Mir bereitet es immer wieder Freude, auf ihnen zu experimentieren. Und mein Partner Georg ist in diesem Sinne sowieso ein großes Kind. Er hämmert wie besessen auf den Basalt-Fächer von K.-J. Dierkes ein. Warum erinnert mich mein Partner nur an eine Figur aus der Muppet Show ? Und zwar an den Schlagzeuger - Das Tier- ? Allerdings hatte der viel mehr Haare auf den Kopf.
Nur Jo sträubt sich am Anfang, lässt sich aber dann doch von unserer ausgelassenen Art schnell mitreißen. Am meisten hat es ihr das Klanggeländer an der Treppe zwischen dem ehemaligen Rosengarten, dem jetzigen KlangStelenKlan-Bereich, und dem Teich angetan. Es wurde von dem in Kassel ansässigen Künstler Werner Redeker ersonnen. Immer wieder rennt Jo die Treppen hoch und runter und schlägt mit einem Stock über die Geländersprossen.

Die hellen, klaren Töne scheinen durch den gesamten Park zu schweben. Allerdings ergeben sie zusammen mit Georgs hemmungslosen Getrommel und meinen aberwitzigen Versuchen zu musizieren, eine absurde Kakofonie des Grauens. Hoffentlich holt niemand die Polizei wegen groben Unfugs.
Aber all das ist mir egal, als ich bemerke, wie sich Jo' s Augen langsam wieder aufhellen. So verspielt habe ich sie noch nie gesehen. Endlich kommt sie wieder etwas aus ihrem selbsterwählten Schneckenhaus heraus.
Wieder im Büro angekommen, finden wir den vorläufigen Autopsiebericht von Dr. Truber auf meinem Schreibtisch vor. So schnell und gründlich wie immer. Auf Heinz ist eben Verlass! Die Todesursache war ohne Zweifel ein harter Schlag auf den Hinterkopf. Dies war zu erwarten. Interessanter, aber auch umso merkwürdiger, sind dutzende andere Schlagmale quer über den gesamten Körper. Sie waren allesamt sehr brutal und nach Aussage von Dr. Truber, sicherlich extrem schmerzhaft für das gequälte Opfer. Es wurden dabei sogar einige Rippen angebrochen. Außerdem, und dies ist noch unerklärlicher, waren auch mehrere Finger brutal zertrümmert worden und mehrere Zähne ausgeschlagen.
Dr. Truber schlägt zwei mögliche Begründungen für die vorgefundenen Spuren vor. Entweder zügellose Raserei, so eine Art von ekstatischem Blutrausch. Warum muss ich mir hierbei einen Vampir vorstellen? Oder aber eine Art von Folter. Aber warum sollte der ärmste Herr Doktor so grausam gequält werden. Beides ergibt für einen Einbruch keinen Sinn. Damit hat der Bericht diesmal leider mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Aber den Mörder zu finden, ist auch nicht Aufgabe eines Gerichtsmediziners. Auch wenn dies in etlichen Fernsehserien so dargestellt wird.
Nach einer kurzen, aber fruchtlosen Diskussion schauen wir uns die Überwachungsvideos des Pfandleihhauses auf einem unserer Monitore an. Mehr als vier eintönige Stunden über den Alltag in einem Pfandleihhaus stehen uns bevor. Noch tausendmal langweiliger als die meisten sogenannten Realityshows im Fernsehen.
„Könnt ihr das nicht einfach schneller vorspielen?“, fragt Jo nach. Ein erneutes Lebenszeichen von ihr und eine gute Idee. Also beschleunigen wir auf die doppelte Abspielgeschwindigkeit. Somit nur noch zwei Stunden, aber dafür wimmelt es umso hektischer auf dem kleinen Bildschirm.
„Schneller“, schnaubt Jo.
„Ich erkenne jetzt schon fast nichts mehr. Ein alter Mann wie ich ist doch kein D-Zug.“, bekennt Georg ehrlich. „Und ein ICE oder gar Transrapid, auch wenn er mit Kassel in direktem Zusammenhang steht, schon gar nicht.“
„Wir dürfen schließlich nichts verpassen“, unterstütze ich meinen Partner.
„Lass mich mal ran.“ Und schon übernimmt Jo den Computer und ehe wir uns versehen, läuft der Film mit sechzehnfacher Geschwindigkeit ab. Ich erkenne nur noch verwischte Schlieren und eine gewisse Übelkeit steigt in meinen Eingeweiden auf. Auch Georg muss den Blick schnell abwenden. Nur Jo schaut wie hypnotisiert auf den Monitor. Kann sie hier überhaupt noch Einzelheiten erkennen?
Für Normalsterbliche und Erdenbürger ist dies garantiert absolut unmöglich! Und woran will sie den Typ überhaupt erkennen? Ihn identifizieren? Wir haben überhaupt keine Anhaltspunkte, weder sein Aussehen noch seine Kleidung. Das alles erscheint mir schlicht unmöglich. An Georgs resigniertem Blick erkenne ich, dass er derselben Meinung ist. Niemals wird sie ihn auf diese absurde Weise finden und erkennen können.
„Da ist er!“, erklärt Jo bereits fünf Minuten später mit einem Hauch von Stolz in der Stimme. Wenn sie es tatsächlich geschafft haben sollte, den Typen zu erkennen, kann sie auch stolz sein. Wir blicken alle gebannt auf das Standbild. Ein Mann mittleren Alters steht am Tresen, während etwa ein Dutzend andere Personen im Raum herumwuseln.
„Wieso soll das unser Mann sein?“, frage ich irritiert. Was habe ich hier nicht mitbekommen?
„Seht ihr nicht den Laptop in seiner Hand?“, fragt uns Jo selbstbewusst.
„Ja, schon. Aber bereits am Anfang von diesem Video haben andere Personen ebenfalls Laptops abgegeben. Vielfach! Das kann kein Kriterium für die Überführung des Verkäufers von dem besagten Laptop sein!“, wage ich vorsichtig einzuwenden.
„Das scheint sogar in diesem komischen Laden ganz normal zu sein. Und die Seriennummer kannst selbst du bestimmt nicht erkennen. Auch wenn du ein paar wenige Jahre jünger bist als wir beide!“, stichelt Georg ein wenig.
„Das nicht. Aber seht ihr, wie der Ladenbesitzer die junge, blonde Frau mit den großen … Augen anschmachtet, während er das Geschäft abwickelt?“
„Ihre prallen … Augen sind aber wirklich fantastisch. Einfach überwältigend! Sind die echt? Wahnsinn!“, stimmt mein ehrenwerter Partner, dieser unverbesserliche Schwerenöter, zu. Und ich hatte gehofft, dass er im Alter ein wenig ruhiger wird. Aber genau das Gegenteil scheint der Fall zu sein. „Je oller, je doller!“, würde er jetzt wahrscheinlich von sich sagen.
„Georg, wende bitte deinen Blick von ihren … Augen ab. Es ist doch wirklich ganz egal, ob sie große Augen, Ohren, Füße oder sonst etwas hat“, versuche ich seine Gedanken wieder auf das Wesentliche zu richten.
„Große - sonst was- ist gut!“, grinst er mich allerdings nur breit an. Der Versuch ging nach hinten los. Anscheinend habe ich in all den Jahren noch immer nicht gelernt, meinen Freund einzuschätzen oder gar in den Griff zu bekommen.
„Ihr beide seid schrecklich! Schaut den Frauen nur auf die … Augen oder … sonst was“, kritisiert uns Jo. Sie hat ja recht. Aber dann fährt sie fort: „Aber in diesem Fall stellt die Tussi ihre großen … Augen wirklich zu sehr zur Schau. Wer´s nötig hat. Aber dabei hat sie tatsächlich schöne Augen, falls es einem von euch Männern aufgefallen sein sollte.“
„Konzentriere dich einfach auf den potthässlichen Typen am Tresen“, versuche auch ich meinen Partner wieder einzufangen. „Auf den, der den vermeintlich geraubten Laptop verhökern will. Auch wenn es dir schwerfällt. Irgendwie kommt er mir bekannt vor. Oder was meinst du dazu, mein Freund?“
Kaum schaut er den jungen Mann an, verfliegt sein freches, lüsternes Grinsen. „Ist das nicht der Seppl?“, antwortet er bereits wenige Sekunden später.
„Wer ist denn Seppl? Der Partner vom Kasperle? Und spielt die Hexe auch mit? Oder der Räuber Hotzenplotz? Ist der Räuber Hotzenplotz unser Dieb? Das wäre mal eine irre Pressemeldung. - Der Räuber Hotzenplotz und die böse Hexe brechen in Wohnungen ein -“, legt Jo nach. Der alte Schelm, beziehungsweise in ihrem Fall die junge Schelmin, kommt endlich wieder zum Vorschein.
„Eigentlich ist sein Name Sepp“, antwortet Georg so sachlich wie möglich. Auch er, genau wie ich, muss sich ein lautes Lachen verkneifen.
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