„Ach ja?“ Jetzt grinste auch er. „Aber ich bin genial, oder? Warum ist nie was aus uns geworden? Waren es meine Zähne oder die zerzausten Haare?“
Ann Singer musste wider Willen lachen. „Du bist hier, oder? Das heißt, du bist brillant. Und trotzdem ein Kindskopf“, setzte sie hinzu, „aber wenn du brav bist, wer weiß, vielleicht werd ich dann schwach. Allerdings nur, wenn du die Welt rettest, dann bekommst du einen Kuss.“
Sie sahen sich mit einem Lächeln an, in dem Vertrauen, Freundschaft und vielleicht noch etwas mehr mitschwang, über das sich Singer in diesem Moment keine Gedanken machen wollte.
„Natürlich, oha, na dann ran ans Werk!“ Im nächsten Moment wurden sie wieder ernst. „Wir sollten uns überlegen, wen wir noch ins Boot holen könnten“, sagte Stettler jetzt, bereits wieder in den Arbeitsmodus verfallend. „Callahan will Antworten und das so schnell wie möglich.“
„Wir werden einfach unsere beiden Teams hierher beordern“, schlug Singer vor. „Lass uns das gemeinsam und am selben Ort durchführen. Es wird noch genügend Videokonferenzen geben. Mir ist es lieber, wir sind in einem Gebäude. Das macht die Kommunikation erheblich einfacher.“
„Das ist eine gute Idee! Equipment sollte vorhanden sein. Das Kings College betreibt ja seit Jahren ein eigenes Genforschungsprogramm.“
Singer nickte eifrig. „Diese Abteilung können wir auch gleich noch dazunehmen. Kennst du jemanden dort?“
„Nein, aber einige der Forscher hier sind sehr namhaft. Ich habe kürzlich einen Fachaufsatz gelesen, den ein Team vom Kings College verfasst hat – der war wirklich gut.“
Der Wagen hielt, Stettler stieg aus, ging um das Auto herum und öffnete seiner Kollegin die Tür.
„Ich bin jedenfalls lieber hier mit dir als irgendwo in der bolivianischen Wüste.“ Singer dankte dem Fahrer und hakte sich bei Stettler ein. „Komm schon. Machen wir uns an die Arbeit.“
Royal Air Force Base Northolt/16.30 Uhr (GMT)
Ich saß auf der Rückbank eines schwarzen Bentleys. Die Schranke zur Royal Air Force Base in Northolt öffnete sich, und der Tross raste durch das militärische Sicherheitsgelände. Von allen Seiten durch Militärfahrzeuge geschützt und mit Luftüberwachung versehen, hielten wir bei einem zweistrahligen Jet, um den herum Technikpersonal wuselte und die letzten Kontrollen durchführte. Mir wurde schwummerig. Ich hasste das Fliegen seit jeher, hatte dabei immer das grässliche Gefühl, die Kontrolle über mein Leben abzugeben. Wobei, wenn ich es recht bedachte, war mir die Kontrolle heute Morgen bereits entglitten. Automatisch griff ich in meine Hosentasche und fluchte leise. Keine Bensons. Verdammt.
Paul, der aus dem getönten Fenster gespäht hatte, drehte sich zu mir. „Alles in Ordnung? Du siehst ein bisschen grün aus.“
Ich schüttelte den Kopf. „Was gäbe ich für eine Zigarette …“
„Vergiss die Kippen, Mann. Keine Sorge, wir sind in guten Händen bei den Queens.“
„Die Queens? Seit wann haben wir mehr als eine?“
„Das, mein Freund, ist Northolt“, erklärte Paul. „Die Piloten, die hier stationiert sind, gehören zur Royal Squadron, der Fliegerstaffel der Queen. Man nennt sie Queens Flight. Sie gehören zum Besten, was die Air Force zu bieten hat.“
„Exzellent erklärt, Mr Richards, oder bevorzugen Sie Captain Richards?“, bemerkte Callahan, der uns gegenüber saß und bis gerade eben konzentriert auf seinem Tablet herumgetippt hatte.
„Das war ein anderes Leben, Professor“, winkte Paul ab. „Lassen wir es bei Mr Richards, okay? Gern auch Paul, wenn Sie wollen.“
„Aber sicher doch, Paul. Ich möchte Ihnen übrigens sagen, dass ich mich sehr freue, Sie bei uns zu haben. Ihre Erfahrung wird uns sicher noch sehr gelegen kommen.“
Ich sah verwirrt zwischen den beiden hin und her. Pauls Erfahrung beschränkte sich, soweit ich wusste, auf ein paar Jahre Army sowie Gläserspülen, Bierzapfen und sich über mangelndes Einkommen beschweren. Sein alter Herr, Gott hab ihn selig, hatte ihn immer Captain genannt, wenn wir ihn besuchten. Ich hatte immer gedacht, das wäre einfach Pauls Spitzname. War da doch mehr dran? Misstrauisch warf ich ihm einen Blick zu, den er mit hochgezogener Augenbraue erwiderte.
Als wir aus dem Wagen stiegen, bemerkte ich, dass wir nicht die einzigen waren, die gerade von hier starten sollten, überall auf der Rollbahn wurden Transportmaschinen beladen und betankt. Auf der Bahn hinter uns erhob sich mit ohrenbetäubendem Dröhnen eine Fliegerstaffel in die Luft und raste nach Westen.
„Typhon Jets“, schrie Paul gegen den Lärm an und schickte ihnen einen Salut hinterher.
Im letzten Licht des Tages bestiegen wir unsere Maschine. „Eine Hawker Siddeley Trident, nicht schlecht“, murmelte Paul beeindruckt. „Normalerweise passen da knapp hundert Passagiere rein.“ Mir sagte der Name nichts, aber ich sah mich drinnen neugierig um. Das Flugzeug war innen umgebaut worden und bot mehr als genug Platz für unser Team, es gab kleine Sitzinseln, und weiter Richtung Heck entdeckte ich sogar einen kleinen Meeting Room für bis zu acht Personen. Zu meiner Überraschung lag für mich und Paul neue Kleidung auf zwei Sesseln bereit. Eine komplette Outdoor-Garderobe, wie es schien: Hosen und Hemden, leichte Westen sowie eine gut gefütterte Jacke mit allem Drum und Dran und ein Paar gefütterte Stiefel. Alles in einem leichten Hellbraun gehalten und wohl aus Militärbeständen entliehen.
Karen Stanley winkte uns zu einer der Sitzgruppen, und ich ließ mich in einen Sitz fallen. Auf den Ablagen vor uns befanden sich je ein Laptop mit Regierungsinsignien sowie eine Dokumentenmappe. Ben Wright, Professor Woods und Callahan verstauten Gepäck in den vorgesehenen Fächern. Paul blieb im Gang stehen und sah zu, wie weitere Leute an Bord kamen und von einer Stewardess nach hinten gewunken wurden. Ein stämmiger Kerl mittleren Alters, der einen Militärrucksack über der Schulter trug, steuerte direkt auf meinen Freund zu. „Paul, du alte Wildsau, aus welchem Loch haben die dich denn rausgezogen? Mann, ist das schön, dich zu sehen! Who dares wins, brother.“
Paul klopfte ihm auf die Schulter. „So ist es Brad, so ist es. Du hast dich kaum verändert, siehst immer noch so scheiße aus wie früher. Haben sie dich ausgesucht, für uns den Wachhund zu spielen?“
„Oh, yeah. Aber warum bist du hier? Die brauchen ja wohl kaum zwei von uns.“
Paul grinste. „Ich bin als Zivilist hier, Brad. Ob du es glaubst oder nicht, der Typ, um den es hier geht, ist mein bester Kumpel.“
„Als Zivilist? Du? Da lachen ja die Hühner. Na, sie hätten dich eh angerufen, nicht wahr?“
Meine Augen wurden immer größer. Was hatte Paul mir alles verschwiegen? Wer war er?
„Gibt ’s hier Drinks?“, fragte Biggs niemand bestimmten.
Paul lachte. „Ich schenk dir gleich was ein. Aber zuerst will ich dir meinen Freund David Cole vorstellen.“
Der Hüne warf seinen Rucksack in eines der oberen Gepäckfächer, dann streckte er mir mit einem breiten Grinsen seine Hand entgegen: „Hi, Bradley Biggs, freut mich sehr!“
Eine Flugbegleiterin hatte unseren Wortwechsel wohl gehört. Sie verschwand im Heck, tauchte gleich darauf mit einem Tablett, auf dem eine Flasche und mehrere Gläser standen, wieder auf. „Bitte sehr, die Herren. Madam, was darf ich Ihnen bringen?“
„Ein Wasser, bitte.“ Karen Stanley sah erschöpft aus.
Wir prosteten uns zu. „Sonst noch jemand?“, fragte Paul, der sofort wieder in die Barkeeper-Rolle verfiel, doch die Wissenschaftler winkten ab.
„Was Callahan wohl in Bolivien finden will? Wissen Sie was Genaueres, Mr Biggs?“, fragte ich.
Biggs setzte sein Glas ab und erwiderte: „Man hat mir nicht gesagt, um was es geht, aber in ganz England heben gerade Maschinen ab. Viele unserer Jungs sind schon unterwegs. Bolivien scheint gerade der Place-to-be geworden zu sein, wie mir scheint.“ Er kratzte sich am Kinn: „Kannst du dich noch an Tucker erinnern, Paul?“
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