Alexander L. Cues
Die Ketzer von
Antiochia
Historischer Roman
Historische Anmerkung des Autors In Antiochia ist die erste christliche Gemeinde aus Juden („Judäer“ nach ihrer geografischen Herkunft) und „Heiden“ entstanden. Dort wurden ihre Mitglieder zuerst „Christianer“ = Christusanhänger genannt. Historisch konnte diese frühe Phase des Christentums bisher nicht aufgehellt werden. Ereignisse der römischen Geschichte des Ostens (kursiv gedruckt) bilden den Rahmen der Romanerzählung. Mit ihrer Hilfe kann der Leser die Geschehnisse – historisch überlieferte und fiktive - besser einordnen. Den handelnden Personen werden hier und da Sätze in den Mund gelegt, die von ihnen selbst oder anderen Personen der Historie tatsächlich gesagt oder geschrieben wurden. Sie sind entnommen aus P. Guyot/R. Klein: Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen. Eine Dokumentation (Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2006).Auch wurden Texte antiker Autoren übernommen (z. B. Josephus Flavius, Ovid). Diese Zitate sind ebenfalls kursiv gedruckt. Gleiches gilt für Bibeltexte und liturgische Texte.
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Erstes Buch Die Götter zürnen
Zweites Buch Diese Welt vergeht. Alles in ihr ist nur Schein. Auch die Sklaverei.
Drittes Buch Die Götter sind die Freunde der Kampfspiele
Viertes Buch Was ist ein Bürgerrecht auf Erden? Wir sind Bürger des himmlischen Reiches.
Fünftes Buch Schaut auf Jerusalem und auf seinen Tempel!
Sechstes Buch Und G`tt sagte zu ihr: Zwei Völker sind in deinem Leib
Siebtes Buch Stößt man Milch, so gibt es Butter; stößt man die Nase, so gibt es Blut; stößt man den Zorn, so gibt es Streit.
Achtes Buch ER hat sich ein neues Volk erwählt
Neuntes Buch Niemand kann zwei Herren dienen
Zehntes Buch Ich will dem Kaiser geben, was des Kaisers ist
Elftes Buch Die sechste ägyptische Plage
Zwölftes Buch Das neue Volk
Dreizehntes Buch
Die bessere Gerechtigkeit
Vierzehntes Buch Der große Drache
Fünfzehntes Buch Das Reich Gottes ist mitten unter euch
Glossar
Handelnde Personen (historisch belegte Namen kursiv):
Der Arzt Ireneos bestieg mit bangem Herzen vor Sonnenaufgang ein Schiff, das ihn von Tarsos nach Seleukia, dem Hafen der großen Stadt Antiochia, bringen sollte. Er folgte dem Ruf seiner Mutter, die ihm eine traurige Nachricht überbringen ließ. Sein Bruder Theodoros war als Centurio bei der Schlacht um Antiochia gefallen, als Aufständische die Macht an sich gerissen hatten. Ireneos hing in zärtlicher Liebe an seiner Mutter. Er fürchtete, sie in schlechter gesundheitlicher Verfassung anzutreffen. Der Sklave Meleagros, der als Bote nach Allianoi gekommen war und nun mit ihm zurückfuhr, hatte ihm zuvor berichtet, sie trage schwer am Tod seines Bruders. Sie habe aber vor allem den Tod ihres geliebten Mannes, des Baumeisters Menachem Celer, noch nicht verwunden. Die Umstände seines Todes waren im Dunkeln geblieben. Das alles lag erst zwei Jahre zurück. Ireneos hatte seinen Vater schon als Kind bewundert. An den Wänden ihres Hauses hingen immer große Papyrusbahnen, auf denen die Zeichnungen zu sehen waren, die der Vater von Brücken, Häusern und Plätzen anfertigte. Er erklärte seinem Sohn, warum man Brandschneisen brauchte in der Stadt. Am meisten beeindruckt war Ireneos jedoch von den Plänen der Brunnenanlagen und Bäder: „Wasser ist Leben, mein Junge,“ so betonte der Vater oft, „die Stadt kann nur wachsen, wenn die Menschen Wasser haben.“ Die Mutter hatte ihm ein kleines Andenken an den Vater geschenkt, das er nun in seinen Händen hielt. Es war das silberne Kreuz, das sie diesem vor einem halben Jahrhundert geschenkt hatte, als er nach Rom aufbrach, um dort Architektur zu studieren. „Das wird dich vor Dämonen beschützen,“ hatte sie damals zu ihm gesagt, „denn Christus hat das Böse besiegt.“ Mit genau diesen Worten übergab sie ihrem Sohn das Kreuz nach dem Tod des Vaters. Der Vater hatte ihm vom Glauben der Vorfahren erzählt. Die Rettung aus der Sklaverei in Ägypten und die wunderbaren Taten des Mose fesselten Ireneos von Anfang an. Die Mutter weckte in ihm die Liebe zu Jesus von Nazareth. Sein Gottvertrauen und die Hoffnung, dass mit seinem Kommen das Reich Gottes anbrechen würde, prägten fortan den Glauben des heranwachsenden Jungen, der sich noch verstärkte, als er begann, Medizin zu studieren. Die Erzählungen von den Heilungen Jesu waren auch für den späteren Arzt Ireneos noch eine Quelle der Inspiration. Manchmal aber, so dachte Ireneos, bewegte er sich in zwei Welten. Er fühlte sich hingezogen zum Glauben der Judäer an den einen Gott, der Himmel und Erde erschaffen hatte und durch Mose dem Volk der Beschneidung seinen Willen offenbart hatte. Gleichermaßen nahe waren ihm jedoch auch die Ideale der griechischen Philosophen, die Tugenden Weisheit, Tapferkeit und Besonnenheit. Diese drei – so hatte der Vater ihm vermittelt – fand er bei Jesus von Nazareth vollkommen vereint, den die Christusanhänger jetzt als Kyrios verehrten, der in den Wolken des Himmels kommen würde, um sein Volk zu erlösen. Was war wohl aus der großen Stadt Antiochia geworden? Als Ireneos sie nach dem Tod des Vaters das letzte Mal gesehen hatte, war sie schöner und bedeutender als je zuvor. Ihre wunderbare Kolonnadenstraße und ihre Wasserversorgung waren einzigartig im Römischen Reich. Meleagros berichtete ihm jedoch von einer furchtbaren Zerstörung und dass die Aufständischen furchtbar gewütet hatten nach der Eroberung der Stadt. Ganze Wohnviertel seien dabei durch Feuer vernichtet worden, der Palast des Legaten wurde zerstört. Die kaisertreuen Truppen setzten bei der Rückeroberung die Verwüstung fort. Tausende verloren dabei ihr Leben. Die Tore der Stadt waren zerstört, ihre Heiligtümer geschändet. Niemals, beteuerte der Alte, würde er die schrecklichen Ereignisse jener Tage vergessen. Der Kapitän des Schiffes ließ seine Passagiere wissen, dass die Winde günstig seien und die Überfahrt etwa sieben Stunden dauern würde. Als das Schiff den Hafen verließ und unter dem großen Rahsegel Fahrt aufnahm, spürte Ireneos in sich eine große Vorfreude auf das Wiedersehen mit seiner Mutter. Er erinnerte sich gerne an ihre Erzählungen von den ersten Begegnungen mit dem Vater und seinem Aufstieg als Baumeister in der Stadt Antiochia. Ja, er wollte sich ein Beispiel nehmen an ihrem Glauben, dass ihnen nichts geschah ohne den Willen des Höchsten. Ein großer Segen hätte auf ihrer Ehe gelegen, betonte sie oft. Und dabei hatte doch alles mit einer großen Katastrophe angefangen.
Erstes Buch Die Götter zürnen
I
Als Menachem erwachte, wusste er nicht, wo er sich befand. Es war stockfinster. Die Mischung aus Staub und Leichengeruch machte ihm das Atmen fast unmöglich. Eine blutende Wunde am Kopf ließ ihn erschrecken. War sie die Ursache für den stechenden Schmerz, der ihm beinahe die Besinnung raubte? Er vermochte es nicht zu sagen, genau so wenig, wie lange er hier schon gelegen hatte. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Er erinnerte sich nur noch an zwei, drei furchtbare Erschütterungen, das entsetzte Schreien der Menschen, das vom Lärm des zusammenstürzenden Hauses übertönt wurde. Als sich die Katastrophe ereignete, waren sie gerade mit der Zubereitung ihres armseligen Essens beschäftigt. Es gab einen Brei aus Getreideresten, die sie außerhalb der Stadtmauern gesammelt hatten. Beißender Qualm erfüllte wie immer den einzigen Raum ihrer Wohnung im dritten Stockwerk des Mietshauses im jüdischen Viertel von
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