Wenn nun Christi Leib „mündlich“ empfangen wird, so wird Gottes Leib „mündlich“ empfangen, aber nicht unvermittelt, sondern durch das Wort. Ebenso wird nicht Jesu Blut getrunken, sondern der Bund Gottes geschmeckt, dessen Bedeutung im Wort gegeben wird.
Nach meinem Eindruck ist also die Realpräsenz Christi nicht auf das genus maiestaticum festgelegt. Es ist der Geist, der auch vom Sohn ausgeht und deshalb der Geist Christi ist, der im Abendmahl anwesend ist und in Brot und Wein geschmeckt wird. Anstelle der Übereignung der göttlichen Eigenschaften auf die menschliche Natur kann eine trinitätstheologische Antwort gegeben werden, wie der Leib Christi im Abendmahl präsent ist. Wird dagegen am genus maiestaticum festgehalten, so muss ein ontologisches Zwischenstück zwischen beiden Naturen gefunden werden, das beide vermittelt, ohne dass sie fusionieren. Dieses ontologische Zwischenstück habe ich in der Konkordienformel mit dem Begriff der Knechtsgestalt ausgemacht. Die Knechtsgestalt muss dabei keine eigene Natur oder Kategorie sein, wohl aber etwas ontologisch Eigenes. In meiner Weiterinterpretation ist sie ein geschichtlicher Effekt der Gemeinschaft beider Naturen. Weil die menschliche Natur nicht sterblich und unsterblich zugleich sein kann, ereignet sich unter geschichtlichen Bedingungen die Knechtsgestalt als die Darstellung dieses Widerspruchs. Gerade darin liegt die Knechtsgestalt, dass sich Christus unter irdischen Bedingungen nicht entfalten kann als der, der er ist. In seiner Erhöhung dagegen ist der Widerspruch aufgelöst, dass die erhöhte menschliche Natur unsterblich ist, obwohl sie gestorben ist. Die Eigenschaften der menschlichen Natur sind zwar vergangen, aber dennoch geschehen. Sie werden nicht dadurch rückgängig gemacht, dass die menschliche Natur nun vollständig von den übereigneten Eigenschaften der göttlichen Natur Gebrauch macht.
Abschließend möchte ich den Erklärungswert einer Communicatio Idiomatum überhaupt untersuchen, also vor allem in den beiden Genera, die zwischen Lutheranern und Reformierten unumstritten sind. Das Chalcedonense hat die Aufgabe umrissen, wie die Einheit Christi in seinen zwei Naturen zu bestimmen ist, ohne diese Aufgabe selbst übernommen zu haben. Erfüllt die Lehre von der Communicatio Idiomatum die Anforderungen des Chalcedonense? Und ist sie ontologisch adäquat? Die Communicatio Idiomatum ist der Versuch, der Personalunion der zwei Naturen gerecht zu werden und beide Naturen dabei unvermischt und ungetrennt sein zu lassen. Das Anliegen von Chalcedon ist damit sichtbar aufgegriffen worden. Die beiden unumstrittenen Genera finden jeweils in der Person das Integral der beiden Naturen. Nur beim genus maiestaticum wird dieser Weg durchbrochen. Schon darum wirkt es wie ein Fremdkörper in die Lehre der Communicatio Idiomatum.
Fraglich ist allerdings, ob die Communicatio Idiomatum mehr sein kann als eine bloße Zuschreibung von Eigenschaften im Sinne einer Sprachregelung. Oder verbindet sie auch einen ontologischen Anspruch? Beim genus maiestaticum haben wir gesehen, dass ontologische Interessen dabei leitend waren, es zu vertreten oder zurückzuweisen. Ist das auch bei den anderen Genera der Fall? Sowohl das genus idiomaticum als auch das genus apotelesmaticum schreiben den Naturen Eigenschaften zu, während sie zugleich zurückweisen, dass die Naturen diese Eigenschaften besitzen. Sie haben sie nur vermittelt über die Personeinheit. Die göttliche Natur kann nicht leiden, hat aber vermittelt über die Person Christi gelitten. Wird hier nicht ein Widerspruch vertreten, sobald ein ontologischer Anspruch vertreten wird? Als bloße Zuschreibung (1028) oder gar als hermeneutische Regel für das Verständnis biblischer Texte mag sich eine solche Paradoxie noch eignen. [44]Man müsste sich aber dann zugleich der Sache nach enthalten oder sogar inhaltliche Gehalte ontologisch zurückweisen, die hermeneutisch empfohlen werden.
Immerhin beziehen sich hermeneutische Regeln insofern auf ontologische Sachverhalte, als sie festlegen, wie etwas nicht gemeint ist. Die Communicatio Idiomatum legt hermeneutisch den ontologischen Anspruch fest, dass die beiden Naturen in Christus zu keinem Zeitpunkt seit seiner Zeugung getrennt voneinander wirken. Das Wirken einer Natur mit ihren spezifischen Eigenschaften auf die Person Christi hat immer auch Folgen für die andere Natur, weil beide persönlich miteinander verbunden sind.
Was die Communicatio Idiomatum aber offen lässt, ist die Frage, ob diese Folgen persönlicher oder natürlicher Art sind. Um diesen Unterschied zu verdeutlichen, soll das folgende Beispiel herangezogen werden: Ich kann meine Arme heben, aber nicht meine Leber. Beide haben also verschiedene Eigenschaften und sind insofern von unterschiedlicher Natur. Diese Körperteile sind aber persönlich miteinander verbunden, so dass das Wirken des einen Körperteils vermittelt über die Personeinheit auch Folgen für das andere Körperteil hat. Das Heben der Arme muss keine natürlichen Konsequenzen für die Leber haben. Wenn aber die Leber so schwer erkrankt ist, dass ich daran sterbe, dann können sich auch meine Arme nicht mehr heben. Das Wirken der Leber hat in diesem Fall also natürliche Konsequenzen für die Arme. – Umgekehrt können meine Armbewegungen aus persönlichen Gründen vollzogen werden: Ich melde mich etwa, um mich mitzuteilen, oder ich hantiere mit den Armen, um eine Handlung auszuführen, die nur für meine Person Sinn macht, nicht aber für meine Arme. In diesem Fall hat die Armbewegung persönliche Folgen für meine Leber: Meine Armbewegung verändert etwa meinen persönlichen oder sozialen Status: Ich werde drangenommen, wenn ich mich melde, oder aufgrund meiner Armbewegung erfahre ich Anerkennung. Die Leber hat die Handlung zwar nicht ausgeführt, aber die persönliche Äußerung und die Konsequenzen, die sie nach sich zieht, beziehen meine Gesamtintegration ein, zu der auch meine Leber gehört. Diese persönliche Gesamtintegration wird aber vermittelt über Ziele und Mittel, die über beide Körperteile hinausgehen und von ihnen nicht einmal erfasst werden. –
Entsprechend könnte die göttliche oder die menschliche Natur durch das Wirken der jeweils anderen entweder natürlich oder auch persönlich getroffen werden. Eine natürliche Konsequenz für die andere Natur liegt dann vor, wenn die Existenz der Person durch das Wirken einer Natur stabilisiert oder gefährdet wird. Bei Jesus hätte dies allenfalls bei der Zeugung, Lebenserhaltung oder bei seinem Tod der Fall sein können. [45]Denn das natürliche Wirken einer Natur, die nur das natürliche Sosein der Person betrifft, hat nicht einmal vermittelt über die Personeneinheit Einfluss auf die andere Natur: Ein regelmäßiges Hanteltraining muss keinen Einfluss auf die Eigenschaften der Leber haben [46], eine falsche Handbewegung im Straßenverkehr kann dagegen lebensgefährlich sein und damit auch die Leber zerstören. Dies gilt erst recht für das Verhältnis der beiden Naturen Christi, die ausschließlich vermittelt über die Personeneinheit miteinander verbunden sind, ohne sich in ihren Eigenschaften zu beeinflussen – mit Ausnahme des strittigen genus maiestaticum, das ich hier ausklammere. Nun gilt aber, dass die Person Christi mit der zweiten Person der Trinität identisch ist und folglich schon vor Annahme der menschlichen Natur ewig existiert. Dadurch ist die menschliche Natur von ihrem Beginn an durch das Wirken der göttlichen Natur beeinflusst. Ihre Existenz ist aufgrund der Personeneinheit zu keinem Zeitpunkt unabhängig vom Wirken der göttlichen Natur gewesen. Welche Konsequenz aber hat der Tod Christi für die göttliche Natur? Zwar kann die göttliche Natur nicht sterben, aber die zweite Person der Trinität ist sterblich. (Sonst wäre sein Tod nur scheinbar gewesen, wie es der Doketismus vertritt.) Mit dem Tod der Person Christi zerbricht folglich das Integral der beiden Naturen: Die göttliche Natur ist zwar weiterhin „an sich“ unsterblich – so wie auch die Leber bei einem Verkehrsunfall im „an sich“ gesunden Zustand sterben kann –, aber sie verliert ihren Bezug zu derjenigen Person, auf die sie sich richten soll. Die göttliche Natur wird also in ihren Eigenschaften von der menschlichen Natur nicht gemindert. Und doch hat der Tod durch die menschliche Natur auch natürliche Konsequenzen für die göttliche Natur.
Читать дальше