Die Bestürzung war groß. Meine Frau musste um ihre Beherrschung ringen. Sie verlor fast die Fassung … hatte doch bis dahin noch immer ein kleines Fünkchen Hoffnung bestanden. Das war jetzt vorbei!
In Begleitung des Chefarztes und des zuständigen, behandelnden Stationsarztes wurde meine Frau zu mir gebracht. Ihr bot sich ein schlimmer Anblick. Und, obwohl von den Ärzten vorher vorsichtig darauf vorbereitet, konnte sie es nicht fassen, war entsetzt. Sie erkannte mich nicht wieder. Reglos, zu unförmiger Masse aufgequollen lag ich da, umgeben von Ständern mit zwölf Flaschen und Plastikbeuteln, aus denen Infusionen in mich hinein tropften und andere Flüssigkeiten aus mir herausliefen. Verbunden mit zahlreichen Schläuchen, die in ihrer Vielfalt kaum noch überschaubar schienen, und außer Messgeräten, deren grün flimmernden Bildschirme und gleichförmigen Töne die einzigen wahrnehmbaren Lebenszeichen von mir wiedergaben, deutete nichts, aber auch gar nichts darauf hin, dass der Mann, den meine Frau geheiratet und von dem sie sich am Vortag verabschiedet hatte, noch da war. Alle Zuversicht auf einen glimpflichen Verlauf wurde fraglich, Befürchtungen, die verdrängt worden waren, bewahrheiteten sich nun doch. Aber trotz allem: Die Ärzte gaben die Hoffnung nicht auf und versprachen alles Menschenmögliche für meine Wiederherstellung zu tun. Sie bestärkten meine Frau darin mutig zu sein, boten ihr persönliche Unterstützung und Fürbitte an und empfahlen, im Gebet zusätzliche um Hilfe zu bitten.
Vertrau des Arztes kundigem Blick
und seiner sicheren Hand
und leiste selbst mit ganzer Kraft
dem Leiden Widerstand!
Den Rest überlass' du dann
getrost und unverzagt
dem, der auch noch helfen kann,
wo Menschenkunst versagt!
(von einem unbekannten Dichter)
Da lag ich nun, reglos mit geschlossenen Augen, schmerzfrei gestellt auf einem Rollbett. Man hatte sich um mich gekümmert, bemühte sich noch.
Abseits aller willkürlichen Wahrnehmung empfand ich um mich herum die Anwesenheit unterschiedlicher Personen. Ich wurde berührt, betastet und versorgt. Es war nicht unangenehm. Zeitweise war ich ganz allein, dann wieder folgten hektische Momente und medizinische Maßnahmen, die mich betrafen, im Einzelnen aber jetzt nicht mehr von mir abrufbar sind.
Es eröffnete sich eine mir völlig unbekannte neue Welt. Kaleidoskopisch wechselten Bilder voller Schönheit mit Geschehnissen wie im Märchen oder aus längst vergangenen Zeiten. Manchmal geschahen Dinge, die mir unerklärliche Angst machten. So fand ich mich auf dem Balkon unserer Wohnung und sah, wie vom siebten Stock eine Katze einem vorbeifliegenden Vogel nachsprang, ihn aber verfehlte. Die Katze kam in elegantem Bogen auf die Erde. Sie landete auf allen vieren im Gebüsch, kam ganz auf den Boden, schüttelte sich kurz und verschwand dann, ohne zu hinken oder sonst irgendwie sichtbaren Schaden genommen zu haben, aus meinem Blickfeld. (Das war tatsächlich einmal so passiert.)
Ich sah mich ebenfalls springen, wollte fliegen … fand mich irgendwie eingezwängt wieder und fragte mich, wie ich so dumm gewesen sein konnte, den Sprung zu machen. Diese sich wiederholende Vorstellung verfolgte mich regelrecht. Dabei wurde mir immer kälter, aber ich hatte nicht das Gefühl, zu frieren.
Dann spürte ich, wie ich wieder in einen Raum gerollt wurde. Gestalten umgaben mich. Über mir war helles Lampenlicht.
Auf einmal veränderte sich alles. Ich erlebte eine Zeitreise. Bilder aus meinem bisherigen Leben rasten an mir vorbei. Längst vergessen geglaubte Ereignisse, meine früheste Kindheit, meine Jugend, die Ausbildungs- und Berufszeit — was immer mir widerfahren war, lief in Szenen an mir vorüber. Und bei jeder Szene war mir sofort klar, was falsch für mich gewesen, wo ich welche Fehler begangen hatte und wo es richtig war. Es gab kein Abwägen. Da existierte nur klare Erkenntnis. Dabei fühlte ich mich zusammengepresst, kam in eine lange, dunkle Röhre, die in einen Tunnel überging, an dessen fernen Ende ein Licht schien. Ich wollte da hin, näherte mich ihm mit zunehmender Geschwindigkeit und während es heller und heller wurde, hatte ich das Gefühl in einen Sog zu gelangen. Dieser ließ urplötzlich nach und der Druck nahm wieder zu, wurde immer stärker. Ich befand mich erneut in der Röhre. Deren Verlassen war unangenehm, in der Folge aber auch erleichternd.
Nun schwamm ich wie ein Meeresbewohner tief unten im Wasser, war umgeben von Schwärmen kleiner, bunter Fische, die in den schönsten Farben leuchteten und die durch grüne Algenwälder schwebten, dabei aber auch manchmal blitzschnell zwischen wogenden Farnen und Seegras verschwanden. Absolute Stille umgab mich. Und doch vernahm ich aus weiter Ferne Stimmen, hörte, ja spürte wie man sich um mich, um meinen geschundenen Körper bemühte, meinte — als sähe ich einen Film — durch meine fast geschlossenen Augenlider die Ärzte und meine Operation von außerhalb meines Körpers mitzuerleben.
Der 13. Februar 1998 und wie ihn meine Frau erlebte
Freitag, der Dreizehnte! Mit diesem Datum werden oft abergläubische Befürchtungen und Unglücksprognosen verbunden, die aber erfreulicherweise selten zutreffen — und wenn doch, wahrscheinlich auch vom Datum unabhängig geschehen würden.
Sobald, als möglich, nach einer sorgenvollen Nacht, in der sie kaum Schlaf finden konnte, machte sich meine Frau wieder auf den Weg ins Krankenhaus, begleitet von den besten Wünschen ihrer Pensionswirte und denen des Grafen v. S. sowie dessen Bekannter, die bereits in aller Frühe angerufen und ihre Hilfe angeboten hatten. Aber selbst die Hilfsangebote, so gut gemeint sie auch waren, schienen im Moment nicht annehmbar, hätten sie doch bei erfolgter Verabredung terminbedingte Zeitverzögerungen zur Folge haben können.
Das Warten ohne Wissen über meinen augenblicklichen Zustand war sowieso schon beinahe unerträglich. Momente voller Hoffnung wechselten sich ab mit Augenblicken großer Sorge und Verzweiflung. Dann, im Krankenhaus auf der Intensivstation, gab es zunächst eine kleine Erleichterung. Mein Zustand hatte sich wenigstens nicht verschlechtert! Nachdem die zuvor durchgeführte operative Blutstillung Erfolg zeigte, musste sich mein Körper nun erst einmal erholen, bevor weitere chirurgische Behandlungen in Angriff genommen werden konnten.
Obwohl mein Aussehen erschreckend war, versicherte der Stationsarzt meiner Frau, dass sich meine Überlebenschancen doch deutlich gebessert hätten. Dies wäre sicherlich auch auf meine überdurchschnittlich gute Konstitution und meine besondere Pferdenatur zurückzuführen. Man müsse aber leider für die größeren Eingriffe noch einige Tage warten, weil mein Zustand im Augenblick keine weiteren Operationen zuließe. Jedoch sei man damit dennoch im Zugzwang, weil die Versorgung der akuten Verletzungen eigentlich unaufschiebbar wäre.
Im weiteren Gesprächsverlauf erklärte der Arzt meiner Frau, dass über den genauen Unfallhergang nur angenommen würde, ich sei selbst in ein Auto hineingelaufen. Er riet dazu, alsbald den Sachverhalt bei der Polizei in Bad Godesberg zu klären. Diesen Rat befolgte meine Frau umgehend, konnte sie doch ansonst nichts unternehmen.
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