»Warum eigentlich nicht? Ich habe Sie nie als Konkurrentin oder gar Feindin angesehen und Tina auch geliebt.«
»Deshalb haben Sie auch Herrn Lange den Vorzug gegeben …«
»Als ich mit Tina zusammen war, konnte ich mir noch nicht vorstellen, jemals verheiratet zu sein. Wir haben beide unsere Freiheit genossen. Abgesehen davon wird eine gleichgeschlechtliche Ehe frühestens im Oktober dieses Jahres möglich sein. Und eine eingetragene Lebenspartnerschaft kam weder für Tina noch für mich infrage. Als ich dann überraschend schwanger wurde, war für mich klar, dass mein Kind nicht ohne Vater aufwachsen sollte.«
»Sie sind mir keine Rechenschaft über ihr Privatleben schuldig. Aber Tatsache ist, dass Tina sehr an Ihnen gehangen und nie schlecht über Sie gesprochen hat. Sie konnte nur nicht den Wechsel auf die „andere Seite“ verstehen.«
»Ich selbst kaum, denn ich bin schon immer zweigleisig gefahren. Aber mit Hinnerk hat es sich richtig angefühlt. Ich habe meinen Entschluss nie bereut.«
»Seien Sie mir nicht böse, aber das nehme ich Ihnen nicht ab. Sonst hätten Sie sich wohl kaum von Herrn Lange scheiden lassen.«
»Das war eine reine Trotzreaktion, wie ich später einsah. Weil ich traurig und verletzt war.«
»Dann müssen Sie gut nachvollziehen können, wie Tina sich gefühlt hat. Sie kam sich wie ausrangiert vor.«
»Das tut mir alles sehr leid. Aber wie gesagt eine feste Verbindung war nie Thema zwischen uns. Und nach der Trennung von Hinnerk mich wieder ihr zuzuwenden, war mir zu billig. Sie sollte sich nicht als Lückenbüßer fühlen.«
»Das ist das richtige Wort, denn schließlich haben Sie Herrn Lange ein zweites Mal geheiratet.«
»Ja, weil ich meinen Irrtum eingesehen habe und ihn aufrichtig liebe. Tina habe ich auf meine Art geliebt.«
»Man musste sie ja einfach lieben«, sagte Frau Lindblom mit erstickter Stimme. »Ich weiß nicht, wie ich über den Verlust hinwegkommen soll.«
Valerie ging auf die weinende Frau zu.
»Darf ich?«, fragte sie leise und nahm Ingrid vorsichtig in die Arme.
Die Staatsanwältin ließ es geschehen und schluchzte hemmungslos. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper, da sie sich der unmöglichen Situation bewusst wurde, und sie löste sich von Valerie.
»Der Teufel soll Sie holen, wenn etwas davon nach außen dringt«, sagte sie mit harter Stimme.
»Wofür halten Sie mich? Aber Teufel ist ein gutes Stichwort. Der unbekannte Leichnam, der Ursache für den Unfall war, weist satanische Symbole auf. Die Frau könnte einer Sekte angehört haben.«
»Dann tun Sie Ihre Arbeit, und versprechen Sie mir, dass Sie die Hintergründe aufklären und die Schuldigen finden werden. Das sind Sie Tina einfach schuldig.«
»Ich weiß. Sie müssen mich nicht extra darauf hinweisen. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun.«
»Danke, wenn Sie Hilfe brauchen, wissen Sie, wo Sie mich finden.«
Valerie war sehr nachdenklich, als sie das Büro der Staatsanwältin verließ. Einmal, weil sich Ingrid Lindblom wohl nie ändern würde, zum anderen, weil Valerie ungern Versprechungen machte, die sie womöglich nicht halten konnte. Sie und ihr Team waren zwar für eine hohe Aufklärungsquote bekannt, aber Valerie wusste auch, dass das Thema Satanismus in Deutschland weitgehend totgeschwiegen wurde. Wenn man den Gerüchten glauben konnte, waren die Anhänger bis in die höchsten Positionen verteilt. In den höheren Ebenen sollten sich auch Ärzte, Priester, Industrielle, hohe Polizeibeamte und sogar Staatsanwälte befinden. Alle hielten wie Pech und Schwefel zusammen, hieß es. Verschwiegenheit war in diesen Kreisen oberstes Gebot.
Offiziell gab es den Satanismus, als eine fest strukturierte weltanschauliche Organisation mit einer Zentrale in Deutschland nicht. Allenfalls sprachen Experten von einem Satanismus-Syndrom. Das machte die Aufklärung vermeintlicher Fälle so schwierig. Es gab zu viele unterschiedliche Ausdrucksformen des Satanismus. Dazu gehörten Gruppen von Jugendlichen, die sich um Mitternacht auf Friedhöfen trafen, um dort Mutproben zu bestehen oder angeblich Schwarze Messen zu zelebrieren. Einsätze der herbeigerufenen Polizei verliefen jedoch meistens ins Leere. Gelegentlich wurden Kirchen mit Teufelssymbolen beschmiert oder Gräber geschändet, ohne dass man die Verantwortlichen fassen konnte.
Warum bekamen sie es immer mit so ungewöhnlichen Morden zu tun? Valerie beschwerte sich gedanklich oder auch offen verbal zum wiederholten Mal. Ein Mord aus Eifersucht oder Habgier war dagegen beinahe Routine.
Ihr nächstes Ziel lag ebenfalls in der Turmstraße. Auf dem Gelände des ehemaligen Krankenhaus Moabit befand sich seit Dezember 2004 die Rechtsmedizin – eigentlich: Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin. Im Februar 2006 waren das Leichenschauhaus aus der Invalidenstr. 59 und die Toxikologie aus der Invalidenstr. 60 gemeinsam in das modernisierte Haus O – die ehemalige Pathologie des Krankenhauses Moabit – gezogen. Somit ließen sich die bisher auf drei Standorte verteilten Arbeitsbereiche vereinigen.
Knud Habich machte große Augen, als er Valerie sah.
»Ihr könnt es wohl wieder einmal nicht abwarten, den Obduktionsbericht zu erhalten«, sagte er.
»Eigentlich bin ich gekommen, um Tina noch einmal zu sehen«, meinte Valerie, »aber wenn ich schon einmal hier bin, kannst du mir auch etwas über das Opfer erzählen.«
»Wie schon gesagt, handelt es sich um eine Übertötung«, sagte er, »weil mehrere der dreißig Stiche in Brust und Oberbauch allein schon tödlich gewesen wären. Der oder die Täter muss unter Drogeneinfluss gestanden haben, wie das Opfer übrigens auch. Wir haben Spuren von Aconitum napellus gefunden. Der Blaue Eisenhut gilt als die giftigste Pflanze Mitteleuropas und zieht als Mordgift durch die Zeitgeschichte. Aristoteles nahm sich vermutlich mit Aconitum das Leben als man ihn anklagte, Alexander den Großen vergiftet zu haben. Medizinisch wurde die Pflanze in der Antike gegen starke Nervenschmerzen eingesetzt, später gegen Epilepsie, Lähmungen, Wassersucht, aber auch gegen Neuralgien, Gicht und Rheumatismus. Heute verwendet man es in homöopathischer Potenzierung bei Angst und Panikzuständen.«
»Heißt es nicht, es ist nur zwei bis drei Stunden nach dem Tod nachweisbar?«
»So heißt es, aber dennoch lassen sich geringe Spuren in Blut, Urin und Magen- und Darminhalt finden. Mit einem komplizierten Verfahren mittels einer Chloroformlösung ist das möglich. Aber die Unbekannte war ja noch keine drei Stunden tot. Wir haben auch Zahnabdrücke der Unbekannten genommen und eine DNA Analyse durchgeführt.«
»Gut, dann werden wir bald wissen, um wen es sich handelt. Dann hat man sie also betäubt, bevor man sie umbrachte?«
»Nicht unbedingt. Sie kann das Gift auch freiwillig genommen haben. Im Mittelalter hat man den Eisenhut auch in Hexensalben verarbeitet. Die Alkaloide der Nachtschattengewächse wirken auf das Zentralnervensystem und brachten den vermeintlichen Hexen angenehme Träume und Halluzinationen. Das Aconitin erregt zuerst die sensiblen Nervenenden in der Haut, anschließend lähmt es sie aber. Bewegungsunfähig kann sie durchaus ihren Tod miterlebt haben.«
»Dann ging es also tatsächlich um rituelle Praktiken«, sagte Valerie.
»Durchaus anzunehmen. Erst nahm man ihr die Angst und dann das Leben. Die Frau muss auch über längere Zeit gehungert haben. Dabei bildet der Körper vermehrt Aceton. Diesen stechenden Geruch, der an Nagellackentferner erinnert, konnten wir feststellen.«
»Danke, dann warten wir auf den schriftlichen Bericht. Jetzt würde ich gerne zu Tina gebracht werden.«
»Natürlich. Du nimmst mir nicht übel, wenn das eine neue Kollegin macht?«
»Was denn, gibt es etwa schon Ersatz für Tina?«
»Die ganze Arbeit muss schließlich auch zukünftig gemacht werden. Ich bin sogar froh, dass die Stelle nicht gestrichen wurde.«
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