„Sie meinen in Richtung Gottbillstraße, so wie Sie, Snydr?“
„Ich bleib nicht lange.“
„Aha. Und warum nicht?“
Snydr antwortete nicht.
„Frisiertes Moped, geliehen, nicht gestohlen, kein Führerschein und ein Bier. Große Sache, Snydr.“
„Was macht dein alter Herr eigentlich? Gulli? Ewige Jagdgründe? Oder weilt er noch unter den Saufenden?“
Elijah sagte, „Meine Geduld geht zu Ende.“
„Der 19. März 83 war ein Samstag.“
„Wow, Sie kennen den Kalender auswendig.“
„Am Morgen wars noch trocken, später hats geregnet. Schauer. Heftig. Es war kühl, so um die sechs Grad.“
„Und das Wetter kennen Sie auch. Ich bin beeindruckt. Wie war das Wetter am 1. Dezember 1970?“
„1. Dezember 1970? Was war am 1. Dezember 1970?“
Elijah antwortete nicht. Snydr sah nicht aus, als würde er sich für die Musik von Clapton interessieren.
Snydr sagte, „Das Wetter spielte eine Rolle am 19. März 83. Der Regen. Eine Rolle für dich, Leblanc.“
Als ob er das nicht wüsste.
Aber woher wusste Snydr das?
„Sie werden etwas für mich tun, Leblanc.“
„Jetzt plötzlich Sie ?“
Snydr lächelte. Zum ersten Mal. Aber es sah nicht sehr freundlich aus. Die rechte Gesichtshälfte wollte nicht so recht mitlächeln.
„Ich bin nicht der Typ, der anderen einen Gefallen tut. Fremden zumal. Und Sie sollten das mit dem Lächeln sein lassen, Snydr, sonst platzen Ihnen die Pflaster weg und der Cut springt wieder auf.“
„Soll er aufspringen. Kein Gefallen, Leblanc. Sie fahren jetzt zu der Vianne. Die wartet auf Sie. Die Vianne wird Ihnen eine Akte geben, die werden Sie sich anschauen. Sie sind Polizist, sogar ganz brauchbar, was man so hört. Sie schauen sich die Akte an, wie ein brauchbarer Polizist jeden neuen Fall anschaut. Frisch. Unvoreingenommen. Hungrig. Dann kommen Sie wieder her und sagen mir Ihre Meinung.“
„Meine Meinung zu was?“
„Zu dem, was Sie gelesen haben.“
„Was werde ich lesen?“
„Sie werden sehen.“
„Ich bin nicht der Typ, der anderen einen Gefallen tut“, sagte Elijah wieder.
„Sie werden das für mich tun, Leblanc.“
Der Ex-Polizist Snydr. Ruhig und selbstsicher, überlegen geradezu mit dem leichten Grinsen, das noch um seine Augen lag.
Wie viel wusste Snydr vom 19. März 1983?
Elijah lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
„Und falls nicht?“
„Tja, Leblanc, dann wird noch heute meine Anwältin dein BKA informieren, und deine eigenen Kollegen werden dich abholen und dein verlogenes Leben da draußen in Freiheit ist zu Ende.“
Elijah hob den Arm, und d‘Antonio kam herein und führte Snydr ab. Snydr hatte kein Wort mehr gesprochen. Elijah auch nicht.
D’Antonio kam zurück und sagte, „Ich bringe Sie nach draußen.“
Zusammen gingen sie dieselben Gänge zurück, die sie gekommen waren. Immer noch standen Türen offen, immer noch lagen Männer auf den Pritschen und saßen an Tischen. Der an der Wand gelehnt hatte, lag auf dem Boden und starrte gegen die Decke. Der vorher Liegestütz gemacht hatte, stand jetzt vor dem Fenster und machte Kniebeugen. Zu viel Energie. Oder zu viel Hass. Die Luft war immer noch heiß und stickig. Die Schlüssel in d’Antonios Hand schlugen wieder gegeneinander.
Draußen blieben sie stehen. Elijah lehnte sich gegen sein Auto und setzte den Hut auf. D’Antonio streckte ihr Gesicht in die Sonne und atmete tief ein.
„Auf der Herfahrt hat es noch geregnet“, sagte Elijah.
„Ja, hier auch heute Morgen, aber nur ein paar Tropfen. Wir brauchen Regen, dringend. Die Felder sind staubtrocken. Ich wohne auf dem Dorf. Die Bauern da sagen, die Getreideernte wird dieses Jahr eine Katastrophe. Ich esse ja kaum Getreide, aber trotzdem. Für die Bauern tuts mir leid.“ Sie guckte. „Ist die Karosserie nicht zu heiß zum dagegen Lehnen?“
Elijah schüttelte den Kopf. „Sagen Sie, Snydr, was hat der angestellt?“
„Das wissen Sie nicht?“
„Ich hatte keine Zeit für Erkundigungen. Kann aber nicht viel sein, Sie haben hier ja nur die Untersuchungshäftlinge und die weniger als zwei Jahre bekommen. Snydr hat gesagt, er bliebe nicht lange.“
„Da hat Snydr wohl Recht.“ Sie sagte, „Zechprellerei.“
„Zechprellerei? Snydr hat die Zeche geprellt? “
„Hier mal ein Bier, da mal ne Currywurst, ne Pizza. Kennen Sie die Frittenbude hinter der Porta? Porta Nigra? Kennen Sie die Porta Nigra, das Trierer Wahrzeichen? Die ist von hier aus hinter-“
„Ich stamme aus Trier“, sagte Elijah, „ich kenne die Porta.“
„Ah ja? Also, die Frittenbude hinter der Porta, drei Mal hat er da Currywurst bestellt, drei Mal hat er nicht bezahlt. Ist nicht weggelaufen, sondern hat einfach nicht bezahlt und gewartet, bis seine Kollegen kamen. Ex-Kollegen. Genauso in mehreren Pizzerien. Wurde jedes Mal angezeigt, hat aber nicht damit aufgehört. Und die Post von der Staatsanwaltschaft hat er auch ignoriert. Kam schließlich vor den Kadi.“
„Aber trotzdem, wieso ist er dann hier? Der Richter hat ihn ermahnt und ihm eine Geldstrafe aufgebrummt und fertig.“
„Zweitausend Euro.“
Elijah nickte. Er verstand. „Die hat Snydr also auch nicht bezahlt?“
„Sonst wäre er nicht hier.“
„Wie lange wird er sitzen?“
„Jetzt noch fünfzig Tage.“ D’Antonio lachte und schüttelte den Kopf. „Hat eine Geldstrafe von zweitausend Euro bekommen, bezahlt die aber nicht und wählt stattdessen Ersatzfreiheitsstrafe. Verrückt, nicht? Der ist als Kommissariatsleiter in Pension gegangen, der bezahlt zweitausend Euro wie nix. Und‘n Bier und ne Currywurst und ne blöde Pizza sowieso. Geht aber stattdessen lieber in den Knast, wo garantiert ist, dass er auf Bekannte trifft.“
„Und der Amerikaner“, sagte Elijah, „dieser Marine. Nevada. Warum sitzt der hier und nicht bei seinen eigenen Leuten? Dafür haben die doch ihre Militärgefängnisse.“
„Als der hierher kam, war der kein Marine mehr. Schon lange nicht mehr. Ist ja mittlerweile auch schon älter. Hält sich aber immer noch für einen Marine, einmal Marine, immer Marine und so. War lange in Deutschland stationiert, hat wohl auch eine deutsche Mutter, deshalb spricht er unsere Sprache. Bei dem dreht sich das ganze Leben um Drogen. Vor allen Dingen Handel, weniger Konsum. Das auch, aber weniger. Hat dann in seiner Heimat mehrfach gesessen, zuletzt war er wieder in Freiheit, hat aber die Freiheit falsch genutzt und jemandem im Streit ein Auge rausgeschlagen und ihm anschließend das Genick gebrochen. Chicago, glaub ich, es ging jedenfalls wieder um Drogen. Wurde wegen Mordes per Haftbefehl gesucht, und weil ihm da drüben mit all den Vorstrafen jetzt hundert Jahre Knast winken, hat er sich dann nach hier abgesetzt. Ist dann aber in irgendeinem Puff in der Stadt in eine Schlägerei gekommen. Die Kollegen von der Polizei mussten anrücken und haben auf der Wache gemerkt, wer ihnen ins Netz gegangen ist. Pech. Der wird noch eine kleine Weile hier bleiben und dann ausgeliefert. Und irgendwann drüben in einem Gefängnis sterben.“
„Umso verwunderlicher, dass ihr jemanden wie Snydr mit seinen zweitausend Euro und fünfzig Tagen zu diesem genickbrechenden Nevada steckt, auf den hundert Jahre warten.“
„Wird bereits untersucht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Weiß der Teufel, wer das verbockt hat. Unsre Chefin ist so was von sauer darüber, die hat richtig getobt. Weil Nevada schon ein besonderer Problemfall ist, das wussten wir ja alle, und wir haben auch Platz, andere Zelle wär kein Problem gewesen. Der Blödmann, dem das durchgerutscht ist, der kriegt einen auf den Deckel.“
„Weshalb ist Nevada denn gerade hierher gekommen? Nach Trier, meine ich. Von Chicago nach Trier, nicht gerade eine vielbereiste Route. Hat er hier Verwandte oder Bekannte?“
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