1. Auflage
Copyright © EPIDU Verlag GmbH, Aachen 2013
Umschlagsgestaltung: Emil Bartlomiejczak
Druck: epubli GmbH
Printed in Germany
ISBN Print 978–3–8442–7373–1
ISBN eBook 978–3–8442–7375–5
Kurzgeschichten Anthologie
www.bloggdeinbuch.de
„Ungewöhnliche Freundschaften“ ist entstanden aus der Aktion „Blogger schreiben Geschichte“ von Blogg dein Buch in Kooperation mit epubli und der Bastei Lübbe Academy. Blogger bekamen die Chance einmal selbst Autor zu sein und ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Unter zahlreichen selbst geschriebenen Geschichten wurden durch eine Jury die zehn Interessantesten ausgewählt und in dieser Anthologie zusammengetragen. Der Erlös aus dem Verkauf kommt der Hasenschule zugute, eine Schule für Kinder mit Lernproblemen.
Ein großes Dankeschön für die Unterstützung an die Juroren der Autorenschule Bastei Lübbe Academy und der Online-Plattform epubli.
Des Weiteren danken wir herzlich allen fleißigen Bloggern für ihre Kreativität und die Teilnahme an der Aktion. Wir gratulieren allen, deren Geschichten es in dieses Buch geschafft haben!
Julia Boege
Blog: Juju’s Universe
»Erinnerst du dich noch an unser erstes Treffen?«
Jenny nickte nur ein einziges Mal, wobei ihr Blick aber auf das Meer gerichtet blieb, das wild tosend gegen die steilen Klippen prallte. Die Spritzer flogen bis zu ihnen hinauf und hinterließen dunkle Punkte auf ihrem weißen Kleid. Sie kämpfte mit den Tränen, die sich in ihren Augen sammelten. Jerry aber sprach ungerührt weiter.
»Du saßt auf dieser Bank, genau wie wir jetzt und schienst so verloren.« Seine Stimme hatte diesen Klang angenommen, welchen die eigene Stimme automatisch annimmt, wenn man über die Kindheit spricht. »Ich war verloren.« Jennys Stimme dagegen klang gepresst, rau und voller Trauer.
»Ja das warst du.« Es war nur eine Feststellung. Ohne Wertung, ohne Emotionen.
»Ich habe dich gefunden, hier, als dich alle zurückgelassen haben. Du hast mit deinen roten Haaren gestrahlt wie ein Leuchtturm, der vollkommen alleine auf der Klippe steht und darauf wartet, dass endlich ein Schiff vorbeikommen würde. Nur damit er endlich Gesellschaft haben würde. Auch wenn es nur für wenige Augenblicke wäre. Dein Schluchzen konnte man auch von Weitem hören, wie der Gesang einer Sirene, die unerfahrene Seefahrer anlocken will. Jenny, dein kleines weißes Gesichtchen war so rot vom vielen Weinen und du hast gezittert wie Laub im Wind. Du hast mir so Leid getan. Weißt du noch was das Erste war, was ich zu dir sagte, Jenny?«
Nun hatte sich doch eine Träne aus ihrem Auge geschummelt und lief ihre Wange herab. Die heiße Spur brannte sich in ihre Haut. Ihr Make-up war sicher bereits jetzt schon ruiniert. Dennoch musste sie bei dieser Erinnerung lächeln.
»Du hattest gefragt, welche Eissorte ich am liebsten esse.« Dies war genau die richtige Frage gewesen. Es hatte sie damals aus dem Konzept gebracht und das Überlegen hatte ihre Tränen trocknen lassen. Ihre Antwort war Schokolade gewesen. War es noch immer. Seit diesem Tag waren sie Freunde gewesen. Wie sehr hatte sie sich einen Freund gewünscht. Wie sehr hatte sie genau in diesem Moment einen Freund gebraucht. Manchmal glaubte sie, dass Jerry aus ihrem Wunsch heraus entsprungen war. Wie ein mystischer Geist, der den Helden in ihren Büchern zur Seite stand. So passend war der Zeitpunkt seines Erscheinens gewesen. So perfekt seine Worte und Taten.
Jenny seufzte. »Meine Jenny.« Als Jerry weiter sprach, konnte sie deutlich ein Lächeln in seiner Stimme hören. »Und erinnerst du dich an all die Abenteuer, die wir erlebt haben? Gemeinsam.«
Sie hatten schon viel angestellt. Da hatte Jerry Recht. Er hatte sie aus ihrem Schneckenhaus gelockt, mit dem Versprechen, ihr die ganze Welt und alles was dahinter lag zu zeigen. Jerry hatte sie angestiftet zu Dingen, die ihr selbst nur im Traum eingefallen wären. »Erinnerst du dich an den Tag, als wir das Boot gestohlen haben?«
»Ausgeliehen.« Unterbrach Jenny ihn schnell. Ihren Einwurf quittierte er mit einem lauten Lachen, das selbst Jenny zum Lachen brachte. Sie zum Lachen bringen, das hatte Jerry immer geschafft.
»Also gut, als wir uns das Boot ausgeliehen haben und zur Höhle gefahren sind. Das war ein Abenteuer. Als wir den Piratenschatz gefunden haben. Voller Gold und Juwelen. Was haben wir uns gefreut und getanzt, bis plötzlich die Piraten aufgetaucht sind.« Jerry bekam sich kaum noch ein vor Lachen, während sich in Jennys Augen schon wieder die Tränen sammelten. »Ach, die fanden das gar nicht witzig und wollten uns als Geiseln nehmen. Erinnerst du dich noch daran, Jenny?«
Jenny schluckte schwer, in der Hoffnung ihre Stimme dadurch gefasst klingen zu lassen. »Natürlich erinnere ich mich.« Es gelang ihr nicht besonders gut. »Aber dadurch, dass wir so klein waren, sind wir durch ihre Beine hindurchgeschlüpft.« Jerry nickte heftig. »Doch nur dieser Sprung über die Klippe auf unser Boot konnte uns retten. An dem Tag warst du sehr mutig.« Jenny lächelte. Sie liebte es, wenn Jerry sie als mutig bezeichnete. Sie selbst würde sich diese Eigenschaft nie zusprechen.
»Nicht so mutig wie du.« Jerry winkte ab. »Ach Papperlapapp, für mich ist es nicht schwer, mutig zu sein.«
Beide schwiegen einen Moment und starrten in die Ferne. So sehr das Meer auch gegen die Klippen tobte, so ruhig wirkte es am Horizont.
Jenny holte einmal tief Luft, doch bevor sie anfangen konnte zu sagen, was sie sagen wollte, sprach Jerry schon wieder.
»Oh Jenny, ich musste gerade an unsere Begegnung mit dem Drachen denken. Das war ein Abenteuer. An deinem Geburtstag war das, oder? Ganz alleine warst du und hattest nicht einmal einen Kuchen. Doch dann habe ich dich abgeholt und dich zu den Tunneln geführt. Weißt du noch Jenny?«
Jerry sprach ganz schnell und verhaspelte sich dabei sogar, so aufgeregt ließ ihn diese Erinnerung werden. Natürlich erinnerte sich auch Jenny an diesen Tag. Früh morgens war sie aufgewacht und wie jedes Jahr zuvor nach unten gelaufen, um ihre Geschenke auszupacken. Die Sonne war gerade erst aufgegangen und es war schrecklich kalt gewesen im Haus, denn niemand hatte den Kamin angemacht. Sie hatte furchtbar gefroren, als sie auf Söckchen nach unten gelaufen war. Doch in diesem Jahr war alles anders gewesen. Kein einziges Geschenk hatte dort auf sie gewartet und keiner hatte Kuchen für sie gebacken. Als sie, das einsame kleine Mädchen, dort unten vollkommen alleine in der Dunkelheit gestanden hatte und anfing zu weinen, da stand Jerry draußen vor der Tür mit einem Kuchen und dem Plan in den Tunnel unter der Stadt zu klettern, um diesen zu erforschen.
»Ich hatte gar nicht gewusst, dass wir ein Tunnelsystem unter uns haben.«
Jerry lachte voller Euphorie. »Ich glaube, dass war unser spannendstes Abenteuer. Erst die Erkundung des Tunnels, der immer tiefer in die Erde führte. Als die Dunkelheit uns so umgab und wir einfach nicht mehr wussten, wo Vorne und wo Hinten ist, das war schon gruselig. Wir hatten uns total verlaufen und dann hattest du sogar angefangen zu weinen. So wie du es jetzt tust.«
Jenny selbst hatte gar nicht gemerkt, wie ihr die Tränen die Wangen herunterliefen. Na toll… dachte sie, nun war ihr stundenlang aufgetragenes Make-Up total ruiniert. »Aber ich konnte dich ja wie immer beruhigen und wir sind den richtigen Weg weitergegangen. Ach, ich liebe Labyrinthe. Du nicht auch, Jenny?« Sie hatte ein Taschentuch aus ihrer kleinen Tasche gefischt und versuchte nun zu retten, was noch zu retten war. Doch sie ahnte, wie schwarz die Ränder unter ihren Augen aussehen mussten. »Ich liebe alle Arten von Rätseln.« »Das stimmt, und am Ende dieses Rätsels hat der Drache auf uns gewartet. Hätten wir ihn bloß nie aufgeweckt, doch du musstest ja unbedingt weinen. Aber ein merkwürdiger Drache war das schon. Ich meine, wer hat schon von einem Drachen gehört, der von weinenden Kindern Migräne bekommt. Kein Wunder, dass er so tief unter der Erde lebte. Ich hatte wirklich Angst, als er versuchte dich zu entführen.«
Читать дальше