Eines Tages sprach er zum zweiten Wesir: »Anscheinend hat dein älterer Gefährte nichts erreicht, da er es nicht wagt mir unter die Augen zu treten. Es wird euch schlecht ergehen, wenn ihr den Meister verleumdet habt!« Der Wesir war halbtot vor Angst: »Mächtiger Khan«, sagte er, »wir haben dir die reine Wahrheit gesagt. Befehle und ich beweise es dir.« Der Khan sprach: »Es sei!«
Einige Zeit verging, und dem zweiten Wesir widerfuhr dasselbe wie dem ersten. Nachdem er das Geld umsonst ausgegeben hatte, landete auch er in der finsteren Grube. Dort in der Tiefe sah er einen Mann, der Schafwolle kämmte. »Wer bist du?« fragte der zweite Wesir. »Und wer bist du?« wollte der erste Wesir wissen. Da erkannten sie sich und begannen einander zu schelten, gaben sich gegenseitig die Schuld an ihrem Unglück. Die Frau des Schmieds lachte nur, als sie ihr Gezanke hörte. Dann ließ sie den Spinnrocken in die Grube und befahl dem zweiten Wesir, Schafwolle zu spinnen »Gib acht, wenn du schlecht arbeitest, erhältst du zum Mittag keinen Hirsebrotfladen!« Um dieselbe Zeit zog der Schmied die blaue Blume hervor und sah, dass sie immer noch frisch war und ebenso duftete wie zuvor.
Der Khan, der vergeblich auf den zweiten Wesir wartete, schickte den dritten zur Frau des Schmieds. »Wenn du in drei Wochen nicht zurück bist, droht dir und den zwei anderen Nichtsnutzen der Galgen.« Voller Sorge und Unruhe und im Vorgefühl des drohenden Unheils begab sich der dritte Wesir auf den Weg, und bald schon traf er, wenn auch ohne Freude, seine Gefährten in der feuchten Grube wieder. Alle drei bezichtigten sich, schuld an ihrem Unglück zu sein. Die Frau des Schmieds aber stand am Grubenrand und lachte. Der neue Gefangene erhielt von der Frau einen Webstuhl und den Auftrag: »Du musst mir in drei Wochen einen schönen Teppich weben. Gehe flink an die Arbeit, sei nicht faul: Es hängt von dir ab, ob du zum Mittag einen Hirsebrotfladen erhältst oder nicht.«
Einige Tage danach befahl der Khan ihm den Schmied vorzuführen. »Meine drei Wesire sind noch immer nicht von deiner Frau zurück gekehrt. Ich vermute, sie hat sie durch Hexerei ums Leben gebracht. Wenn es so ist, lasse ich dir und ihr den Kopf abschlagen. Haben die Wesire dich aber falsch beschuldigt, wird ihnen eine noch härtere Strafe drohen. Ich selbst will in deine Stadt reiten. Du sollst mich begleiten.« Nach einer Weile zog die prunkvolle Karawane des Khans in die Stadt des Schmieds ein. Als sie sich seinem Haus näherten, bat der Schmied den Khan um Erlaubnis, seiner Frau die Ankunft eines so hohen Gastes ankündigen zu dürfen. Der Khan ließ es geschehen, und der Schmied trat durch die Pforte ein. Als die schöne junge Frau ihren Mann erblickte, warf sie sich ihm an die Brust und in Sekundenschnelle erzählten sie einander alles, was ihnen während der Trennung widerfahren war. Sodann führte der Schmied den Khan, der von drei Leibwächtern begleitet wurde, in allen Ehren in sein Haus.
Mit Verbeugungen und Begrüßungen hieß die Frau den hohen Gast willkommen. Und sie war so wunderschön, bewegte sich so würdevoll und sprach so klug, dass sich das Herz des Khans sogleich erweichte und er gnädig den Schmaus aus den Händen der einfachen Städterin entgegennahm. Während der Khan mit einer Schale Kumys auf einem schönen Teppich saß, fragte er: »Liebe Frau, sind in der Abwesenheit deines Mannes nicht - einer nach dem anderen - meine drei Wesire zu dir gekommen?«
»Möge dein Leben ewig sein, großer Khan! Der Platz der Wesire ist neben ihrem Gebieter. Was könnte sie in das Haus einer armen und einsamen Frau führen?«
Der Khan schwieg und beschaute sich, um seine Verwirrung zu verbergen, das verschnörkelte Teppichmuster. »Liebe Frau, woher hast du diesen kostbaren Teppich?«
»Allmächtiger Khan, diesen Teppich haben meine Dienerinnen gewebt.« Der Khan krauste die Augenbrauen. »Dienerinnen? Dein Gatte sagte mir, er hätte dich in ärgster Not zurückgelassen. Woher nahmst du das Geld, um Dienerinnen zu halten?«
»Meine Dienerinnen fordern keinen Lohn, sie erfüllen alle meine Befehle für einen Hirsebrotfladen am Tag.«
»Das ist unglaublich«, sagte der Khan und verzog misstrauisch das Gesicht. »Mein Gebieter, gleich sollst du meine Dienerinnen mit eigenen Augen sehen, und sie werden meine Worte bestätigen«, sprach die Frau und verschwand hinter der Tür.
Sie ließ die drei Wesire aus der Grube und flüsterte ihnen zu: »O weh, ein Unglück, mein Mann ist zurückgekehrt! Wenn er euch bei mir sieht, seid ihr verloren. Ich habe euch für eure Dreistigkeit bestraft, euren Tod wünsche ich jedoch nicht. Nehmt diese Rasierklinge und rasiert euch rasch die Barte und Schnurrbärte ab, nehmt meine alten Kleider, zieht euch ohne Zaudern um, und ich bringe euch als meine Freundinnen aus dem Haus.« Die Wesire taten willig alles, was die Frau forderte. Dann befahl sie ihnen, sich an die Hände zu fassen, und führte sie ins Zimmer, wo der Khan thronte, von seinen Leibwächtern umgeben.
Als die Wesire ihren gestrengen Herrscher vor sich sahen, wurden sie starr vor Schreck, der Khan blickte sie lange verständnislos an und sagte schließlich: »Merkwürdige Dienerinnen! Dem Wuchs und der Gestalt nach Männer, aber in Frauenkleidern. Eure Gesichter scheinen mir bekannt. Wer sind diese Werwölfe?«
»Das sind jene, die mich bei dir verleumdet haben und meine treue Gattin in den Schmutz zogen«, sagte der Schmied anstelle seiner Frau. »Das ist die Wahrheit, mein Khan.« Da fielen die Wesire vor dem Khan auf die Knie und gestanden ihre Übeltaten.
Anfangs hörte der Khan ihnen zornentbrannt zu, doch als die Wesire von ihren Abenteuern im Hause des Schmieds erzählten, bebten seine Lippen, die Schultern zuckten, und er lachte so laut, dass der Kumys aus der Schale auf seine Seidentracht spritzte. Der Khan lachte Tränen, dann sprach er: »Schon lange hatte ich keinen so fröhlichen Tag! Mögen diese drei Dummköpfe, die sich von der Frau an der Nase herumführen ließen und die ich einst meine Wesire nannte, von nun an meine Hofnarren sein. Und du, mein guter Meister, begibst dich zusammen mit deiner treuen Frau als mein teurer Gast in die Hauptstadt und ich will dich für deine Dienste und für deine Ehrenhaftigkeit belohnen.«
Jahre und Jahrhunderte vergingen. Die Gebeine des Khans, der arglistigen Wesire, die zu Hofnarren wurden, und auch jene des Schmieds und seiner schönen Frau sind längst verwest. Der Palast aber, den der kunstfertige Meister erbaute, steht noch immer in seiner vollen Pracht. Alles ist vergänglich. Unvergänglich sind nur die Schöpfungen des menschlichen Geistes und der Menschenhände.
Der Esel war es überdrüssig, Lasten zu tragen, und so sagte er eines Tages zu seinem Gefährten, dem Kamel: »He, Kamel, ich habe es satt, immer nur Lasten zu tragen, mein Rücken ist zerschunden. lass uns ausreißen und nach Herzenslust zu zweit in Freiheit leben.« Das Kamel schwieg, überlegte eine Weile und sagte: »Es stimmt, wir haben einen schlechten Herrn, Futter gibt er uns wenig, Arbeit aber viel. Ich würde ja gern flüchten, nur wie?« Der Esel aber hielt die Antwort schon bereit: »Habe alles überlegt, keine Bange«, sprach er. »Morgen wird uns unser Herr heißen, Salz in die Stadt zu bringen. Zuerst werden wir ihm gehorsam folgen, wenn es aber bergan geht, fallen wir beide auf der Stelle um und tun so, als hätten wir keine Kraft mehr. Wenn uns der Herr beschimpft und mit dem Stock schlägt, bleiben wir trotzdem liegen. Er wird dann müde und nach Hause laufen um Hilfe zu holen. Dann sind wir frei und können laufen, wohin wir wollen, wenn uns die Beine nicht versagen.« Da wurde das Kamel fröhlich: »Das hast du dir gut ausgedacht! So wollen wir es halten!«
Sie warteten den Morgen ab. Am nächsten Morgen band der Herr die Säcke mit Salz auf und trieb die Tiere in die Stadt. Die Hälfte des Weges gingen sie wie immer: das Kamel voran, der Esel hinterdrein, hinter ihnen der Herr mit dem Stock. Als sie nun bergan liefen, fielen der Esel und das Kamel um und stellten sich kraftlos, taten so, als würden die Beine sie nicht mehr tragen. Der Herr fluchte: »Ach, ihr Biester, faules Gesindel! Sofort aufstehen, sonst setzt es Hiebe!« Die aber rührten kein Ohr, lagen da, als hörten sie nichts. Da wurde der Herr böse und schlug mit dem Stock auf sie ein. Neununddreißig Hiebe versetzte er dem Kamel - es rührte sich nicht. Als er aber zum vierzigsten Hieb ausholte, brüllte das Kamel los und sprang auf. »So so, wird ja Zeit!« sagte der Herr und nahm sich den Esel vor. Er schlug den Esel vierzig Mal, doch der stöhnte nicht, er schlug den Esel fünfzig Mal, der rührte sich noch immer nicht, er schlug den Esel gar sechzig Mal, doch der lag da, wie er gelegen hatte.
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