„Stimmt, aber nur auf dem Papier. Meine Eltern waren nicht sonderlich religiös und haben mir in Sachen Religion völlig freie Hand gelassen. Ich habe nach meiner Kommunion so gut wie nie mehr an einer Messe teilgenommen.“
„Reine Schutzbehauptung“, knurrte Peter.
„Zum anderen“, schloss sie unbeirrt Ihre Erklärung, ohne auf seinen Kommentar weiter einzugehen, „hat der Begriff ‚mea culpa’ Eingang in die Umgangssprache gefunden und dient des Öfteren, das solltest du dir unbedingt merken, als Entschuldigung.“
„Danke für den Hinweis. Lass uns Schluss machen für heute. Ich kann die Augen kaum noch aufhalten.“
Er stand auf und ging in Richtung Tür. „Tschüs, bis morgen. Übrigens, gute Arbeit - und einen Effekt hatte deine Aktion ja auch schon. Kaum einer kennt sich jetzt mit Rosenkränzen und Schuldbekenntnissen so gut aus wie du.“
Heidi Weißkirch, Gregor Dähler, Willfried Kessler und David Zelter hatten sich an diesem frühen Dienstagabend im Büro von Walter Lengen eingefunden und spekulierten lautstark, wer Klaus Greber ermordet haben könnte und was ihnen der Sparkassenleiter wohl im Einzelnen zu sagen habe. Trotz seiner reichlich indifferenten Ausdrucksweise am Telefon war jedem klar, warum er sie zwei Tage nach Grebers Tod zu einem sofortigen Treffen in die Sparkasse genötigt hatte. Es konnte nur um Geld gehen, genauer – um ihr Geld.
„Verdammt noch mal, wo bleibt der denn?“, regte sich Wilfried Kessler mit einem Blick auf seine Uhr auf und konnte ja nicht ahnen, dass sie der Zweigstellenleiter als Teil seiner Strategie ganz bewusst warten ließ. Im Ungewissen lassen war eine von Lengen regelmäßig angewandte taktische Maßnahme, um seine Ziele in Gesprächen erfolgreicher durchsetzen zu können.
Mit zehn Minuten Verzögerung betrat er sein Dienstzimmer und erst nachdem jeder mit einem Getränk versorgt war, begann er zu sprechen: „Danke, dass ihr so schnell gekommen seid. Entschuldigt meine Verspätung, aber ich wurde durch ein Telefonat aufgehalten. Ich sehe, wir sind so weit vollzählig“, schaute er in die Runde. „Albrecht, den ich ebenfalls benachrichtigt habe, kommt zirka zwanzig Minuten später.“
„Was gibt’s denn so Dringendes, dass ich meine Geschäftszeit dafür opfern soll?“, unterbrach ihn Wilfried Kessler merklich ungehalten.
„Das würde mich auch interessieren. Immerhin muss ich in einer halben Stunde den Dorfkrug öffnen und gerade du solltest wissen, dass ich zurzeit jeden Cent brauche“, meinte Heidi Weißkirch mit einem nicht zu überhörenden, vorwurfsvollen Unterton.
„Ich kann euren Unmut gut verstehen. Aber durch Klaus’ Tod ist eine Situation entstanden, deren Klärung meiner Ansicht nach keinen Aufschub duldet. Unsere Finanzen müssen schnellstens neu geregelt werden, sonst drohen uns noch gravierendere Verluste.“
„Dann sollten wir warten, bis Albrecht da ist, denn diese Problematik betrifft ihn doch auch“, warf David Zelter ein, der mit dem Chorleiter aufgrund ihrer gemeinsamen kirchlichen Arbeit freundschaftlich verbunden war.
„Ach was, komm zur Sache!“, winkte Georg Dähler, der Bürgermeister, ab.
„Sollte Albrecht Wesentliches verpassen, werden wir ihn informieren. Auch meine Zeit ist begrenzt. Wir haben doch heute Abend noch Gemeinderatssitzung.“
Zustimmendes Nicken der anderen bestätigte, dass sie ebenfalls beginnen wollten.
„Also gut, fangen wir an. David, du kannst ja Albrecht nachher das Wichtigste mitteilen“, wandte sich Lengen an Zelter, ehe er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen kam.
„Ich habe um dieses Meeting gebeten, weil sich durch den plötzlichen Tod unseres Freundes Klaus – ich deutete es bereits an – eine völlig neu zu bewertende Lage ergeben hat. Ich weiß nicht, wer Klaus umgebracht hat. Aber ich bin mir sicher, dass es eine ganze Menge Leute gibt, die ebenso wie wir viel Geld durch ihn verloren haben und eine Stinkwut auf ihn hatten.“
„Vielleicht war es ja einer von uns!“, witzelte David Zelter und handelte sich augenblicklich wegen des geschmacklosen Scherzes empörte Blicke ein.
„Auch wir haben bei ihm investiert“, ließ sich Lengen durch den Zwischenruf nicht irritieren, wiederholte, ohne darauf einzugehen, seinen begonnenen Satz und fuhr dann fort, „anfangs mit hohen Gewinnen, zuletzt mit beängstigenden Verlusten. Und ich sage bewusst – wir alle, weil auch ich erhebliche Einbußen hatte. Wir sitzen also im selben Boot.“
„Was sagst du da?“, entrüstete sich der Bürgermeister und jeder konnte ihm ansehen, was er von Lengens Beteuerungen hielt. „Du willst uns allen Ernstes erzählen, dass auch du über den Tisch gezogen wurdest. Du glaubst doch nicht, dass dir das irgendjemand hier im Raum abnimmt. Für wie naiv hältst du uns eigentlich? Du warst es doch, der uns, mehr noch als Klaus, ein ums andere Mal weismachen wollte, dass unsere Geldanlage risikolos sei.
Selbst als die Immobilienblase in den USA schon geplatzt war und der Zusammenbruch der Lehmann-Bank den internationalen Finanzskandal einleitete, bekamen wir von dir zu hören, dass es sich bei der Krise lediglich um eine vorübergehende Schwäche handele. Keiner von uns müsse sich Sorgen um sein Geld machen.“
„Wenn du mich mal ausreden ließest, könnte ich euch den Sachverhalt erläutern“, versuchte Lengen das Heft wieder in die Hand zu nehmen, wurde jedoch vom energischen Läuten seines Handys unterbrochen. „Hallo Albrecht. In Ordnung. Ich mache dir sofort auf.“ Mit einem ‚Einen Moment bitte’ entfernte er sich, um zwei Minuten später mit dem Chorleiter zurückzukehren. „Tut mir leid, die Chorprobe hat länger gedauert“, entschuldigte sich Albrecht für seine Verspätung.
„Wir haben eben festgestellt, dass Klaus uns über die Risiken seiner Geldanlagen im Unklaren ließ. Zuletzt ging es um die Frage, wieweit ich in seine Geschäfte involviert war, und sie unterstützte“, setzte Lengen den Chorleiter ins Bild, ehe er mit seiner Stellungnahme fortfuhr.
„Ich gebe zu, dass ich mich von Klaus zu sehr beeinflussen ließ und meine Einschätzung der Entwicklung am Immobilien- und Finanzmarkt nicht in vollem Umfang der Realität entsprach. Genau wie ihr habe ich mich, gestützt auf unvollständige Unterlagen und Fehlinformationen, von den anfänglichen Gewinnen blenden lassen, und obwohl ich es als Finanzfachmann hätte besser wissen müssen, gelang es Klaus, meine vorgetragenen Bedenken zu zerstreuen. Er hat mit voller Absicht nicht nur Euch, sondern auch mich getäuscht.“
Lengen ließ die seinen Worten folgende Stille einen Moment wirken und unterbreitete dann in das einsetzende Raunen hinein seinen Vorschlag. „Wir können Klaus nicht mehr zur Verantwortung ziehen. Was wir aber können: Wir können die Resignation beiseite schieben und neue, Erfolg versprechende finanzpolitische Wege beschreiten. Deshalb unterbreite ich euch folgendes Angebot:
Alle finanziellen Transaktionen, die Klaus für euch tätigte, übernehme ich. Ihr habt mein Versprechen, alles in meiner Macht Stehende zu tun, uns wieder in die Gewinnzone zu bringen. Zukünftige Investitionen werde ich so tätigen, dass sie krisensicher sind.
Einen Teil lege ich zu den zurzeit marktüblichen Zinsen an und den Rest investiere ich mit deutlich höherer Rendite in andere marktflexiblere Formen.“
‚War das nun ausgemachte Chuzpe oder meinte dieses Schlitzohr das wirklich ehrlich?’, fragte sich Georg Dähler und laut sagte er, als sich die Spannung allmählich löste: „Ist das nicht ein bisschen billig, das Finanzdesaster Klaus allein anzulasten, denn der kann sich ja nicht mehr wehren?“
„Es mag so aussehen. Aber ich versichere euch, dass ich die Wahrheit gesagt habe. Hätte ich Kenntnis vom Ausmaß der riskanten Spekulationen gehabt, hätte ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, euer Geld zu retten. Das müsst Ihr mir glauben.“ Die Intonation mit Starkton auf ‚Ausmaß’, auf ‚Himmel und Hölle’ und auf ‚euer’ sowie der Gesichtsausdruck des ehrlichen Maklers unterstrichen eindrucksvoll seine Worte und verfehlten ihre Wirkung nicht.
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