Ein Blick in die Gesichter seiner Zuhörer bewies Lengen, dass er gewonnen hatte. Das aufkommende Glücksgefühl mit Gewalt unterdrückend, schaute er nacheinander jeden in der Runde aufmunternd an, sich zu seinem Vorschlag zu äußern.
David Zelter fasste sich als erster und durchbrach die Mauer des betretenen Schweigens, das den Raum ausfüllte. „Alles, was recht ist, die Überraschung ist dir gelungen! Ich möchte dir nur zu gerne glauben. Immerhin habe ich eine ganze Menge Geld in mein Observatorium gesteckt und das Segeln ist auch nicht billig. In meiner Situation, bei meinem Gehalt, kann ich mir einfach keine Pleite mehr leisten. Wer sagt uns also, dass wir nicht vom Regen in die Traufe kommen, sollten wir auf dein Angebot eingehen?“
„Richtig, und deshalb gibt’s von mir auch keinen Cent mehr. Ich habe weiß Gott keine Lust, noch mehr Geld zu verlieren“, schimpfte der Metzger mit hochrotem Kopf. „Ich weiß jetzt schon nicht, wie ich die Verluste meiner Frau erklären soll.“ Kaum verhohlenes Grinsen begegnete ihm, denn im Dorf war es ein offenes Geheimnis, wer im Hause Kessler die Hosen anhatte.
„Ich bin der gleichen Ansicht wie David. Was du sagst, hört sich nicht schlecht an. Aber welche Garantien bietest du uns? Das musst du doch verstehen. Versetze dich in unsere Lage. Wir brauchen Sicherheiten, um nicht noch einmal in einen solchen Schlamassel zu rutschen“, unterstützte Georg Dähler seinen Freund Zelter.
„Eure Skepsis ist nur zu verständlich, aber glaubt mir, sie ist vollkommen unbegründet. Ihr könnt euch vorstellen, dass auch ich unter gar keinen Umständen mehr in eine so prekäre Lage kommen möchte. Deshalb betone ich noch einmal, nur Transaktionen ins Auge zu fassen, die größtmögliche Sicherheit bieten. Ich wiederhole: größtmögliche Sicherheit. Das heißt, einen Teil des Geldes in sichere Anlagen wie Tagesgeld, Festgeld, Sparbriefe, usw. und den Rest in offenen Fonds oder ähnlichen Anlageformen, die eine hundertprozentige Einlagensicherung gewährleisten. Sollte jemand risikoreichere Anlageformen wünschen, um eine höhere Rendite zu erzielen, kann er jederzeit mit mir reden.“ Er blickte kurz in die Runde und schloss dann: „Ich hoffe, dass ich euch überzeugen konnte und eure Zusagen erhalte.“
Ein breites Nicken bestätigte ihm, die letzten Vorbehalte ausgeräumt zu haben und Albrecht unterstrich noch einmal, wie sehr ihn die Argumentation überzeugt hatte.
„Ich für meinen Teil, der wenig von finanziellen Dingen versteht, bin jetzt beruhigt und glaube, dass mein Geld bei dir in guten Händen ist. Mein Einverständnis hast du.“
„Albrecht, ich danke dir für dein Vertrauen. Was meinen die anderen?“, fragte Lengen siegessicher und Heidi Weißkirch, Gregor Dähler und David Zelter bestätigten noch einmal, dass er sie überzeugt habe. Lediglich Wilfried Kessler blieb bei seiner ablehnenden Haltung.
„Mich hast du nicht überzeugt und deshalb werde ich mich nicht mehr an diesem Geschäft beteiligen. Das geht nicht gegen dich, Walter, aber ich habe einfach zu viel Geld verloren, das ich für die Renovierung meines Geschäftes dringend benötigt hätte.“
„Ich respektiere selbstverständlich deine Entscheidung, Wilfried. Schlafe noch mal darüber. Vielleicht überlegst du es dir ja doch noch anders. In diesem Fall weißt du ja, wo ich zu finden bin“, verbarg Lengen hinter einem verbindlichen Lächeln seinen Ärger über die Ablehnung. „Dann wären wir uns einig“, schloss er die Zusammenkunft. „In den nächsten Tagen werde ich mich bei euch melden. Ich bedanke mich für euer Kommen und wünsche euch eine gute Heimfahrt.“
Endlich war er alleine und konnte seinen Erfolg genießen. Er goss einen Cognacschwenker randvoll, nahm einen großen Schluck und ließ sich in seinen Sessel fallen. Er hatte es geschafft. Na ja, – beinahe.
„Und? Wie ist es gelaufen?“, wollte die Stimme am Telefon wissen. „Glänzend! Ein Sieg auf ganzer Linie. Sie waren Wachs in meinen Händen. Das Gespräch verlief genauso, wie ich es geplant hatte. Nur ...“, zögerte Lengen einen Moment.
„Nur ...?“, wiederholte die Telefonstimme und ihrem drohenden Unterton entnahm man, dass sie keine Einschränkungen duldete.
„Nur einer …“, machte der Sparkassenleiter noch einmal eine Sprechpause, sog unüberhörbar die Luft ein und versuchte seiner Stimme Festigkeit zu verleihen, um seine Verlegenheit zu überspielen.
„Ja, ich höre?“, nahm die Stimme seines Gegenübers noch an Schärfe zu.
„Nur einer …“, nestelte Lengen mit einer fahrigen Bewegung nach seinem Taschentuch, um die auf seiner Stirn erscheinenden Schweißperlen abzutupfen. ,Wilfried Kessler, der Metzger, machte unerwartete Schwierigkeiten und tanzte aus der Reihe. Da halfen auch all meine Überredungskünste nichts. Dieser sture Esel ließ sich einfach nicht von seiner starrsinnigen Haltung abbringen. Dem müsste man eine Lektion erteilen, um ihn wieder auf Kurs zu bringen.“
„Verstehe“, kam die sachliche Antwort. „Das werden wir übernehmen“, und mit unverkennbarem Ärger fügte die Stimme hinzu: „Versuchen Sie nicht noch einmal, mir einen allenfalls halben Sieg als gewonnene Schlacht zu verkaufen. Verarschen kann ich mich selbst. In unserem Geschäft gibt es auch ohne ihr Geschwätz schon genug Schwierigkeiten. Ich hoffe, wir haben uns verstanden. In Zukunft keine Fehler mehr!“
Das Gespräch war beendet. Lengens Schweißperlen wurden nicht weniger und dokumentierten mit der einsetzenden Gesichtsröte den beängstigenden Grad seiner wachsenden Besorgnis. Mit dem unangenehmen Gefühl, einen Pyrrhussieg errungen zu haben, rief er nach seiner Sekretärin.
*
Peter holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, legte sich auf die Couch und hörte gelangweilt den Anrufbeantworter ab. Im Gegensatz zu gestern bot er heute eine ungeahnte Fülle überflüssiger Nachrichten an, die nur darauf warteten, gelöscht zu werden. Zwei Meldungen ließen ihn aufhorchen. Zum einen hatte Bernd die Telefonnummer der Kanzlei Reuter durchgegeben und zum anderen teilte ihm Claire mit, dass sie am Samstag gegen neun Jean-Pierre bringe. Die Freude, seinen Sohn wiederzusehen, wurde noch durch den ungewöhnlichen Umstand verstärkt, dass die Meldung seiner Frau entgegen aller Erfahrung keinerlei Beschimpfungen enthielt. Er runzelte verwundert die Stirn und konnte sich ein bissiges Grinsen nicht verkneifen. Sollte Claire ernsthaft erkrankt sein? Sie litt doch hoffentlich nicht an partieller Amnesie. Kaum auszudenken, wenn das jetzt bei ihr Schule machte und sie zukünftig alle Gehässigkeiten unterließe. Er musste zugeben, dass ihn der Gedanke daran doch einigermaßen verunsicherte und er keine Vorstellung hatte, wie er darauf reagieren sollte. Vor seinem geistigen Auge sah er schon das subtile Geflecht ihrer über etliche Ehejahre dicht gesponnenen Nickeligkeiten und Bosheiten zerreißen. Mit dem Gedanken an den lieb gewonnenen Krieg schlief er schmunzelnd ein.
„Wann machst du endlich Nägel mit Köpfen und sagst es deiner Frau“, regte sich Heidi Weißkirch zum x-ten Mal über Davids Untätigkeit auf. Die Dorfkrug-Wirtin lag rauchend auf ihrem Bett, hatte den linken Arm hinter dem Kopf verschränkt, schaute mit vom Sex noch leicht gerötetem Gesicht zur Decke und haderte mit ihrer Situation. „Ich habe es so satt, immer wieder vertröstet zu werden. Lange mache ich das nicht mehr mit. Langsam muss ich sehen, wo ich bleibe. Ich bin nicht mehr die Jüngste und das Leben ist kurz. Deine Feigheit stinkt zum Himmel. Seit Jahren erzählst du mir, dass du nur mich liebst und deine Frau verlassen wirst, aber nichts geschieht. Die Liste deiner Ausreden ist inzwischen länger als der Sommerfahrplan der Deutschen Bahn.“
Sie nahm einen tiefen Zug, schnippte die Asche ihrer Zigarette ab, drehte sich zu David hin und sagte dann mit frustriertem Lächeln: „Irgendwie kann ich dich sogar verstehen. Das ist ja auch bequem, hierhin ohne jede Verpflichtung zum ..., zum ..., wie soll ich sagen, zum Vögeln zu kommen und zu Hause den liebevollen Ehemann und Vater zu spielen.
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