich werde, ja jetzt genau so ein Arschlochmensch wie Miranda Priestly in der Teufel trägt Prada. Ohne Privatleben, Freunde und Familie, dafür aber mit mehr Geld, als ich jemals ausgeben kann und genug Macht um jeden zum Wurm zu machen, den ich grad nicht leiden kann. Oder nie leiden konnte. Das könnt ihr euch jetzt aussuchen. Aber bin das wirklich noch ich? Nicht wirklich. Nicht im Geringsten.... Aber egal!

Wer will schon freiwillig ich sein. Der möge mich jetzt bitte anrufen. Ich hab da ein Leben zu verschenken. Kommt schon, ich will nicht mal Geld dafür.... Aber selbst wenn ich noch eine Million Euro dazu bekommen würde, würde ich mein Leben nicht annehmen. Nie wieder. Wozu auch. Wenn Perfektion die andere Möglichkeit ist.

Wer würde schon Macht, Geld und Perfektion (Ja gut und einen Schuss Einsamkeit und den Verzicht auf Freizeit....pffff.... ) eintauschen gegen Ana, regelmäßige Blutbäder, ein Durchschnittsjob mit Durchschnittsgehalt und Durchschnittsfreizeitgestaltung (ist ja gut! Und eine Familie, Freunde und einen Mann an meiner Seite der mich wirklich liebt...tsss....)? Also ich jetzt nicht. Naja vielleicht ein bisschen. Oder nur einen Teil. Den in Klammern. Aber man kann sich eben nicht immer nur die Rosinchen raussuchen. Hat meine Mutter schon immer gesagt. Und das Leben ist kein Ponyhof. Hat sie auch gesagt. Sonst wär ich nämlich das Fillypferdchen mit der beschissenen Swarowskisteinchenkrone. Hab ich gesagt. Natürlich wortlos. Sonst hätte sie mich wahrscheinlich für total bekloppt gehalten. Also noch bekloppter als sie es sowieso schon immer getan hat. Glaube ich. Aber das sag ich jetzt mal einfach so.

Ich bin Pessimist! Ich darf das! Ich bin mir sowieso ziemlich sicher, dass Pessimisten definitiv näher an der Realität sind als Optimisten. Stellt euch doch mal vor, man setzt erst einen Realisten und einen Pessimisten zusammen an einen Tisch und dann einen Realisten und einen Optimisten. Realist und Optimist werden sich im besten Fall nach 15 Minuten ignorieren und mit ihren Blicken vernichten. Im schlimmsten Fall gegenseitig umbringen. Die Chance, dass der Optimist die Meinung des Realisten annimmt ist verschwindend gering, denn ihre Ansichten sind so grundverschieden, dass er es schaffen müsste in 15 Minuten seine komplette Weltanschauung umzukrempeln.

Da hat man beim Pessimisten schon bessere Chancen. Denn der muss sich eigentlich nur davon überzeugen lassen, dass die unausweichliche Zukunft, in der wir uns alle gegenseitig selbstzerstören werden, zwar auch morgen sein kann, aber genauso gut auch erst in 5, 10 oder 20 Jahren. Eigentlich sind sich nämlich beide einig, dass sie das Ende dieser Welt noch miterleben werden, vorausgesetzt dem Fall sie sterben nicht vorzeitig an irgendeiner Seuche, tödlichen Krankheit, Unfall, Mord oder sonst welchen Umwelteinflüssen.

Ja, meine Damen und Herren, das ist die Realität. Vielleicht habe ich Unrecht, aber davon werde ich erst überzeugt sein, wenn ich mit 90 Jahren auf dem Sterbebett liege und wir uns nicht im atomaren Krieg befinden (und ein Atombombenabwurf meinen Sterbeprozess etwas verkürzen könnte).

Ana hebt zweifelnd eine Braue. Das kann sie gut.

"Du wirst niemals perfekt sein, wenn du fett wie eine Tonne durch die Gegend watschelst. Und willst du wirklich 90 Jahre alt werden? Und alt, hässlich und verschrumpelt sein?"

"Also erstens: 49kg nenne ich ja jetzt mal nicht fett wie eine Tonne. Und zweitens: Ja, in meinem perfekten Leben kann ich ganz locker, entspannt und perfekt 90 Jahre alt werden."

"Schätzchen, du wirst niemals perfekt sein! NIEMALS! Und schon gar nicht mit 49kg. Das sind noch mindestens 9kg zu viel. Und du hast bei deinen ganzen Überlegungen auch nicht bedacht, dass du niemals wirst aufhören können dich bluten zu lassen. Und mit Armen und Beinen wie ein Zebra bist du ja wohl kaum perfekt, oder? Eine Miranda Priestley mit zerschnittenen Armen..... Sehr authentisch. Du. Wirst. Niemals. Perfekt. Sein!!!!! Kapier es doch endlich!"

"Und drittens: DU KANNST MICH MAL, DU EKLIGES FETTES VIEH!!!!"

"Sprach die 20kg schwerere von uns..." giftet Ana mit hasserfülltem Blick zurück.

"Ach halt doch den Mund. Ich bin wenigstens gesund!"

Ich hab noch nie in meinem ganzen Leben eine größere Lüge erzählt als diese. Ana schaut mich mit riesigen Augen an. Aller Hass ist verschwunden. Und im selben Moment fangen wir beide an lauthals zu lachen. Und zu lachen. Und zu lachen. Irgendwann hört sie auf. Und ich auch. Ana sieht mich immer noch an.

"Du hättest nichts essen dürfen."

"Ich weiß. Es tut mir leid!"

"Die nächsten drei Tage darfst du nicht essen. Dann wird es dir wieder besser gehen." sagt sie mit liebevoller Stimme.

"Ich weiß. Ich werde nichts essen."

"Dann werden wir beide wieder stolz auf dich sein. Und du musst spazieren gehen. Mindestens eine Stunde am Tag. Jeden Tag. Das tut dir gut."

"Mach ich. Auf jeden Fall. Ana? Hast du mich noch gern?"

"Solange du auf mich hörst und nicht isst und Sport machst."

"Dann hast du mich gern?"

"Ja. Klar!"

"Gut. Dann können wir ja jetzt wieder Freunde sein, oder?"

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