Kyopo / 교 포
Weiße Schmetterlinge
Drama/Coming of age
von Young-Mi Kuen
Tu, wovon du überzeugt bist – kritisiert wirst du sowieso!
Impressum
Kyopo – Weiße Schmetterlinge von Young-Mi Kuen
Copyright: © 2012 Young-Mi Kuen
info@ymk-words.de
www.ymk-words.de
Bildgestaltung für das Cover: Nico Chiriatti
Published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-2812-0
Es war einmal ein kleines Mädchen, das hieß So-Young. So-Young war 5 Jahre alt und lebte mit ihrer Mutter in einem Dorf am Fuße der hohen Berge.
Am liebsten war So-Young draußen. Zuhause in ihrer kleinen Hütte gab es nicht viel Platz zum Spielen. Die Hütte hatte nur einen Raum, in dem So-Young und ihre Mutter auf Reismatten auf dem Boden schliefen.
Sobald die Sonne aufging, standen So-Young und ihre Mutter auf, legten ihre Decken zusammen und aßen Reis und Gemüse aus kleinen Schalen. Dabei saßen sie auf dem Boden.
Eines Tages, es war noch sehr früh, die Sonne war gerade aufgegangen, ging So-Young mit ihrer Mutter spazieren. Sie gingen an den Reisfeldern vorbei, die jetzt noch leer waren, aber auf denen später die Reisbauern stehen und arbeiten würden. Sie gingen über eine Brücke an einem kleinen Wasserfall vorbei, an dem So-Young, wenn es sehr heiß war im Sommer, ihre Beine in den Wasserstrahl hielt. An einer Blumenwiese machten sie halt. So-Young hüpfte fröhlich umher, während ihre Mutter Kräuter sammelte und Minsogak, eine koreanische Melodie summte.
Die Sonne schien auf die beiden nieder.
Aus der Mitte der Blumenwiese erhob sich ein kleiner weißer Schmetterling, der unbekümmert von einer Blüte zur nächsten Blüte flatterte. Als würde er So-Young kennen, flog der kleine weiße Schmetterling zu ihr und ließ sich auf ihre Schulter nieder. So-Young freute sich.
Sie lief zu ihrer Mutter und rief: „Schau mal, Mama, ich habe einen Schmetterling gefunden!“
Die Mutter blickte von ihrem Korb auf und gab einen erschrockenen Laut von sich. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet. So-Young sah ihre Mutter irritiert an.
Sie fragte: „Was ist los? Hat dich eine Biene gestochen?“
Die Mutter schlug mit der Hand nach dem weißen Schmetterling auf So-Youngs Schulter. Doch der Schmetterling entwischte der mütterlichen Hand und flatterte weiter. Das Gesicht der Mutter wurde blass.
So-Young konnte sich keinen Reim auf das merkwürdige Verhalten ihrer Mutter machen und fragte sie: „Was hast du, Mama?“
Ihre Mutter nahm ihre Tochter in die Arme und schaute So-Young besorgt an. Ihre Mutter sagte: „Das war der erste Schmetterling in diesem Jahr.“ So-Young wurde ganz still. Sie spürte, dass dieser Satz etwas Schreckliches zu bedeuten hatte.
Die Augen der Mutter glänzten. Ihre Mutter fuhr fort: „Ein Mensch, den wir kennen, wird sterben.“
So-Young drückte sich fester an Ihre Mutter. Ängstlich fragte sie: „Wer? Wer wird sterben?“
Ihre Mutter schien So-Youngs Frage nicht gehört zu haben. Sie sah in die Ferne. Plötzlich wurden die Farben der Blumenwiese blasser und blasser...
Hände griffen in Schälchen mit getrocknetem Tintenfisch. Erdnüssen. Salzigem Gebäck.
Aus dem Aschenbecher stieg der Qualm von Zigaretten empor. Eine Hand griff nach der Zigarette und führte sie zum Mund. In den dunklen Augen blitzte Triumph auf – bis der kleine Song (10 Jahre) auf die Karten in der Hand deutete. Song fragte: „Bist du der König, Papa?“ Songs Vater stöhnte laut auf und warf die Karten nach dem Kind. Auch die anderen Kartenspieler lachten.
Während die Männer die Karten neu mischten, saßen die koreanischen Frauen mit ihren Töchtern draußen auf der Terrasse. Sie legten den Boden der Terrasse mit viel Zeitungspapier aus. Dann setzten sich die Frauen auf den Boden und begannen, Gemüse klein zu schneiden. Ein paar Meter weiter kam Frau Chang, Cerins Mutter, aus dem Badezimmer. In ihrem Haar waren Lockenwickler. Mit Stolz verkündete sie: „Cerin wird gleich auf dem Klavier vorspielen.“ Die anderen Frauen sahen Cerin (8 Jahre) anerkennend an.
Frau Lee, Mutter von So-Young, schimpfte: „Was soll das, So-Young?“ Die anderen Frauen schauten neugierig zu So-Young (7 Jahre), die neben ihrer Mutter saß. In ihren Händen hielt sie ein Stück Gurke, das sie zu einem Schmetterling geschnitzt hatte. Ihre Mutter nahm den Gurkenschmetterling und warf ihn auf den Haufen für Abfälle. Frau Lee schimpfte weiter: „Werde endlich vernünftig!“ So-Young sah ihre Mutter unsicher an und verteidigte sich: „Aber das habe ich doch getan, damit niemand dieses Jahr sterben muss!“
Die anderen Frauen sahen sich an – und brachen in Gelächter aus. Frau Lee war das ganz offensichtlich unangenehm. Genervt sagte sie zu ihrer Tochter: „Geh schon spielen, So-Young, hier störst du nur!“ Schnell stand So-Young auf und verließ mit hochrotem Kopf die Terrasse. Sie ging an den Kartenspielenden Männern vorbei und beneidete ihren Bruder Song um seine Unbeschwertheit. Song wurde gerade von ihrem Vater in die Luft geworfen. Der hatte es gut, er konnte einfach Spaß haben. Mit einem Seufzen ging So-Young weiter. Im langen Flur der Changs stellte sie sich vor den Garderobenspiegel und betrachtete sich nachdenklich. Plötzlich bewegte sich die Tür der Bibliothek. So-Young drehte sich um. Frau Chang, die Mutter von Cerin, verließ mit wütendem Gesicht die Bibliothek. Schnell versteckte sich So-Young hinter einem Mantel. Sie hörte Frau Chang sagen: „Mein Herz IST nicht verschlossen!“ Dann rauschte Frau Chang, vor der alle Kinder, Mütter und sogar einige Väter Angst hatten, in die Küche. So-Young atmete auf. Ihr Blick wanderte wieder zu der offenen Bibliothekstür. Irgendetwas zog So-Young magisch an. Langsam, wie unter Trance, betrat So-Young die Bibliothek.
Wuchtige Bücherregale aus dunklem Eichenholz zogen sich an den Wänden entlang. So-Youngs Finger strichen ehrfürchtig über die kostbaren Ledereinbände, die aus einer Welt stammten, die ganz anders war als die Welt, in der So-Young lebte. Plötzlich veränderte sich das Licht. So-Young drehte sich erschrocken um – und erblickte eine alte Frau, die regungslos vor einem koreanischen Landschaftsbild saß, das alle paar Sekunden in einer anderen Farbe beleuchtet wurde. Die alte Frau hatte ein sehr gütiges Gesicht und klare Augen, die So-Young liebevoll ansahen. Ihr graues Haar war, im Gegensatz zu allen anderen alten koreanischen Frauen, die So-Young gesehen hatte, nicht zu einem strengen Dutt zurecht gemacht, sondern fiel offen über die Schultern.
Schüchtern sagte So-Young: „Verzeihung, ich wollte nicht stören.“
Die Wahrsagerin lächelte So-Young an und sagte: „Du störst nicht. Komm, setz dich zu mir.“
So-Young setzte sich hin und hielt gehorsam ihre Handfläche der Wahrsagerin hin. Die Wahrsagerin studierte konzentriert die Linien. Angespannt sah So-Young die Wahrsagerin an und fragte: „Geehrte Frau, werde ich sterben?“
Die Wahrsagerin sah So-Young überrascht an. Dann sagte sie: „Jeder stirbt, doch deine Zeit ist noch lange nicht gekommen. Tu, wovon du überzeugt bist - kritisiert wirst du sowieso!“
So-Young sah die Wahrsagerin enttäuscht an. Die Wahrsagerin blickte durch sie hindurch. So-Young verlor sich in den dunklen Augen der Wahrsagerin…
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Jahre später
Im Sportstadion herrschte ein Höllenlärm. Die zahlreichen koreanischen Familien und Freunde feuerten lautstark die Läuferinnen (14-16 Jahre) an. Einige Meter weiter wurde gegrillt. Riesige Behälter voller Kimchi, dem koreanischen eingelegten Chinakohlsalat und unzählige Reiskocher wurden auf den Tischen verteilt.
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