Günther Weber kam mit seinen Männern und den neben ihnen vorgehenden Trupps zwei Minuten zu spät. Obwohl er und die anderen Soldaten aus jetzt nicht einmal 80 Metern Entfernung auf die die „Ferdinand“ angreifenden Russen schossen waren zwei Rotarmisten bei dem rechten Fahrzeug bis zu dessen Heck vorgedrungen und hatten sich jeweils rechts und links neben das Laufwerk gehockt, mehrere MPi-Schützen gaben ihnen Feuerschutz. Einige kurz nacheinander erfolgende heftige Explosionen erschütterten den etwas weiter weg stehenden linken Jagdpanzer, die Russen hatten dort an den Seitenpanzerungen und am Fahrwerk Haftsprengladungen anbringen können. Die 80 Millimeter Panzerstahl konnten von dem Sprengstoff nicht durchschlagen werden, aber rechts war die Kette zerrissen worden. Wenn die SS-Männer nicht schnell genug herankamen würden die Männer im Panzer wehrlos in der Falle sitzen, denn irgendeine wirksame Nahverteidigungswaffe besaß dieses Monstrum aus Stahl nicht. Die Panzersoldaten konnten zwar durch einige Propfen im Aufbau mit kleinkalibrigen Waffen schießen, aber das diente nur der Abschreckung von Angreifern. Die Russen gaben den Rotarmisten am rechten Panzer starken Feuerschutz und Weber musste zusammen mit den anderen in Deckung gehen. Der Panzer drehte sich ein Stück um seine Achse und rollte dann wieder im Kriechtempo rückwärts, die Kanone wurde erneut abgefeuert. Weber hatte noch nicht begriffen was die beiden russischen Soldaten neben dem Heck vorhatten, aber einem Moment später wusste er es. In dem Augenblick, in dem einer der beiden Ladeschützen des „Ferdinand“ die am hinteren Aufbau mittig in der großen und verschraubten Wartungsluke eingelassene kleinere Luke öffnete, um die leeren Kartuschen aus dem Kampfraum zu werfen, kamen die beiden Russen sofort hoch und warfen Brandflaschen. Eine zerbarst außen an der Panzerwand und entzündete das Benzin dort, die andere war gut gezielt gewesen und flog in den Kampfraum hinein. Schockiert versuchte der deutsche Panzermann die Luke schnell wieder zu schließen aber das gelang ihm nicht mehr, denn im Inneren des Panzers war sofort Feuer ausgebrochen und einen Wimpernschlag später stand der Kampfraum vollständig in Flammen. Die Luken des Panzers gingen auf und die Männer versuchten auszubooten. Der Ladeschütze hatte wahrscheinlich den größten Teil des brennenden Benzins abbekommen und kam mit lichterloh fackelnder Uniform noch aus dem Fahrzeug heraus. Er ließ sich aus der Turmluke herausfallen und wälzte sich am Boden, um die Flammen zu ersticken. Weber hörte sein Schmerzbrüllen deutlich und riss seine Männer zum Angriff mit hoch, aber die Russen erschossen den Mann aus nächster Entfernung, bevor die Grenadiere überhaupt nah genug heran gekommen waren. Auch die anderen Panzermänner hatten keine Wahl, sie mussten aus dem brennenden Fahrzeug herauskommen. Die Rotarmisten hatten die Feuerkraft ihrer Infanteriewaffen geteilt, ein Teil beschoss die heranstürmenden SS-Panzergrenadiere, die anderen töteten die aus dem aus den beiden Turmluken und den Luken am Bug des „Ferdinand“ herausdrängenden Männer aus nächster Nähe. Weber sah im Vorwärtsstürmen noch einen Mann aus der Turmluke herauskommen. Er schaffte es, sich bis zu den Hüften herauszuziehen, sein Oberkörper kippte nach vorn und er rutschte an der steilen Stahlwand des Aufbaus kopfüber nach unten. Die Russen konnten sich um diesen Mann nicht mehr kümmern, denn die SS-Männer waren jetzt auf Nahkampfentfernung herangekommen und gingen auf die Gegner los.
Günther Weber hatte mit ansehen müssen, wie die brennenden deutschen Panzersoldaten getötet worden waren und seine Aggressivität nahm noch weiter zu. Zwei hinter dem qualmenden „Ferdinand“ kniende und in eine andere Richtung feuernde Russen tötete er mit einem kurzen Feuerstoß in den Rücken, einem auf ihn zustürmenden Gegner traf seine MPi-Garbe direkt in das Gesicht und riss ihm den Hinterkopf ab. Ein neben ihm laufender SS-Grenadier wurde von Treffern in die Brust gestoppt und ging wie gefällt zu Boden. Die Gruppen der deutschen und russischen Infanteristen prallten jetzt direkt aufeinander und nur noch kurze Zeit fielen Schüsse, dann war die Kampfentfernung zu gering für den Einsatz von Schusswaffen.
Fred Beyer, 7. Juli 1943, bei Belgorod
Seltsamerweise wurde die Ausführung ihres „Panther“ als D bezeichnet, obwohl das Fahrzeug aus der Reihe der ersten Serienmodelle stammte, die Benennung mit A wäre verständlicher gewesen. Der unter hohem Zeitdruck entwickelte und produzierte neue Panzertyp wies einige von der Truppe sofort beanstandete Eigenschaften auf. Die in den 60 Millimeter starken und mit 35 Grad geneigten Wannenbug eingelassene Fahrerluke war ziemlich offensichtlich als Konstruktionsmerkmal vom T 34 entlehnt worden. Der Vorteil einer guten Sicht für den Fahrer bei Marschfahrt war allerdings mit dem Verlust der Homogenität dieser günstig angeordneten Panzerplatte erkauft worden. Gleiches galt für die recht simpel erscheinende und beim Funker in Fahrtrichtung rechts liegende zu nutzende Klappe für das Bug-MG. Was den deutschen Panzermännern aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen mit der schlagkräftigen russischen Artillerie und den Panzerabwehrgeschützen aber noch mehr als verbesserungswürdig erschien, war die mit nur 40 Millimetern Stärke ausgefallene Seitenpanzerung der Wanne. Dem hatten die Konstrukteure mit den neuen beidseitig angebrachten Panzerschürzen aus Weichstahl Rechnung tragen wollen. Der Gedanke dahinter war der gewesen, vor allem die schwächer geschützten Bereiche des Fahrzeugs mit einer ersten Barriere gegen seitlichen Beschuss zu stärken. Die Russen setzten immer noch in großen Maß auf die altertümlich anmutenden langläufigen Panzerbüchsen, deren Wirkung die Deutschen aber keineswegs unterschätzten. Bei den zu erwartenden Durchbruchkämpfen musste es zwangsläufig zu einer Konfrontation mit diesen Waffen im Nahbereich kommen und auf geringere Entfernungen waren durchaus ernsthafte Beschädigungen der Panzer möglich. Von der Sache her waren die Panzermänner von dieser Schutzmaßnahme überzeugt, aber die überschnell in die Truppe gegebenen „Panther“ wiesen erhebliche konstruktive Mängel bei der Befestigung der Schürzen auf, die schnell abrissen oder von denen einzelne Elemente schon bei der Marschfahrt abfielen. Auch die in die Turmseitenwand einschneidende Kommandantenkuppel stand unter Kritik, da sie eine Geschossfangstelle ergab.
Dennoch waren Fred Beyer und seine Männer von ihrem neuen Panzer – trotz aller gegenwärtigen Probleme – begeistert. Noch nie hatten sie sich hinter der Panzerung eines Kampffahrzeuges so sicher gefühlt wie jetzt. Der Motor lieferte eine bullige Kraft ab und war vom Leistungsgewicht her gesehen sogar dem T 34 überlegen. Friedrich als versierter Fahrer wusste ganz genau, dass er die neue Maschine sehr sorgsam behandeln musste und er kannte auch die Schwachstelle der zu gering dimensionierten Seitenvorgelege, ein altes Problem deutscher Kampffahrzeuge. Aber viele Dinge an dem neuen Panzer gaben den Männern an Bord die Gewissheit, und nicht nur die vage Hoffnung, mit dem „Panther“ den russischen Gegnern endlich wieder deutlich überlegen zu sein. Dass etliche der neuen Fahrzeuge bereits auf dem Anmarsch mit Motorschäden liegengeblieben und zum Teil sogar ausgebrannt waren konnte diese Zuversicht zwar etwas dämpfen, aber den Optimismus nicht großartig beeinflussen. Mit der weiter andauernden Produktion der Panzer, deren Einsatz und den damit verbundenen Erfahrungsgewinnen würden sich diese Anlaufprobleme bald abstellen lassen. Beyer dachte in diesem Zusammenhang daran, wie der Entwicklungsweg des Panzers IV verlaufen war. Bei seiner Indienststellung war das Fahrzeug, allerdings aus jetziger Sicht, vollkommen unzureichend gepanzert und bewaffnet gewesen. Schon im Frankreichfeldzug war deutlich geworden, dass weder die schwache Panzerung noch die wenig durchschlagkräftige Kampfwagenkanone mit dem „Stummel“ zukunftssicher waren. Zwar war der Panzertyp ständig kampfwertgesteigert worden, aber erst mit den Ausführungen der Baureihe G konnte er den T 34 wieder Paroli bieten, er war in Bezug auf die Bewaffnung seit längerer Zeit seinem hauptsächlichen Gegner im Osten wieder überlegen. Dieses Muster war ein typisches Beispiel für die Weiternutzung bewährter Komponenten von Waffen und sparte damit Zeit für eine sonst erforderliche grundlegende Umstellung der Fertigungstechnologie. Beyer ahnte, dass die Fertigung der „Panther“ niemals an die Stückzahlen der T 34 herankommen würde. Ganz brutal formuliert bedeutete das für die Deutschen, dass die Panzer V dann als gelungen bezeichnet werden konnten, wenn sie ein Abschussverhältnis von 1 zu x erreichen würden, wobei das x für die Anzahl der vernichteten generischen Fahrzeuge stand und niemand diesen Wert vor dem ersten Großeinsatz definieren konnte. Vollmundig war vor allem in der Heimat der Einsatz von unschlagbaren und nicht zu zerstörenden neuen Waffen propagiert worden, aber die Männer an der Front sahen die Wirklichkeit. Die wenigen „Panther“ und „Tiger“ stellten zweifelsohne einen wichtigen Qualitätssprung in der deutschen Panzerentwicklung dar, quantitativ waren sie es nicht. Die Hauptlast der Kämpfe würde weiterhin an den robusten Panzern IV hängenbleiben. Was gern verschwiegen wurde war die Tatsache, dass die deutsche Panzertruppe in der auf dem Papier durchaus beeindruckend zu lesenden Gesamtstärke mangels Alternativen einen großen Teil von Fahrzeugen einsetzen musste, die für die Anforderungen eines Panzergefechtes des Jahres 1943 ungeeignet waren. Selbst die auf die lange 5-Zentimeter KwK umgerüsteten Panzer III waren im Kampf gegen die T 34 hoffnungslos unterlegen und konnten eigentlich nur noch als Unterstützungsfahrzeuge für die Infanterie erfolgreich Aufgaben erfüllen. In dem Sammelsurium der deutschen Panzerfahrzeuge fanden sich aber auch wirksame Geräte wie die Sturmgeschütze, deren Rolle sich vom Begleitfahrzeug der Infanterie zu einer effektiven Panzerbekämpfungswaffe gewandelt hatte. Fred Beyer hatte den Eindruck gewonnen, dass man alles Verfügbare an rollendem Material zusammengekratzt hatte, eben auch solche Provisorien wie die Panzerjäger „Marder“. Selbst russische Beutepanzer vom Typ T 34, die man mit übergroßen Balkenkreuzen versehen hatte, sollten eingesetzt werden. Erfahrungsgemäß wurden solche aufgebrachten Fahrzeuge von den Einheiten nicht an die übergeordneten Befehlsstellen weitergemeldet, so dass niemand genau wusste, wie viele gepanzerte Fahrzeuge denn überhaupt zur Verfügung standen.
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