Wer ist dieser Herr hier? sagte er auf mich zeigend. Ist er diskret? Ist er zuverlässig?
Dr. Watson, mein Freund und Teilhaber.
Herr Milverton verneigte sich.
Schon gut, Herr Holmes. Ich fragte ja nur im Interesse unserer Klientin. Die Angelegenheit ist sehr delikat –
Dr. Watson kennt sie bereits.
Ah so! Nun, dann können wir gleich miteinander verhandeln. Wie Sie sagen, sind Sie der Vertreter des Fräuleins Eva. Haben Sie von ihr die Ermächtigung, meine Bedingungen anzunehmen?
Holmes zuckte mit den Achseln.
Welches sind Ihre Bedingungen?
Siebentausend Pfund.
Und sonst?
Mein verehrter Herr, es ist mir peinlich, mich darüber auszulassen; wenn aber das Geld bis zum vierzehnten nicht ausgezahlt ist, wird am achtzehnten die Hochzeit nicht stattfinden.
Sein unleidliches Lächeln war noch höflicher als gewöhnlich. Holmes überlegte einen Moment. Dann sagte er, indem er den Gegner mit einem überlegenen Lächeln ansah: Sie scheinen mir dieses Geschäft doch als etwas zu sicher zu betrachten. Ich bin selbstverständlich über den Inhalt der fraglichen Briefe genau unterrichtet, und meine Klientin wird gewiß tun, was ich ihr rate. Ich werde ihr den denkbar besten Vorschlag machen, nämlich die ganze Sache ihrem zukünftigen Gatten vorzustellen und seiner Großmut zu vertrauen.
Milverton fing laut zu lachen an.
Sie kennen den Grafen offenbar nicht, sagte er.
An meines Freundes fast unmerklich enttäuschtem Gesicht konnte ich sehen, daß er ihn wohl kannte.
Was steht denn überhaupt Schlimmes in diesen Briefen drin? fragte er.
Sie sind launig, diese Briefe – sehr launig, versetzte Milverton. Die Dame war eine reizende Korrespondentin. Aber ich kann Ihnen versichern, daß der Graf sehr wenig Verständnis dafür zeigen würde. Doch, wenn Sie anderer Meinung sind, haben wir ja nichts mehr miteinander zu tun. Es ist eine rein geschäftliche Angelegenheit. Wenn Sie wirklich glauben, daß es Ihrer Schutzbefohlenen weiter nichts schadet, wenn die Briefe dem Grafen eingehändigt werden, so würde es natürlich töricht sein, so viel Geld für ihre Rückgabe zu zahlen.
Er stand auf und nahm seinen Mantel. Holmes war grau und grün vor Aerger und Entrüstung.
Warten Sie noch ein bißchen, sagte er. Sie haben es wohl nicht so eilig. Wir würden sicher gerne alles mögliche tun, um jeden Skandal in einer so persönlichen Sache zu vermeiden.
Milverton setzte sich wieder in seinen Stuhl, während seine lächelnde Miene für einen Augenblick einen triumphierenden Ausdruck annahm.
Ich nahm bestimmt an, daß Sie's von dieser Seite betrachten würden, sagte er gedehnt.
Immerhin müssen Sie aber bedenken, daß Fräulein Eva über keine großen Mittel verfügt, fuhr Holmes fort. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ihr zweitausend Pfund zu zahlen schon schwerfallen würde, und daß die Summe, die Sie fordern, ihre Kräfte bei weitem übersteigt. Ich bitte Sie also, Ihre Forderung zu ermäßigen und die Briefe für den Betrag, den ich genannt habe, zurückzugeben. Es ist, wie ich Ihnen nochmals versichere, das Höchste, was Sie bekommen können.
Milvertons Mund verzog sich zu einem breiteren Lächeln, und er zwinkerte vergnügt mit den Augen.
Ich weiß wohl, daß das, was Sie über die Vermögensverhältnisse der Dame sagen, auf Wahrheit beruht, antwortete er. Sie müssen aber zugeben, daß sich bei einer solchen Gelegenheit, wie es die Verheiratung einer Dame ist, auch ihre Freunde und Verwandten etwas zu ihren Gunsten anstrengen dürfen. Sie können's ihr als passendes Hochzeitsgeschenk verehren. Ich bin fest überzeugt, daß ihr dieses kleine Bündelchen Briefe mehr Freude bereiten würde, als sämtliche Armleuchter und Butterdosen in ganz London.
Es geht nicht, sagte Holmes.
Je nun, rief Milverton, und nahm eine umfangreiche Brieftasche heraus. Das ist natürlich schlimm, wenn es nicht geht. Ich finde nur, daß Damen in solchen Fällen sehr verkehrt beraten sind, wenn Sie nicht alles aufbieten. Sehen Sie hier! – ein kleines Briefchen emporhaltend, mit einem Wappen auf dem Umschlag. Das ist von – nun, vielleicht ist's nicht schön, den Namen vor morgen früh zu verraten. Aber um diese Zeit wird der kleine Brief in den Händen des Gemahls der Dame sein. Und warum? Nur, weil sie den armseligen Betrag nicht aufbringen können will, den sie innerhalb einer Stunde für ihre Diamanten haben könnte. Es ist ein Jammer, so etwas. Ferner: erinnern Sie sich noch der plötzlichen Aufhebung der Verlobung zwischen dem Fräulein Miles und dem Obersten Dorking? Nur zwei Tage vor der Hochzeit stand in der »Morning Post« die Anzeige, daß alles aus sei. Und warum? Es klingt fast unglaublich; aber die lächerliche Summe von zwölfhundert Pfund würde die ganze Geschichte in Ordnung gebracht haben. Ist das nicht traurig? Und jetzt wollen nun Sie, ein vernünftiger Mann, über die Höhe des Preises feilschen, wo doch die Zukunft und die Ehre Ihrer Klientin auf dem Spiel stehen? Das wundert mich von Ihnen, Herr Holmes.
Ich sage die Wahrheit, antwortete Holmes. Das Geld kann nicht beschafft werden. Und es ist für Sie entschieden besser, die angebotene Summe zu nehmen, als diesem Weibe die ganze Zukunft zu verderben, wovon Sie rein gar nichts haben.
Da irren Sie sich, Herr Holmes. Eine solche Bloßstellung würde mir indirekt sehr viel nützen. Unendlich viel! Ich habe acht oder zehn ähnliche Fälle in Händen. Wenn die Beteiligten erführen, daß ich an Fräulein Eva ein Beispiel statuiert hätte, würden sie alle eher geneigt sein, Vernunft anzunehmen. Verstehen Sie meinen Standpunkt?
Holmes sprang vom Stuhl auf.
Hinter ihn, Watson! Laß ihn nicht zur Tür 'naus! Nun, Herr, jetzt wollen wir den Inhalt dieser Brieftasche sehen.
Milverton war geschwind wie eine Maus von seinem Platz fortgehuscht und stand mit dem Rücken an der Wand.
Herr Holmes, Herr Holmes, sagte er, indem er seinen Rock aufmachte und den Lauf eines großen Revolvers sehen ließ, der aus der inneren Tasche herausguckte. Ich hatte erwartet, daß Sie etwas Besonderes versuchen würden. Aber das ist schon so häufig geschehen, und was hat's bisher genützt? Ich bin bis an die Zähne bewaffnet und auch vollkommen entschlossen, meine Waffen zu gebrauchen, weil ich weiß, daß ich's gesetzlich darf. Uebrigens ist Ihre Vermutung, daß ich die Briefe in meinem Notizbuch hierher bringen würde, sehr irrig. So töricht bin ich nicht. Und nun, meine Herren, ich habe heute abend noch ein paar Zusammenkünfte, und es ist eine lange Fahrt bis Hampstead.
Er trat wieder vor, nahm seinen Mantel, legte die Hand an den Revolver und wandte sich der Türe zu. Ich erfaßte einen Stuhl, aber Holmes schüttelte abwehrend den Kopf, sodaß ich ihn enttäuscht wieder hinsetzte. Mit einer eleganten Verbeugung, lächelnd und mit den Augen blinzelnd, verließ Milverton unser Zimmer, und eine Minute danach hörten wir die Wagentüre zuschlagen und ihn davonfahren.
Holmes saß regungslos am Kamin; die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, das Kinn auf die Brust gesunken, blickte er in die Glut. Eine halbe Stunde lang saß er so, still und stumm. Dann stand er schnell auf, wie jemand, der einen plötzlichen Entschluß gefaßt hat, und ging in sein Schlafzimmer. Kurz darauf kam ein großtuerischer junger Arbeiter heraus mit Kinnbart und Spazierstock und zündete sich seine alte Tonpfeife über der Gaslampe an, bevor er auf die Straße hinunterging.
Ich werde einige Zeit wegbleiben, Watson, sagte er, und verschwand.
Ich merkte, daß mein Freund seinen Feldzug gegen Charles Augustus Milverton eröffnet hatte, hatte aber nicht die geringste Ahnung, wie sich dieser Feldzug gestalten sollte.
Einige Tage ging Holmes zu jeder Stunde in diesem Aufzug ein und aus, aber außer einer gelegentlichen Bemerkung, daß er den größten Teil seiner Zeit in Hampstead verbringe und zwar nicht vergeblich, äußerte er kein Wort. Endlich an einem stürmischen Abend, als der Wind heulend durchs Kamin fuhr und an den Fenstern rüttelte, kehrte er von seinem letzten Ausflug zurück und setzte sich, nachdem er seine Arbeiterverkleidung abgelegt hatte, vor das Feuer und fing in seiner stillen, in sich gekehrten Weise herzlich an zu lachen.
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