2
Auftrag und Zuflucht
Bruce wälzte sich hin und her, er war schweißgebadet.
„Hey Bruce, was ist los mit dir?“
Er wachte auf, blickte tief in Kims smaragdgrüne Augen und war heilfroh, nicht mehr zu träumen. Daraufhin fing er sich und küsste sie.
„Bruce sagst du mir, was du hast?“
„Es ist nichts, Schatz. Ich hab nur schlecht geträumt.“
„Aha“, erwiderte sie.
„Dann bleib liegen, bis ich das Frühstück gemacht habe.“
Das morgendliche Sonnenlicht fiel gleisend hell durch das Schlafzimmerfenster und traf mit stechender Wärme das Gesicht des stämmigen Mannes, was ihn dazu bewegte, aufzustehen. Er duschte ausgiebig und genoss es, das heiße Wasser über seinen muskulösen Körper laufen zu lassen, während der Duft von frisch gerösteten Kaffeebohnen durch die Ritzen der Badezimmertür kroch. Nachdem er das morgendliche Ritual beendet hatte, zog er sich seine Uniform über und folgte dem Geruch bis an den Frühstückstisch.
„Wie war´s gestern?“, wollte Kim wissen.
„Ach, nichts Besonderes.“
„Du bist spät heimgekommen.“
„Ja, wir hatten noch eine außerplanmäßige Besprechung.“
„Und um was ging es dabei?“
„Du weißt, dass ich über bestimmte Dinge nicht reden darf.“
„Ja, das weiß ich und das ist ein Problem für mich.“
„Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.“
Nachdem sie gefrühstückt hatten, schnallte er sich das Halfter um die Hüfte, steckte seine Waffe hinein und gab Kim einen sanften Kuss.
„Ich liebe dich, bis heute Abend.“
Dann verschwand er durch die Haustür, während sie noch darüber nachdachte, wie sein Tagesablauf wohl aussehen würde.
„Hallo Bruce, zum Job?“, tönte es wohltuend dumpf aus einer nicht sichtbaren Tonquelle, als er in sein druckluftmotorbetriebenes Fahrzeug stieg.
„Genau“, antwortete er emotionslos, woraufhin sich das Vehikel von selbst in Bewegung setzte. Er dachte über sein gutes, aber mindestens genauso schwieriges Leben nach, während der Autorobot das Gefährt unspektakulär in das Parkhaus seiner Firma manövrierte. Das Fahrzeug war gerade in eine kleine Parklücke geschlüpft, als ein hochgewachsener Mann auftauchte.
„Guten Morgen Mister Garner, ich bin Christopher Summer vom Dailys. Wie geht es Ihnen heute Morgen? Sehr gerne würde ich ein Exklusiv-Interview mit Ihnen durchführen. Hätten Sie demnächst Zeit für einen Termin?“
Bruce fühlte sich überrumpelt und in die Ecke gedrängt und das ließ er Summer auch spüren.
„Tut mir wirklich sehr leid für Sie, Mister, aber ich habe jetzt zu tun und für so etwas echt keine Zeit.“
Genervt ließ er den aufdringlichen Fremden stehen und verschwand in den Aufzug. Während der Reporter unbeeindruckt in seinen Wagen stieg und davon fuhr, drückte Bruce auf den Knopf mit der 5. Auf dieser Etage durften sich die Safeguardians anhören, was ihre Vorgesetzten zu sagen hatten. Oben angekommen rückte er seine Uniform zurecht und trat durch die silberne Schiebetür, die sich mit einem angenehm leisen Surren öffnete. Vor ihm lag der schlauchartig angelegte Korridor, dessen Fußboden mit blauem Teppich belegt war. Die Strahler, die in regelmäßigen, kurzen Abständen von der Decke hingen, tauchten den Gang in ein sanftes, nicht zu helles Grün. Aus den Lautsprechern, die in den Wänden verborgen waren, ertönte eine beruhigende, sich stetig wiederholende Melodie. Die Decke des Gangs war zu einem Rundbogen geformt und die Wände waren mit einem Putz versehen, der Tausende von kleinen Vertiefungen aufwies. Bruce hatte das Gefühl zu schweben, wenn er diesen Gang entlanglief. Immer wieder aufs Neue genoss der Safeguardian dieses Erlebnis. Nach etwa 25 Metern befand sich die vermeintlich gleiche silberne Tür wie am Aufzug. Als Bruce sich dem Portal näherte, tat sich eine Öffnung in der Wand auf und eine kleine Kamera kam zum Vorschein. Er legte seinen linken Zeigefinger auf den Fingerabdruckscanner, der ebenfalls aus der Wand ragte. Gleichzeitig lugte er in die Linse der Kamera, welche die Iris seines Auges scannte. Nachdem Garner seinen Namen genannt hatte, öffnete sich die Tür und er verschwand dahinter.
Summer fuhr indessen zum Bürogebäude des Dailys. Statt sich vom Autorobot chauffieren zu lassen, zog er es vor, selbst Gas zu geben. Nachdem er das Gefährt in der Tiefgarage abgestellt hatte, brachte ihn der Aufzug in das Erdgeschoss. Gelassen betrat er die große Empfangshalle, wo die warmen Sonnenstrahlen hell durch das Glasdach fielen. Zahlreiche kreuz und quer verlaufende Stahlträger zierten das Foyer. Zügig, aber nicht überhastet ging er in sein Büro, das sich im 9. Stock des Gebäudes befand, wobei er den Saal durchquerte, in dem all die anderen Reporter arbeiteten, die kein eigenes Büro hatten. Der eine oder andere schaute von seinem Schreibtisch auf und wünschte ihm einen guten Morgen. Als er sein großzügig angelegtes Arbeitszimmer betrat, erschien sofort das Konterfei seines Chefs auf der Projektionsfläche mitten im Raum.
„Guten Morgen Mr. Summer“, schallte es durch das Arbeitszimmer des Reporters, „bitte kommen Sie in mein Büro, ich habe einen neuen Auftrag für Sie.“
„Was, aber wieso? Ich bin doch an einer Story dran!“
„Ja, das weiß ich, aber vergessen Sie das erst mal. Wir haben einen großen Auftrag bekommen, und da ich das nicht versauen will, brauche ich den besten Journalisten, den der Dailys zu bieten hat. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Also kommen Sie bitte jetzt gleich rauf in mein Büro, danke.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, beendete Dangler das Gespräch. Die virtuelle Bildfläche zog sich blitzschnell wie ein angeklicktes Icon zusammen und verschwand im Nichts.
„Kaffee, schwarz!“, sagte Summer in den Raum hinein, woraufhin sofort heißes Wasser durch die Maschine rauschte und das gewünschte Getränk produzierte. Summer war sauer, als er die Tasse aus dem Gerät holte, setzte sich an seinen Schreibtisch und versuchte sich zu beruhigen. Gerade jetzt, wo er langsam Spaß daran fand, über die Safeguardians zu recherchieren. Er war sich so sicher, dass er ein Exklusivinterview mit Garner bekommen würde. Aber er wusste, wenn der Chef einen Auftrag für ihn hatte, gab´s daran nichts zu rütteln. Dennoch schmeichelte selbst einem hartgesottenen Reporter wie Summer die Aussage seines Chefs, er sei der Beste. Schmunzelnd trank er die Tasse leer und sein Ärger verflachte. Durch einen leichten Stoß mit dem Fuß gegen die Schreibtischkante versetzte er seinen Bürostuhl in Bewegung, sodass dieser eine halbe Umdrehung verrichtete. Er schaute durch das große Glasfenster direkt auf die Innenstadt von Art-City. Sein Blick schweifte zwischen den riesigen, hochmodernen Bauten umher. Direkt unter seinem Büro befand sich so etwas wie eine Fußgängerzone, die überspannt war von diagonal verlaufenden Aufzügen, genannt Hoverwalks. Diese Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Gebäuden waren komplett aus Glas gebaut. Auch die Beförderungsbänder dieser Transportmittel waren aus einem durchsichtigen Material geschaffen. Aufgrund dieser Bauweise entstand beim Betrachter der Eindruck, dass die Fahrgäste von einem Gebäude zum anderen durch die Luft schweben würden. Art-City hatte noch vieler solcher bizarren Kuriositäten zu bieten. Summer benutzte den Anblick dieses Szenarios als Anregung zur Meditation. Nach wenigen Minuten der Entspannung drückte er auf seiner Multiquantwatch herum. Ein Gerät, welches er am Handgelenk trug und so ziemlich alle rechentechnisch möglichen Vorgänge in einem winzig kleinen Quantencomputer verarbeitete. In diesem Fall benutzte er es als Aufnahmegerät und legte eine neue Datei unter dem Namen „neuer Auftrag“ an. Der kleine Supercomputer war in der Lage, eine virtuelle Projektionsfläche in den Raum zu zaubern, mit der man mittels Gedankenübertragung interagieren konnte. Vorausgesetzt man hatte sich den zugehörigen Chip ins Hirn implantieren lassen. Summer hatte das bisher nicht in Erwägung gezogen und agierte lieber mit althergebrachten Bedienelementen wie der Sprachsteuerung oder den manuellen Bewegungsbefehlen auf der Projektionsfläche, über die man Internet- und GPS-Funktionen empfangen, telefonieren, fotografieren, filmen und noch unzählige andere, rechentechnisch machbare Funktionen ausführen konnte. Dann verließ er sein Büro und machte sich auf den Weg zu Dangler.
Читать дальше