Kris dachte sich damals noch, dass sie wohl die schüchternste Person war, der er jemals begegnet war, und hatte sich mehr als einmal gefragt, wie es wohl wäre, sie fröhlich und heiter lachend zu erleben.
Nachdem er sie nicht mehr gesehen und keine weiteren E-Mails mit ihr ausgetauscht hatte, vergaß er sie schließlich. Bis zu diesem Moment, als er den Brief gelesen hatte.
Laut der Zusammenfassung über ihr Leben arbeitete sie immer noch als Freelancer in der Werbebranche, doch nur noch selten für Morgan & Parker.
Inzwischen war sie auch umgezogen und lebte in Maine in einem kleinen Städtchen südlich von Portland. Neben ihrem Job als Grafikdesignerin für verschiedene Agenturen, malte sie wunderschöne und außergewöhnliche Bilder, die sie bereits in einer Galerie ausgestellt hatte. Für eine so introvertierte Person musste die Vernissage mit vielen geladenen Gästen die Hölle gewesen sein. Doch sie hatte wohl schon einige ihrer Werke verkauft. Offensichtlich war sie gerade dabei, sich einen Namen als Malerin zu machen, und Kris freute sich für sie.
Von ihrer Arbeit bei der Werbeagentur wusste er, dass sie sehr talentiert war und einen kreativen Kopf besaß. Jedenfalls konnte er sich daran erinnern, gern mit ihr zusammengearbeitet zu haben.
Ein winziger Gedanke begann sich in Kris’ Kopf zu regen. Er überlegte schon eine ganze Weile an einer Imagekampagne für Weihnachten herum. Die meisten Menschen betrachteten das Ganze viel zu kommerziell. Natürlich gab es Geschenke, doch für Kris war Weihnachten etwas Besonderes. Man trug es im Herzen. Auch wenn er es sich selbst gegenüber lange Zeit nicht hatte eingestehen wollen. Vielleicht, weil es im Leben Momente gab, in denen man das verleugnete, was einem als Erbe mit in die Wiege gelegt worden war. Welcher Teenager rebellierte nicht gegen die Lebensgewohnheiten seiner Eltern? Erst jetzt mit Anfang dreißig lernte er über manche Dinge hinwegzusehen und andere wertzuschätzen. Seit sich Kris entschieden hatte, in die Fußstapfen seines Vaters zu steigen, fühlte er sich nicht mehr rastlos und getrieben. Er hatte den richtigen Ort für sich gefunden. Wenn man aus der Familie des Weihnachtsmannes stammte, konnte man das nicht einfach zur Seite schieben und vergessen.
Die Zeit, die er fern vom Nordpol verbracht hatte, war nicht nur in dieser Hinsicht lehrreich gewesen. Es hatte ihm gezeigt, wie sehr der eigentliche Sinn von Weihnachten bei vielen in den Hintergrund gerückt war. Selbst hier am Nordpol waren die jungen Elfen nur noch an den neuesten Smartphone, Spielekonsolen, Tablets oder Laptops interessiert.
»Was ist so falsch an der guten alten Holzeisenbahn, den Puppen und Teddybären? Oder einem spannenden Brettspiel?«, fragte er erst kürzlich Tullis Neffen Bjork.
Der hatte ihn mit großen Augen angeschaut, als wäre Kris eindeutig nicht von dieser Welt.
»Echt jetzt, Santa? Dein Ernst? Mann, du bist total uncool.« Dann war er kopfschüttelnd davongegangen und hatte in sein Handy gestarrt. Wahrscheinlich war er dabei, der ganzen Welt über die sozialen Netzwerke zu verkünden, wie rückständig der Weihnachtsmann war.
Bjork war so gefangen genommen von dem, was auf dem kleinen Bildschirm zu sehen war, dass er mit einem der Pfeiler, die es in den großen Hauptfluren gab, kollidierte.
Es war nicht sehr weihnachtlich von Kris gewesen, doch er konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen.
Nicht dass Kris den technischen Fortschritt nicht zu schätzen wüsste, immerhin arbeitete er tagtäglich damit. Selbst hier am Nordpol nutzte man moderne Technik und war nicht im Mittelalter stehengeblieben, wie vielleicht mancher vermuten mochte. Selbst die Spielzeugproduktion war schon vor einer ganzen Weile modernisiert worden, was im Hinblick auf die stetig wachsende Weltbevölkerung notwendig war, um die Arbeitsvorgänge für die Weihnachtselfen zu erleichtern.
Natürlich gab es Dinge, die auf die traditionelle Weise erledigt wurden, wie das Ausliefern der Geschenke mit dem Rentierschlitten. Rudolph wäre ziemlich beleidigt gewesen, hätte man ihn in den Ruhestand geschickt. Genauso manche der anderen Rentiere. Donner konnte manchmal ein ziemliches Sensibelchen sein und hätte sich bestimmt ungeliebt gefühlt, hätte man ihn aus dem aktiven Weihnachtsdienst genommen. Dasher, Prancer, Vixen, Cupid und Blitzen waren eher die Gelassenen der Truppe, und Comet bevorzugte es ohnehin, in seiner warmen, kuscheligen Box zu bleiben.
Als Kind hatte Kris seinen Vater jedes Jahr bei seiner Tour begleitet, wenn er in einer Nacht rund um den Globus reiste, um die Geschenke zu den Kindern zu bringen. Später als Teenager hatte er keinen Bock mehr darauf gehabt und eine Zeit lang so ziemlich gegen alles rebelliert, was mit Weihnachten zu tun hatte. In dem Alter war einem ohnehin alles peinlich, was die Eltern machten.
Es gab immer noch Momente, in denen Kris die ständige Weihnachtsidylle ein wenig überfordernd fand, denn das ganze Jahr über wurde in den Werkstätten gebastelt und getüftelt. Schließlich sollte jedes Kind zu Weihnachten ein Geschenk bekommen. Sei es nun an Heiligabend oder am Christmas Day. Je nachdem, in welchem Teil der Welt es lebte.
Nur vier kurze Wochen im Juli machten alle Urlaub am Nordpol, bevor es wieder mit vollem Einsatz weiterging. In dieser Zeit wurde im Innenhof der Anlage ein großer, beheizter Swimmingpool aufgebaut, der gern und oft besucht wurde. Der Anblick von Weihnachtselfen in Badehosen war jedoch jedes Mal ziemlich gewöhnungsbedürftig. Für Elfen war es schwer, an anderen Orten der Welt Urlaub zu machen, denn sie wurden stets merkwürdig angeschaut. Und außerdem musste sich jemand ständig um die Tiere kümmern.
Als er einmal den Vorschlag gemacht hatte, sie könnten doch alle zusammen auf eine Südseeinsel verreisen, die Kris in Vertretung für seinen Vater angemietet hätte, war er nur auf entsetzte Reaktionen gestoßen.
»Den Nordpol verlassen? Nein, das geht nicht. Wir leben hier. Außerdem kann ich Sonne nicht leiden. Davon bekomme ich Ausschlag.«
So oder so ähnlich war die einhellige Meinung der Weihnachtselfen, sodass die Idee schnell in Vergessenheit geriet.
Als Kris sich dazu entschlossen hatte, den Job zu übernehmen, gab es einiges über die Organisationsstrukturen des Weihnachtstages zu lernen. Zum Glück kannten die Rentiere die Flugroute, die jedes Jahr aufs Neue genommen wurde.
Dankbar war Kris auch für die Weihnachtsmagie. Durch sie konnte er alle Kinder besuchen, sei es nun an Heiligabend oder rechtzeitig in der Nacht zum fünfundzwanzigsten Dezember, damit die Geschenke am Weihnachtsmorgen unter dem Baum lagen. Und sie machte seinen roten Sack groß genug, um alle Geschenke darin zu verstauen, während er trotzdem gut zu tragen war. Das alles widersprach der Wissenschaft und hätte Forschern sicher einiges an Kopfzerbrechen bereitet. Es gab nun einmal Dinge, die nicht zu erklären waren, und dennoch existierten sie.
Offenbar wirkte noch ein Funken der Weihnachtsmagie in Sara, denn sonst hätte sie längst den Glauben an den Weihnachtsmann verloren und nicht mehr geschrieben. Aus irgendeinem Grund war Kris froh darüber, dass sie es immer noch tat.
Plötzlich hatte er eine Idee. Er öffnete die Tür seines Büros und rief nach Tulli.
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