Inhaltsverzeichnis
Berlin Zyankali 1 Berlin Zyankali
1 - Zoller 1
2 - Katharina. 8
3 – Die Pension. 10
4 - Pension zum Zweiten. 14
5 – Hausers Geheimnis. 17
6 – Von oben betrachtet 20
7 – Der Notar 22
8 - Kriminalistik. 25
9 - Husky. 29
10 – Das Zyankali 34
11 - Kaffeedurst 38
12 – Bella Italia. 44
13 – Im KaDeWe. 51
14 – Bahnhof Zoo. 54
15 – weibliche Logik. 60
16 – Frühstück mit Zyankali 64
17- Der Professor 72
18 - Franky. 75
19- Ein Unfall und die Folgen. 83
20- Der Handel blüht 89
21- Die Schlinge zieht sich zu. 95
22 - Panama Obligado. 99
23 – Karneval der Kulturen. 103
24 – Kreuzberger Finale. 106
Berlin Zyankali
Das Geraune nahm zu. Die Gruppe Polizisten geriet in Bewegung und steuerte auf ein Ziel zu. Das Stimmengewirr wurde lauter, man hörte einzelne Rufe, es entstand ein allgemeines Gejohle und Getöse, aus dem Verbund hoben sich einzelne Arme und bald hörte man den einstimmigen, skandierten Ruf: „Zoller, Zoller, Zoller!“
Der so Gerufene ging bedächtig auf eine seltsame Gerätschaft zu. Er war einer der wenigen, der Zivil trug, schwarzes Hemd und schwarze Hose, darüber ein lockeres hellbeiges Jackett. Die Meisten hatten hier, im Hof des Berliner Polizeiausbildungsplatzes ihre Uniformjacken und Mützen abgelegt, der warme Mai-Abend und die gute Stimmung luden dazu ein. Die sich langsam senkende Sonne blitzte und reflektierte auf dem Rettungssimulator: Ein Polizeifahrzeug war derart in eine Apparatur eingespannt, dass man es 360° um die Längsachse drehen und es in jeder beliebigen Seitenlage, auch auf dem Kopfe stehend, arretieren konnte. Es diente zur Übung, wie man sich aus einem verunfallten Auto befreien konnte.
Hauptkommissar Hartwig Zoller war nicht –wie die anderen- für eine Übung an oder besser in diesem Gerät vorgesehen, er wollte lediglich auf seinem Weg in den Spätdienst einen Kollegen abholen.
Als man ihn entdeckt hatte, zündete sofort die Idee, ihn, den derzeit Ranghöchsten, in diesem fürchterlichen Gerät zu sehen, ihn zu beobachten bei seinen quälenden Versuchen, sich aus den Gurten zu befreien und aus dem Auto zu schlängeln.
Zoller versuchte sich zu erinnern, wie es damals war, als er das letzte Mal diese Übung absolviert hatte, an was zu denken, was zu vermeiden war. Doch schon hatte man ihn zum Auto gedrängt und ihm wurde heiß.
Er hatte für seine sechsundvierzig Jahre einen gut trainierten Körper zu bieten, ging gerade noch als schlank durch und selbst mit seinen kurzgeschnittenen, leicht angegrauten Haaren nahm man ihm den Mittdreißiger ab. Er galt als cool, weil selten die Pferde mit ihm durchgingen, man brachte ihm Achtung entgegen, da er nicht vorschnell zu urteilen pflegte und seine Maßstäbe den Situationen anzupassen in der Lage war.
Er blieb kurz vor der Maschinerie stehen, drehte sich zu seinen johlenden Kollegen um, hob die Hand und wartete, bis es still war. Dann sagte er: „Ich weiß, was ihr wollt. Gut, ihr sollt es haben!“ Das Zuschlagen der Tür schnitt den Applaus mit einem Schlage ab. Der Instrukteur war auf dem Beifahrersitz zugestiegen und bediente die Mechanik. Als der Wagen sich langsam zu drehen begann, hörten sie das Gejohle aufs neue und als der Wagen kopfüber stehen blieb und das Blut in die Köpfe der beiden Insassen schoss, brauste ein ungeheures Freudengeheul durch die geschlossenen Fenster. Dem Hauptkommissar im Inneren des Autos war durchaus nicht freudig zumute. Er hatte vergessen, wie die Drehung um die eigene Achse selbst einen gestandenen Seemann umwerfen konnte und rang mit dem Würgegefühl. Die zerrenden Gurte rissen grausam an seinem Schlüsselbein.
In diesem Moment ging sein Handy. Es spielte den Flohwalzer und steckte, von den Sicherheitsgurten gefesselt, unerreichbar in seiner Hosentasche. Er wechselte einen Blick mit dem Trainingsleiter, der wie er, kopfüber auf dem Beifahrersitz hing und rief gegen das Geschrei von draußen ihm zu: „Mein Chef!“ Worauf der Trainingsleiter zurückrief, ob er den Wagen aufrichten solle. „Nein!“, wehrte Zoller ab, „sagen Sie mir nur, wie ich an das Handy kommen kann.“
Den Kollegen, die draußen im Halbkreis um die Apparatur immer noch riefen und johlten, bot sich folgendes Bild: Der Hauptkommissar im Wagen stützte sich mit einer Hand über dem Kopf nach unten ab, entledigte sich des Gurtes, was einen Ruck durch den Wagen gehen ließ, stocherte in seiner Hosentasche und nahm dann langsam ein Handy ans Ohr. Das Gejohle steigerte sich. Der Trainingsleiter hatte sich in der Zwischenzeit befreit und war aus dem Wagen gesprungen, um dem Kommissar beim Aussteigen behilflich zu sein. Dieser rutschte hinter dem Lenkrad hervor, die Knie über dem Kopf gewinkelt, wand sich auf dem Innendach mit den Ellenbogen voran, bis er die Hand des Trainers erfassen konnte und zog sich hoch. Applaus ertönte, Zoller strich sich sein Jackett glatt, steckte das Handy in die Innentasche und ging langsam und nur für Leute, die ihn kannten, leicht hinkend auf seinen Kollegen Wanzke zu. Wanzke öffnete seinen Mund, aber Zoller schnitt ihm das Wort ab: „Los, zum Wagen. Anruf vom Chef, habe kein Wort verstanden. Fritz, tu mir den Gefallen und fahre du. Und bitte, gehe ganz langsam zum Wagen!“ Als sie eingestiegen waren und er sich den Sitz und die Rückspiegel richtete, hörte Wanzke seinen Vorgesetzten fluchen: „Verflixt und Doria! Meine Knie! Beim Losmachen des Gurtes!“ Er überließ es Wanzke, sich auszumalen, was im Wageninneren passiert war, holte das Handy aus der Tasche und während sie Richtung Dienststelle aufbrachen, telefonierte er mit Kriminaldirektor Hammann.
Wanzke schloss aus dem Wenigen, was er vom Zuhören vernahm, dass es sich um einen Einsatz handeln musste. „Kreuzberg, Großbeerenstraße!“, rief Zoller kurz angebunden, „ohne Sirene!“ Wanzke führte die Wortkargheit seines Kollegen auf dessen Schmerzen im Knie zurück. Und richtig, nach einem halben Kilometer kam ein nächstes Bruchstück: „Ungeklärter Tod in Pension.“ Und einen halben Kilometer weiter hieß es „Die Kollegen vom VB1 sind schon dort.“ Bei VB1 handelte es sich um die hiesige Bezeichnung für das Kripo-Team der Verbrechensbekämpfung, doch sobald Verdacht auf gewaltsamen Tod oder Mord steht, kommt die Mordkommission des LKA zum Einsatz und genau solch einen fuhren sie jetzt.
Sie befanden sich gerade auf der Bismarckstrasse in Charlottenburg und Zoller genoss den Blick abwärts, die Strasse des 17. Juni entlang auf die Siegessäule mit der Goldelse, die erst 1939 von ihrem ursprünglichen Standort zwischen Reichstag und Krolloper auf den Großen Stern verbracht und um das letzte Teilstück verlängert wurde. Es sollte der erste und letzte Schritt sein, den ein größenwahnsinniger, sich Führer nennender Despot zur Umbildung von Berlin in die ‚Reichshauptstadt Germania’ tat. Weit hinter der Siegessäule prangte das Brandenburger Tor und dahinter wiederum leuchtete das Rote Rathaus in einer Flucht.
Links davon glänzte der Fernsehturm am Alexanderplatz in der untergehenden Sonne. Da sie es eilig hatten, bog Wanzke an der Siegessäule rechts ab und fuhr am Landwehrkanal entlang bis Möckernstraße, machte dann die Schniepe Wartenburg- zur Großbeerenstraße. Zoller hatte bis hierher geschwiegen, wie er es während der Fahrten meist tat, um den Fahrer nicht abzulenken, vielleicht aber auch, um mit seinem schmerzenden Knie ins Reine zu kommen. Jetzt aber sagte er: „Rechts ab, und linker Hand ist die Pension. Sie hielten verkehrswidrig in der Einfahrt neben einem roten Porsche. „Ah, unser Doktor Nimrod hat Dienst“, sagte Zoller beim Aussteigen. Wanzke wusste sofort, was das zu bedeuten hatte: Doktor Nimrod gehörte zu den gefürchteten wie geachteten Ärzten, die sich der Polizei-Bereitschaft zur Verfügung stellten. Auf der anderen Straßenseite stand in zweiter Reihe der ‚Mordbus’ der Mordkommission, ein mit allen zur Spurensuche notwendigen Requisiten ausgestatteter Kleinbus des Tatorttrupps.
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