Am Dienstagmorgen, betraten Henning und sein Verwalter, die heiligen Hallen des Geldes. Sie waren in den Büros des Hedge Fonds „Global City Life“, kurz GCL. Es war zwar nur die Niederlassung, aber die war nicht weniger pompös, wie der Firmensitz in Frankfurt am Main. Sie residierten, wie nicht anders erwartet, in der obersten Etage, mit Blick zum Reichstag. Eine freundliche Sekretärin erwartete Henning bereits. Sie begleitete die beiden Herren bis zum Büro von Herrn Carsten Wolter, dem Chef der Niederlassung. Wolter war ein typischer Vertreter von Raffgier und Geschäft um jeden Preis. Ihm ist das einzelne Schicksal ganz egal, wenn nur der Profit stimmt. Ein Yuppie der übelsten Sorte nur noch übertroffen, von seinem Chef in Frankfurt, Jason Peeters. Nach außen sind beide sehr freundlich, zuvorkommend und rücksichtsvoll. Aber sobald die Kameras aus sind und die Türen verschlossen, ändert sich das schlagartig. Diese Erfahrung musste auch Michael Henning machen. Er hatte sich das Ganze anders vorgestellt. Die GCL ist damals auf ihn zugekommen und hat ihm ein lukratives Angebot unterbreitet, dem Henning nicht widerstehen konnte. Und nun, sechs Monate nach Vertragsunterzeichnung, steht Henning das Wasser bis zum Hals. Henning und Gebhard betraten das Büro. Wolter war gerade mit einem Telefonat fertig und stand hinter seinem Schreibtisch auf. Er lief den beiden entgegen und zeigte auf eine Sitzgruppe, die mitten im Raum stand. Wolter: „Guten Tag die Herren, bitte nehmen sie Platz. Haben sie sich Verstärkung mitgebracht, Herr Henning?“ Henning: „Das ist mein Verwalter und er kümmert sich um meine Häuser und deren Mieter. Ich dachte, wenn sie diesbezüglich Fragen haben, könnte er sie am besten beantworten.“ Sie nahmen Platz und Wolter kam gleich zur Sache: „Sind sie im Plan?“ Und damit war nichts anderes gemeint, dass Henning jeden Monat, zehn Wohnungen entmietet. Henning: „Von den 80 Wohnungen haben wir inzwischen 26 entmietet. Drei weitere werden in den nächsten Tagen frei.“ Wolter: „Laut Plan müssten es aber 50 sein. Fünf Monate, 50 Wohnungen, oder habe ich mich verrechnet?“ Gebhard: „Das ist nicht ganz so einfach, wie sie sich das vorstellen. Manche Mieter wohnen schon 30 und mehr Jahre in ihren Wohnungen, die können sie nicht so einfach auf die Strasse setzen. Teilweise sind sie bettlägerig oder Pflegefälle, die von sozialen Diensten versorgt werden.“ Wolter stand nun auf und sagte freundlich: „Danke, Herr Gebhard. Ich danke ihnen für ihre detailreichen Ausführungen. Wenn sie jetzt bitte draußen warten würden?“ Fragend sah Gebhard seinen Chef an, doch der nickte nur. Gebhard: „Ich hätte meine Zeit auch sinnvoller nutzen können. Wenn sie nichts dagegen haben, nehme ich jetzt meine Termine war. Ich empfehle mich.“ Er gab Wolter nicht die Hand zum Abschied, als Zeichen für seine persönliche Abneigung ihm gegenüber. Wie Gebhard den Raum verlassen hatte, meinte Wolter: „Sie sollten bei der Auswahl ihres Personals, mehr Sorgfalt walten lassen. Wäre es mein Angestellter, hätte er schon die fristlose Kündigung. Der Mann wird ihnen noch viel Ärger machen. Aber das ist ihre Sache. So, und nun reden wir Tacheles. Sie sind mit zwanzig Wohnungen im Verzug, es wird Zeit, dass sie bei den Entmietungen einen Zahn zulegen. Ich will sie nur noch einmal an unseren Vertrag erinnern. Baubeginn unseres Objektes ist der 1. 10. Für jeden Monat Verzögerung müssen sie 100.000.- Euro Vertragsstrafe bezahlen und nach Ablauf von drei weiteren Monaten, sind 50.000.- Euro Schadensersatz pro Monat, für entgangene Gewinne zu entrichten. Man braucht kein Prophet sein um zu wissen, dass sie in diesem Tempo ihre Vorgaben nicht erreichen. Entweder sie lenken ein, oder sie sind nächstes Jahr ein armer und mittelloser Mann. Das wollen wir doch beide nicht. Warum lassen sie uns nicht die Entmietungen vornehmen? Glauben sie mir, wenn sich jemand mit Entmietungen auskennt, dann sind wir das.“ Henning: „Sie entmieten und ich stehe hinterher als Monster da. Wie ich sie einschätze, gehen sie über Leichen, wenn es sein muss. Da spiele ich nicht mit. Es gibt auch eine Zeit nach dem Bauprojekt „Görlitzer Park“. Ich will weiter in Berlin bleiben, arbeiten und wohnen.“ Wolter: „Für Gefühle ist das der falsche Augenblick. Was zählt sind Fakten. Und Fakt ist, dass sie im Verzug sind.“ Henning: „Ich werde das schon irgendwie geregelt bekommen. Spätestens wenn die Mieter erfahren, dass ihre Häuser abgerissen werden, werden sie den Widerstand aufgeben. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man den Mietern hätte sagen müssen, das ab 1.10. abgerissen wird.“ Wolter: „Dann hätten sie jetzt eine Mieter Initiative am Hals, der sie mit Gerichtsbeschlüssen und einstweiligen Verfügungen überschüttet hätte. Wenn wir dann Glück haben, könnten wir in zwei Jahren endlich bauen. Und wenn es ganz dumm gelaufen wäre, hätte der Senat seine Baugenehmigung zurückgezogen. Nein Herr Henning, stillschweigen bis zum Schluss.“ Henning: „Und wenn doch etwas an die Öffentlichkeit kommt?“ Wolter: „Dann lügen sie was das Zeug hält. In diesem Fall, ist das nicht einmal strafbar. Wie viel Ersatzwohnungen können sie bereitstellen?“ Henning: „Insgesamt 39 Stück. Aber ich habe noch die Option kurzfristig 12 Wohnungen in einem Neubauprojekt am Rande Berlins anzumieten. Ich habe also für alle Mieter Ersatz.“ Wolter: „Und können die das auch bezahlen?“ Henning: „Der größte Teil schon. Bei den sozialschwächeren, muss eben das Amt einspringen.“ Wolter: „So gefallen sie mir. Ich gebe ihnen noch zwei Wochen Zeit, dann will ich Erfolge sehen. Wenn nicht, übernehmen wir das entmieten. Dass sie dann für die Kosten aufkommen müssen, ist ihnen schon klar?“ Henning: „Ich werde mein Möglichstes tun.“
Hans und Linda waren unterwegs nach Zehlendorf, zur Schwester von Erwin Linde. Sie war verheiratet, hatte zwei Kinder und ist fünf Jahre jünger wie ihr verstorbener Bruder. Familie Weber wohnte in einem bescheidenen Einfamilienhaus, das sie vor 10 Jahren gebaut hatten. Noch fünf Jahre würden sie brauchen, bis es abbezahlt wäre. Unterwegs sah Linda ihre Post durch, die zusammen mit der Tageszeitung im Briefkasten lag. Das meiste war wie immer Werbung, bis auf einen Brief von Henning. Sie öffnete ihn sofort, las ihn durch und fragte Hans: „Hast du von Henning auch diesen Wisch bekommen?“ Hans: „Ich habe meine Post noch nicht nachgesehen. Was schreibt er denn Schönes?“ Linda: „Er teilt allen Hausbewohnern mit, dass die Sanierungsarbeiten am Mittwoch beginnen. Zuerst kommt deine Wohnung dran, dann meine. Wie rücksichtsvoll von ihm, uns das zwei Tage vorher zu schreiben.“ Hans: „Das finde ich auch. Stell dir vor, er hätte gar nichts gesagt und plötzlich stehen die Handwerker vor der Tür.“ Linda: „Und du willst das wirklich durchziehen?“ Hans: „Was meinst du?“ Linda: „Na, dass du die Handwerker nicht rein lässt. Hast du keine Angst?“ Hans: „Vor was? Das Gesetz ist auf meiner Seite. Er muss das mindestens sechs Wochen vorher ankündigen. Und dabei muss er erklären, warum er den Umbau macht. Und dagegen kann ich dann wieder Einspruch einlegen. Das mache ich solange, bis er keinen Bock mehr hat, oder mit der Wahrheit herausrückt.“ Linda: „Könnten wir denn Bau des Hotels und dem ganzen Drumherum verhindern?“ Hans: „Das weiß ich nicht. Aber auf jeden Fall können wir ihm mächtig Ärger machen. Vielleicht bezahlt er dann eine höhere Abfindung, als bisher. Tantchen hat er 5000.- Euro geboten, inklusive ihrer drei Monatsmieten Kaution. Ziehst du die Kaution und Zinsen davon ab, bleiben unter dem Strich nur 2000.- Euro hängen. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, wie lange Henriette schon hier gewohnt hat. Und dann kommen noch die Umzugskosten. Ich habe keine Lust umzuziehen.“ Linda: „Glaubst du, alle Mieter machen mit und lassen keinen Handwerker herein?“ Hans: „Sie müssen, sonst haben sie innerhalb drei Stunden keine Küche und kein Bad mehr. Wasser ade. Schon der Gedanke daran reicht aus, um die Tür nicht zu öffnen. Im Übrigen habe ich allen einen Widerspruch ausgedruckt, den sie innerhalb der nächsten Tage an Henning schicken müssen. Dann ist er wieder am Zug. Er weiß noch gar nicht, mit wem er sich da angelegt hat. Nicht mit uns.“ Das Navi meldete sich: „Noch 100 Meter bis zum Ziel.“ Hans schaltete es aus und meinte: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“ Sie stiegen aus und läuteten an der Haustür der Familie Weber. Uschi Weber begrüßte sie und bat sie ins Wohnzimmer und kondolierte den beiden als erstes: „Es tut mir leid, mit dem Verlust ihrer Tante. Es muss unfassbar sein, wenn man einen lieben Menschen verliert. Wenn jemand unheilbar krank ist, dann kann man in aller Ruhe Abschied nehmen. Aber bei Unfall oder Freitod kommt es aus heiterem Himmel. Ich habe das Gleiche erlebt wie sie. Nur war es ein Unfall, den mein Bruder aus dem Leben gerissen hat.“ Hans: „Danke für ihr Mitgefühl, auch uns tut es leid, dass sie ihren Bruder verloren haben.“ Hans wusste im ersten Moment nicht, wie er Frau Weber sagen sollte, das Tantchen ermordet und ihr Bruder keinen natürlichen Tod gefunden hat. Linda sprang in die Presche: „Henriette kannte ihren Bruder. Sie trafen sich oft, als sie gesundheitlich noch auf der Höhe war. Sie tranken Kaffee, oder trafen sich im „Scharfem Eck“, bei Jupp. Es war für alle ein Schock, als wir von dem Unfall erfahren haben. Man hat ja viel darüber gelesen, aber man hat nie erfahren, wie das mit dem Unfall wirklich war.“ Sie hörte auf mit sprechen und sah Uschi nur fragend an, als wollte sie ihr damit signalisieren: Erzähl wie es passiert ist. Uschi reagierte wie erwartet und begann zu berichten, was sich tatsächlich zugetragen hatte: „Das ist gleich erzählt. Ich war noch am Unglückstag bei Erwin und habe wie jeden Mittwoch, für ihn eingekauft und seinen Lottoschein abgegeben. Gegen 14:00 Uhr habe ich ihn noch nach unten begleitet, er wollte wie jeden Tag in den kleinen Park an der Spree gehen, um Schach zu spielen. Das war dann das letzte Mal, dass ich ihn lebend gesehen habe. Normalerweise hätten wir wieder am Freitag miteinander telefoniert, um den Einkauf fürs Wochenende zu besprechen. Aber ich habe ihn weder auf dem Festnetz, noch am Handy erreicht. Ich habe da schon geahnt, dass ihm etwas zugestoßen ist. Zuerst dachte ich, er hätte gesundheitliche Probleme, dass er nicht mehr telefonieren konnte. Gegen 22:00 Uhr bin ich dann in seine Wohnung in die Görlitzer Strasse gefahren. Auf klingeln hat er nicht reagiert, so dass ich mit dem Ersatzschlüssel aufgeschlossen habe. Mir ist aber gleich aufgefallen, dass er seine Zeitung und die Post nicht geholt hatte. In seiner Wohnung habe ich festgestellt, dass sein Bett nicht benutzt und alles war so, wie wir es am Mittwoch verlassen hatten. Am selben Abend bin ich noch zur Polizei gegangen und habe eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Die hat gleich Fahndung nach einer hilflosen Person eingeleitet, weil er im Rollstuhl saß. Am Sonntagnachmittag wurde ich dann angerufen, dass man ihn gefunden hätte. Ich musste ihn in der Gerichtsmedizin identifizieren. Das war alles so schrecklich.“ Tränen standen in ihren Augen, so dass ihr Linda ein Taschentuch reichte. Linda: „Das ist wirklich schlimm. Und was hat die Polizei gesagt, woran er verstorben ist?“ Uschi putzte sich die Nase und wischte ihre Tränen ab. Sie fuhr fort: „Die Polizei hat gesagt, dass Erwin ertrunken wäre. Sie würden von einem Unfall ausgehen, weil keine Fremdeinwirkung festgestellt wurde und er über zwei Promille im Blut hatte. Tod durch Ertrinken, wegen betrinken hatte der Beamte noch spöttisch gemeint. Erst eine Woche später hat man den Rollstuhl gefunden, weil die Spree Niedrigwasser hatte. Und das war an einer abschüssigen Stelle, unweit des Parks, wo er immer Schach gespielt hatte. Ich verstehe bis heute nicht, warum er so betrunken war. Er trank sonst nie Alkohol und wenn, nur ein Bier oder ein kleines Glas Wein.“ Hans: „Und hat die Polizei einen Schaden am Rollstuhl festgestellt?“ Uschi: „Der war doch total mit Pflanzen überwuchert. Mit dem konnte man nichts mehr anfangen. Ich soll den übrigens noch abholen, weil er Erwin gehört hat und ich die Erbin bin.“ Hans: „Das hat bestimmt viel Arbeit gemacht, die Wohnung auflösen, die Entrümpelung und alles.“ Uschi: „Nicht einmal, weil Herr Henning, bzw. Herr Gebhard hat sich um alles gekümmert. Er hat mir sogar noch die Kaution in voller Höhe ausbezahlt. So hatte ich wenigstens keine zusätzlichen Kosten. Wann ist eigentlich die Beerdigung ihrer Tante, ich würde nämlich gerne kommen?“ Hans: „Morgen um 10:00 Uhr auf dem alten Friedhof. Haben sie noch ein aktuelles Bild von ihrem Bruder? Ich würde mich gerne in dem kleinen Park umhören, vielleicht finde ich heraus, mit wem ihr Bruder so viel getrunken hat.“ Uschi stand auf und holte ein Bild von der Kommode und gab es ihm. Sie meinte: „Das können sie behalten, ich habe noch mehr davon. Könnten sie mir Bescheid geben, falls sie etwas herausfinden? Mich würde auch interessieren, warum er so viel getrunken hatte. Erwin muss deswegen die Kontrolle über den Rollstuhl verloren haben. Vielleicht ist er aber einfach nur eingeschlafen und auf der abschüssigen Strecke herunter gerollt und in die Spree gestürzt.“ An der Haustür läutete es. Uschi entschuldigte sich und öffnete die Tür. Hans hörte sofort wer es war und sagte zu Linda: „Lass uns sofort gehen, es ist Steiner. Ich habe keine Lust auf Diskussionen mit ihm.“ Beide standen auf und gingen zur Haustür. Hans: „Wir wollen nicht länger stören. Wir sehen uns Morgen bei der Beerdigung. Auf Wiedersehen Frau Weber.“ Linda verabschiedete sich auch und beide verließen die Wohnung. Steiner sah die beiden verdutzt an und noch bevor er etwas fragen konnte, waren sie schon verschwunden. Hans: „Hast du Steiners Gesicht gesehen? Wie ein Hase vor der Schlange hat er geschaut. Das ist ein richtiger Vollidiot. Wie er die Prüfung zum Oberkommissar geschafft hat, ist mir heute noch ein Rätsel. Wahrscheinlich war er mit dem Prüfer einen saufen und der hat ihm gesagt, was alles abgefragt wird.“ Linda: „Das darfst du ihm aber nicht sagen, der hat doch auch Gefühle. So was tut ihm bestimmt auch weh.“ Hans: „Dem würde ich noch ganz andere Sachen sagen. Er weiß was ich von ihm halte. Er ist ein versoffener Arsch, sonst nichts. Jede Banane hat mehr IQ als er.“
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